Frage an Nicolette Kressl von Bernd L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Kressl,
am 28.09.2011 wurde mit großer parlamentarischer Mehrheit die Ausweitung des Europäischen Rettungsschirms ESM beschlossen.
Am gleichen Abend sendete das Politikmagazin Panorama einen Bericht, in dem auch Kollegen Ihrer Partei zum anstehenden Thema befragt wurden. Es wurde gefragt, über welchen Betrag abgestimmt wird und welche Länder bisher aus diesem Topf bedient wurden. Neun von Zehn der interviewten Abgeordneten konnten keine korrekte Antwort geben, obwohl die Abstimmung an diesem Tag anstand und diese Leute auch der Erhöhung des Rettungsschirms zugestimmt haben.
„In der Ausgabe vom 29.09.2011 der Welt online ist zu lesen: "Für die Euro-Rettung reden wir über Billionen" Gehen Sie von geringeren Beträgen und überschaubarem Risiko aus?? Es muss ja einen Grund geben, dass Sie der Ausweitung des Rettungsschirms zugestimmt haben!!
Aus den vorgenannten Gründen möchten ich und weitere sehr interessierte Bürger aus Ihrem Wahlkreis von Ihnen gerne wissen, wie Sie zur weiteren Entwicklung stehen? Insbesondere Ihre Meinung zu den so heiß angemahnten Eurobonds und dem von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble favorisierten „Kredithebel“ ist für mich und meine Bekannten von größtem Interesse.
Abschließend möchte ich nochmals auf den anfänglich erwähnten Panoramabericht verweisen, denn ich gehe davon aus, dass die im Wahlbezirk Rastatt gewählten Bundestagsabgeordneten sich nicht zu Parteisoldaten oder reinem und uniformierten Stimmvieh missbrauchen lassen, sondern sich den Verpflichtungen gegenüber Ihren Wählern bewusst sind.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Leicht
Sehr geehrter Herr Leicht,
vielen Dank für Ihre Mail. Gerne erläutere ich Ihnen, warum ich für die Ausweitung des europäischen Rettungsschirms gestimmt habe und wie ich die weiteren Entwicklungen einschätze.
Lassen Sie mich zu Beginn folgendes grundsätzlich festhalten: Seit dem Jahr 1957 besteht die europäische Solidargemeinschaft. Innerhalb dieser gibt es seit jeher Transferleistungen, von denen auch Deutschland profitiert hat. Dem erweiterten Rettungsschirm, als Teil dieser innereuropäischen Solidarität, habe ich in der Abstimmung am 29.09.2011 zugestimmt. In Anbetracht der akuten Krisensituation war es wichtig, dass einerseits die nervösen Finanzmärkte das Signal erhielten, die EU-Staaten seien zu jeder Zeit handlungsfähig und andererseits dass die Kontrollmechanismen und -möglichkeiten gegenüber „Krisenstaaten“ verschärft wurden. Beides wurde durch den „neuen“ EFSF erst einmal gewährleistet.
Dies war keine leichte Entscheidung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern daher weitergehende Anstrengungen, um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten. Aber: Uns jeglicher Hilfe zu verweigern, käme uns viel teuer zu stehen. Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone führte zum Beispiel nicht nur dazu, dass Griechenland mit der Wiedereinführung der Drachme seine Schulden in Euro überhaupt nicht mehr begleichen könnte. Ein Austritt hätte zudem dramatische Folgen für die anderen betroffenen Länder und die Eurozone insgesamt.
Problematisch ist, dass es von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone nach wie vor an einem umfassenden und nachhaltigen Gesamtkonzept zur Lösung der Krise fehlt. Die Situation spitzt sich - insbesondere in Griechenland - immer weiter zu. Eurobonds, also konditionierte Gemeinschaftsanleihen, sind aus unserer Sicht Teil einer umfassenden Lösung der Krise. Denn: Die bisherigen Maßnahmen haben bis dato keine positive Wirkung gezeigt. Das liegt auch daran, dass die Bundesregierung fast alle Vorschläge lange abgewehrt hat, diese schlussendlich aber dann doch auf den Weg gebracht wurden. Das Zögern von Bundeskanzlerin Merkel hat zu weiterer Verunsicherung an den Märkten geführt. Eurobonds könnten deshalb wirkungsvoll sein, weil sie konditioniert wären und so Anreize zu einer soliden Haushaltsführung gäben.
Sehr geehrter Herr Leicht, aktuelle Stellungnahmen und Informationen finden Sie stets auch auf meiner Homepage. In dem Artikel vom 21.09.2011 habe ich ausführlich dargelegt, wie ich die aktuelle Krise in Europa einschätze. Sie finden in diesem außerdem weiterführende Erläuterungen zu den Eurobonds. In der Rubrik „Ich stimme für Sie“ können Sie dagegen jederzeit nachlesen, wie und warum ich für oder gegen Anträge und Gesetzentwürfe gestimmt habe.
Mit freundlichen Grüßen
Nicolette Kressl, MdB