Frage an Norbert Brackmann von Lorenz D. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Brackmann,
was in fast allen Ländern dieser Welt legal und möglich ist, in Dänemark bereits seit mehr als 150 Jahren, wird in Deutschland als Ordnungswidrigkeit gesehen und mit Bußgeldern und Sorgerechtsentzug bestraft. Die Rede ist vom sogenannten "Homeschooling" oder Hausunterricht, zu welchem sich auch in diesem Lande über 1000 Familien entschieden haben, Tendenz steigend.
Interessanterweise stammt diese Art der Anwesenheitspflicht noch aus der Zeit des Dritten Reiches und wurde 1938 mit dem Reichsschulpflichtgesetz eingeführt. Sicherlich möchte sich auch die CDU von den Lastern dieser Zeit befreien.
Empirisch betrachtet lässt sich zeigen, dass der angewandte Hausunterricht eine mindestens gleichwertige Alternative zum Schulunterricht darstellt und sich in deutlichen Erfolgen messen lässt.
Meine Frage lautet daher, inwiefern Sie sich einsetzen, um dieses im Grundgesetz verbriefte Recht auch in Deutschland durchzusetzen?
Mit freundlichen Grüßen
Lorenz Dietrich
Sehr geehrter Herr Dietrich,
vielen Dank für Ihr Schreiben.
In der Tat gilt nach wie vor die durch das Reichsschulpflichtgesetz im Jahr 1938 eingeführte, allgemeine Schulpflicht. Diese hält auch heute noch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Sie dient nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtete sich auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben sollten.
Darüber hinaus hat die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von "Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Diese Auffassung hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zuletzt in einem Beschluss vom 31. Mai 2006 (2 BvR 1693/04) bestätigt.
Grundsätzlich unterstütze ich das Bestreben der Eltern, ihren Kindern eine gute Bildung zu vermitteln. Die Fürsorge und Aufopferungsbereitschaft vieler Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten möchten, ist beeindruckend. Viele Beispiele in anderen Ländern zeigen, wie Sie richtig anmerken, dass Kinder, die von ihren Eltern unterrichtet werden, beachtliche Bildungserfolge erzielen können.
Dennoch kennen wir nicht nur positive Beispiele. Es besteht die Gefahr, dass Eltern der Bildungsaufgabe nicht gewachsen sind und dem Kind durch den Hausunterricht nicht die ihm gebührende Förderung zuteilwerden lassen können. Immerhin müssen Lehrkräfte an öffentlichen Schulen nicht ohne Grund über einen pädagogischen Hochschulabschluss verfügen. Darüber hinaus besteht die Sorge, dass durch die Vermittlung einer fundamentalistischen und oft die Mehrheitsgesellschaft ablehnende Geisteshaltung die Integration des Kindes in die deutsche Gesellschaft erheblich erschwert werden könnte.
Daher halten wir nach gründlicher Abwägung des Elternrechts einerseits mit dem öffentlichen Interesse an einer Integration in die Gesellschaft an der allgemeinen Schulpflicht fest. Diese gilt umso mehr, als wir über ein leistungsstarkes und stark differenziertes Schulsystem verfügen. Neben den staatlichen Schulen gibt es zahlreiche private Träger, die den unterschiedlichsten Bildungsinteressen nachkommen (Walldorfschulen, Internationale Schulen, kirchliche Schulen usw.). Dieses Angebot und die damit einhergehende Wahlfreiheit der Eltern wollen wir bewahren.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Brackmann