Frage an Nicolette Kressl von Daniel G. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Kressl,
ich stehe dem heute beschlossenen Konjunkturprogramm, welches Ihre Partei mitgetragen hat, sehr kritisch gegenüber. Vielleicht können Sie einige meiner Einwände entkräften und mir zu einem besseren Verständnis verhelfen. Insbesondere kann ich Sinn und Zweck der Senkung der Kassenbeiträge nicht nachvollziehen.
- "Kassenbeiträge"
Die Kassenbeiträge werden im Juli 2009 gesenkt - von 15,5 auf 14,9
Prozent. Die Absenkung kostet den Staat rund neun Milliarden Euro. Davon profitieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen.
--> Die Erhöhung der Kassenbeiträge im Rahmen des Gesundheitsfonds habe ich von Beginn als anmaßend empfunden. Addiert man all jene Kosten, die in den letzten Jahren bereits von den Krankenkassen hin zum Versicherten verschoben wurden (Zuzahlungen, Praxisgebühr etc.) ist diese schwer nachvollziehbar. Dennoch erachte ich die nun ab Juli beschlossene Senkung auf 14,9% als sehr fragwürdig und fürchte, dass der gewünschte Effekt einer Konjunkturbelebung sich nicht einstellen wird. Ein einfaches Rechenbeispiel: ein 30jähriger Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von EUR 2.500 wird durch die Senkung um ganze EUR 8 entlastet, bei einem Einkommen von EUR 2000 um ganze EUR 6. Glauben Sie/Ihre Partei wirklich, dass dieser Arbeitnehmer nun losrennt und wie wild konsumiert? Stellt man dieser verschwindend geringen Einsparung für den Bürger die Belastung für die Staatskasse entgegen, die für die Zukunft mit geschätzten 9 Milliarden Euro belastet wird und somit die Probleme des Haushalts weiter verschärft, so steht sie in keinem Verhältnis. Mit einem monatlichen Plus von unter EUR 10 wird sich kein Arbeitnehmer in Deutschland sicherer fühlen und sein Konsumverhalten ändern.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir Argumente/die Ihrer Partei zu den von mir angesprochenen Kritikpunkten erläutern würden.
Vielen Dank für Ihre Bemühungen!
Sehr geehrter Herr Gerke,
Deutschland befindet sich -- wie sehr viele andere Länder auch -- aufgrund der internationalen Banken- und Finanzkrise in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Mit insgesamt drei Maßnahmenpaketen steuert die Bundesregierung aktiv gegen diese Krise an.
Nach dem Schutzschirm für den Finanzmarkt, der wichtig für die konjunkturelle Erholung ist, wurde im November das erste ausdrückliche Konjunkturpaket in Höhe von rund 30 Mrd. Euro beschlossen. Das zweite Konjunkturpaket, das am 12. Januar 2009 im Koalitionsausschuss beschlossen worden ist und Mitte Februar im Bundestag verabschiedet wird, hat einen Umfang von rund 50 Mrd. Euro. Alle drei Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass die Konjunktur in Deutschland bald wieder in Gang kommt, Arbeitsplätze gesichert und Qualifizierung gefördert werden. Vor allem mit den beiden Konjunkturpaketen, die mit rund 80 Mrd. Euro die größten in der Geschichte der Bundesrepublik sind, bin ich zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.
Die beschlossenen Maßnahmen entlasten massiv die Bürgerinnen und Bürger -- Steuer- und Beitragszahler, Rentner, Familien und Arbeitslose. Ein Großteil dieser Entlastungen ist nachhaltig, d. h. auf Dauer angelegt. Das betrifft vor allem die Steuer- und Beitragssatzsenkungen. Um den Gesamtkontext zu verdeutlichen, möchte ich kurz die Einzelmaßnahmen aufzählen:
1. Der Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer wird auf 14 % gesenkt und der Grundfreibetrag auf 8.004 Euro erhöht. Die Menschen werden durch diese Maßnahmen in diesem Jahr um rund 3 Mrd. Euro und 2010 um rund 6 Mrd. Euro entlastet.
2. Zum 1. Januar 2010 wird der Steuerabzug von Vorsorgeaufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung deutlich verbessert. Die Bürgerinnen und Bürger werden dadurch um rd. 7,8 Mrd. Euro entlastet.
3. Über die Familienkassen wird an alle Kindergeldbezieher ein Kinderbonus von einmalig 100 Euro je Kind ausgezahlt werden. Damit stehen Familien mit Kindern 1,8 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung.
4. Für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren wird der Kinderregelsatz bei Hartz IV- und Sozialhilfeempfängern erhöht. Er beträgt dann zum 1. Juli 2009 nicht mehr 60 %, sondern 70 % des Eckregelsatzes. Von dieser Erhöhung um 35 Euro monatlich profitieren rund 820.000 Kinder. Die Kosten für diese Maßnahme betragen in den kommenden beiden Jahren rund 520 Mio. Euro.
5. Nun zu dem Punkt, den Sie explizit in Ihrem Beitrag ansprechen: Zum 1. Juli wird der paritätisch finanzierte Krankenkassenbeitrag um 0,6 Prozentpunkte gesenkt. Damit werden die Beitragszahler, also auch die Rentner und die Arbeitgeber um 6 Mrd. Euro ab kommendem Jahr entlastet (rund 3 Mrd. Euro Entlastung in 2009).
6. Bereits seit dem 1. Januar 2009 gilt ein geringerer Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung von 2,8 Prozent. ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen werden so um rund 4 Mrd. Euro entlastet.
7. Ebenfalls seit dem 1. Januar erhalten Familien monatlich 10 Euro mehr Kindergeld. Auch der Kinderfreibetrag ist deutlich um 200 Euro auf nun 6.024 Euro angehoben worden. Rund 2 Mrd. Euro stehen nun mehr für Familien zur Verfügung.
8. Wir Sozialdemokraten haben in der Koalition durchgesetzt, dass auch Kinder von Arbeitslosen mehr Geld zur Verfügung haben sollen. Jeweils zum Schuljahresbeginn erhalten hilfsbedürftige Kinder einen Betrag von 100 Euro bis zum Abschluss der 10. Klasse. Die Kosten betragen in den kommenden beiden Jahren 240 Mio. Euro.
9. Zum 1. Januar 2009 wurde das Wohngeld von durchschnittlich 92 Euro monatlich auf 142 Euro erhöht und außerdem rückwirkend zum 1. Oktober 2008 eine Heizkostenpauschale eingeführt. Diese Maßnahmen entlasten die Bürgerinnen und Bürger um rund 520 Mio. Euro.
Mit allen Maßnahmen zusammen werden also die Bürgerinnen und Bürger um rund 30 Mrd. Euro entlastet. Als Beispiel: Eine durchschnittlich verdienende Familie (Alleinverdiener, 2 Kinder, 30.000 Euro) hat in diesem Jahr netto 679 Euro mehr in der Tasche, im Jahr 2010 614 Euro. Weitere Beispielrechnungen finden Sie im angehängten PDF-Dokument.
Eine weitere Maßnahme, die schon jetzt Wirkung zeigt, ist die so genannte Umweltprämie. Sie sieht vor, dass der Staat eine Prämie von 2.500 Euro demjenigen auszahlt, der seinen mindestens 9 Jahre alten PKW verschrotten lässt und gleichzeitig einen Neu- bzw. einen Jahreswagen kauft. Tatsächlich ist seit Bekanntgabe dieser Prämie die PKW-Nachfrage stark gestiegen, gerade wenn man die Zahlen mit denen der letzten Monate vergleicht.
Der starke Einbruch, der Ende letzten Jahres aufgrund der Wirtschaftskrise stattgefunden hatte, wird also sichtlich durch das Konjunkturprogramm abgefedert. Und dabei sind nicht nur Verkaufszahlen, Auftragseingänge, etc. relevant, sondern der psychologische Effekt, der sich langsam breit macht, ist positiv. Die Zuversicht, die zwischenzeitlich bei vielen verloren schien, kehrt glücklicherweise wieder ein.
Aus diesem Katalog wird ersichtlich, dass zum einen akuter Handlungsbedarf besteht, der sowohl schnell wirksame als auch nachhaltige Maßnahmen miteinander verbinden sollte. Zum anderen ist das Gesamtpaket entscheidend -- beginnt man, jede Einzelmaßnahme abgekoppelt vom Gesamtkonzept zu betrachten, wird das Potential dieses Konjunkturprogramms verzerrt und unterschätzt.
Abschließend möchte ich auf das Thema Staatsverschuldung eingehen, das Sie ebenfalls ansprechen. Im Fachjargon redet man momentan von einer "antizyklischen Finanz- und Wirtschaftspolitik". Diese hat zum Ziel, die Nachfrage zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern. Notwendig dazu sind gezielte Maßnahmen, die schnell wirken und dazu beitragen, das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Langfristig sind mehr Schulden aber ein Problem, weil dadurch die Zinsbelastung immer weiter steigt und die Handlungsfähigkeit des Staates einengt.
Deswegen ist es wichtig, verbindliche Regelungen einzuführen, um die Staatsverschuldung nach Bewältigung der Krise im nächsten Aufschwung wieder abzubauen. Um dies erreichen zu können, müssen wir gleichzeitig mit der antizyklischen Finanzpolitik eine "Schuldenbremse" im Grundgesetz institutionell verankern. Noch in dieser Legislaturperiode soll im Grundgesetz geregelt werden, dass die strukturelle Neuverschuldung für Bund und Länder zusammen 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts nicht übersteigen darf. Eine Grenze, die nur in konjunkturellen Ausnahmesituationen (wie wir sie momentan erleben) überschritten werden dürfte. Dadurch wird beides möglich: eine nachhaltige Finanzpolitik, die unseren Kindern und Enkeln keine ständig wachsenden Schuldenberge hinterlässt und trotzdem Raum lässt, um in Rezessionen handlungsfähig bleiben zu können.
Ich hoffe, Herr Gerke, dass meine Ausführungen zu einem besseren Verständnis der komplexen aktuellen Lage beitragen konnten.
Ihre Mittelbadische SPD-Bundestagsabgeordnete
Nicolette Kressl