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Nicolette Kressl
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Frage von Sebastian L. •

Frage an Nicolette Kressl von Sebastian L. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Kressl,

2012 wird die Neuverschuldung ca. 26 Mrd. Euro betragen. Gleichzeitig müssen 38 Mrd. Euro Schulden abbezahlt werden. (Quelle : Bundesfinanzministerium) Die Bundesregierung nimmt Schulden auf um Schulden zu tilgen !? Auf der anderen Seite liest der Bürger von Milliardengewinnen der Finanzbranche. Wieso schöpft man nicht, zumindest die 26 Mrd. Euro Neuverschuldung aus der Finanzbranche ab ? Und warum erlauben die Abgeordneten überhaupt eine Neuverschuldung ?

Mit freundlichem Gruß,
Sebastian Lindemann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Lindemann,

für Ihre Frage zur Konsolidierung des Bundeshauhalts danke ich Ihnen.

Im November fanden im Deutschen Bundestag die zweite und dritte Lesung des Haushaltsgesetzes 2012 statt. Wir haben kontrovers debattiert, und die SPD-Fraktion hat in Namentlicher Abstimmung gegen die Vorlage votiert. Gerne erläutere ich Ihnen, warum.

Wir bewerten die von der schwarz-gelben Bundesregierung geplante Neuverschuldung einerseits und deren Beharren auf Steuersenkungen andererseits ebenso kritisch wie Sie. Wir müssen dringend auf die angespannte Haushaltslage bei Bund und Ländern bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Auflage der Schuldenbremse reagieren. Nach sozialdemokratischer Überzeugung können Steuersenkungen, wie die schwarz-gelbe Bundesregierung sie immer wieder ins Spiel bringt, nicht die Antwort auf Haushaltskonsolidierung und Schuldenbremse sein. Deshalb hat die SPD in ihrem kürzlich vorgestellten Finanzkonzept und auf ihrem Bundesparteitag den Schwerpunkt auf Entschuldung gesetzt. Denn die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse bedeutet konkret: Es dürfen keine neuen Kredite zum Ausgleich bestehender Haushaltsdefizite aufgenommen werden, gleichzeitig muss die Schuldenlast reduziert werden. Ausnahmen bilden dabei konjunkturbedingte Neuverschuldungen (aufgrund eines wirtschaftlichen Abschwungs), die allerdings in der Logik einer antizyklischen Finanzpolitik bei einem Aufschwung wieder abgebaut werden müssen. Nur so kann es uns gelingen, nachhaltig und generationengerecht eine neue Gesellschaftsarchitektur zu etablieren, die sozial-, finanz- und steuerpolitisch abgestimmt und kohärent ist. Im Folgenden möchte ich Ihnen anhand konkreter Forderungen, die wir stellen, unser Konzept veranschaulichen.

Die so genannten „Hoteliersgesetze“, das heißt die von der schwarz-gelben Bundesregierung eingeführten Steuerentlastungen für Hoteliers, reiche Erben und Konzerne, müssen zurückgenommen werden. Denn eine Politik, die nur Partikularinteressen bedient, handelt nicht nach dem Gebot der Gerechtigkeit und des Allgemeinwohls. Durch diesen Schritt könnten fünf Milliarden Euro erzielt werden, die je zu einem Drittel dem Bund, den Ländern und den Kommunen zugute kämen.

Wir möchten unnötige, ökologisch fragwürdige und sozial schädliche Subventionen abbauen. Gerade umweltpolitisch sind wir gefordert, steuerliche Vergünstigungen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu streichen, wie beispielsweise beim Flugbenzin, beim Agrardiesel oder bei Firmenwagen. Bis 2016 würden sich die Einsparungen insgesamt auf circa vier Milliarden Euro summieren. Unter Subventionen verstehen wir aber auch die so genannte Aufstockung von Niedriglöhnen, die Sie in Ihrer Mail ebenfalls ins Feld führen. Auch hier ist unsere Position klar: Wir brauchen einen allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Er ist sowohl sozial geboten als auch ökonomisch vernünftig – ergäben sich dadurch doch Steuermehreinnahmen einerseits und Minderausgaben beim Arbeitslosengeld II andererseits, was gesamtstaatlich über 7,1 Milliarden Euro umfassen würde.

In unserem finanzpolitischen Leitantrag des Bundesparteitages heißt es wörtlich: „Ein gerechtes Steuersystem mit einer moderaten Erhöhung der Steuern für Besserverdienende ist ein Beitrag zum sozialen Patriotismus in unserem Land. Die Mittel werden darüber hinaus dringend zum Schuldenabbau und zur Stärkung der Investitionen in Deutschland gebraucht.“ Deshalb sehen wir eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ab einem zu versteuerndem Einkommen von 100.000 Euro (200.000 Euro für Verheiratete) vor. Außerdem sollte das Ehegattensplitting für zukünftige Ehen zu einer Individualbesteuerung mit Unterhaltsabzug umgestaltet werden. Dabei ist aber klar, dass diese Reform keine „rückwirkenden“ Folgen haben sollte – bereits geschlossene Ehen wären davon nicht betroffen.

Durch diese einkommensbezogenen Maßnahmen, ergänzt durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie die Reform der Erbschaftssteuer, könnten gesamtstaatlich circa 20 Milliarden Euro erzielt werden, die hälftig dem Bund und den Ländern zukämen. Bei der Vermögenssteuer sollten selbstverständlich hohe Freibeträge sichergestellt sein, um die so genannten „kleinen Sparer“ nicht zu belasten.

Sie fragen völlig zurecht nach der Beteiligung und Verantwortung der Finanzbranche. Im internationalen Kontext fordert die SPD seit langem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Wir haben bereits zwei Anträge in dieser Legislatur in den Bundestag eingebracht, in denen es unter anderem heißt: „Eine allgemeine Finanztransaktionssteuer ist ein wichtiges, geeignetes und angemessenes Instrument, dass ein Teil der enormen Kosten der Krise dort hereingeholt wird, wo die Spekulation die schlimmsten Blüten trieb.“ Denn Umsätze auf dem Finanzsektor werden bisher nicht besteuert. Die Akteure auf den Finanzmärkten werden bisher als Verursacher der Krise nicht an den entstandenen Kosten derselben beteiligt. Gerade im aktuellen Krisenkontext wäre dies aber geboten. Die Bemessungsgrundlage der Finanztransaktionssteuer sollte alle börslichen und außerbörslichen Transaktionen von Wertpapieren, Anleihen und Derivaten sowie alle Devisentransaktionen umfassen.

Zu Ihrer Information finden Sie im Anhang die Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion anlässlich des Haushaltsgesetzes 2012. Sie unterstreicht nochmals, wie leichtfertig und verantwortungsverdrossen nach unserer Ansicht die derzeitige Bundesregierung ordnungs-, haushalts- und finanzpolitisch handelt – und welches Modell die SPD wiederum dem entgegenzusetzen hat. Außerdem finden Sie auf meiner Homepage www.kressl.de umfangreiche Informationen und Materialien rund um das Feld der Steuer- und Finanzpolitik.

Mit freundlichen Grüßen

Nicolette Kressl, MdB