Frage an Nicole Maisch von Daniele B. bezüglich Umwelt
Wie ist ihre Meinung zu alternativen Treibstoffen?
Halten Sie es für sinnvoll, auf Ackerflächen Energiepflanzen zur Herstellung von Bio-Sprit auszupflanzen statt die Produktion von Treibstoffen aus Abfall und Reststoffen weiterzuentwickeln?
(Es gibt wohl schon mehrere Verfahren, die aus der Entwicklungsphase schon heraus sind und nur auf Investoren für eine Umsetzung in die Praxis warten.)
Sehr geehrte Frau Brands,
herzlichen Dank für Ihre Frage zum Thema Biotreibstoffe.
Für mich steht außer Frage, dass die Erzeugung von Nahrungsmitteln für Menschen und der Erhalt der Natur Vorrang vor der Erzeugung von Biokraftstoffen haben müssen.
Food first- Essen zuerst! Dieser Grundsatz ist bei uns Grünen unumstritten.
Fehlentwicklungen im Bereich der Bioenergie wie das Abholzen von Regenwald für die Palmölproduktion müssen scharf bekämpft werden.
Im Sinne eines möglichst effizienten Einsatzes von Ressourcen bin ich sehr dafür, Rest- und Abfallstoffe auch für die Treibstofferzeugung zu nutzen. Die Meldung, dass die großen Konzerne Linde und Südchemie gemeinsam in Treibstoffe der
2. Generation investieren, stimmt mich sehr optimistisch.
Lassen Sie mich zum Thema Biotreibstoffe und Lebensmittelkrise etwas weiter ausholen:
*Hunger hat viele Ursachen*
Die Gründe für die Lebensmittelkrise sind vielfältig und liegen tief. Energetische Biomassenutzung trägt zu steigenden Lebensmittelpreisen ihren Teil bei. Aber Agrar-Kraftstoffe alleine für die Lebensmittelkrise verantwortlich zu machen, verkürzt die Problematik und lenkt von einer verfehlten Politik in vielen anderen Bereichen ab. Bislang werden erst auf 2% der weltweiten Anbaufläche Energiepflanzen angebaut. Allerdings nimmt der Anbau zu. Um einer wachsenden Flächenkonkurrenz entgegenzuwirken, müssen also schon heute Korrekturen in der Biotreibstoff-Politik vorgenommen werden. Die Nutzung von pflanzlichen Rohstoffen für die Kraftstofferzeugung darf unter keinen Umständen zu Lasten der Nahrungsmittelsicherheit gehen. Auch dürfen für den Einsatz von Agro-Kraftstoffen weder Regenwald noch Moore vernichtet werden. Daher sagen wir Grüne ganz klar: Kein Import von Biokraftstoffen, wenn der entwicklungs- und umweltpolitische Nutzen nicht garantiert ist.
Fleischkonsum
Schon heute werden 30% der Agrarflächen zum Anbau von Futtermitteln für die Massentierhaltung genutzt. Tendenz steigend! Zur Erzeugung von 1kg Rindfleisch werden bis zu 8kg Getreide gebraucht, die nicht mehr für die menschliche Ernährung zur Verfügung stehen. Der Anbau von Soja und anderen Futtermitteln findet in Entwicklungs- und Schwellenländern in agroindustriellen Strukturen statt, der heimischen ländlichen Bevölkerung wird so die Existenzgrundlage entzogen. In Deutschland werden im Schnitt 1,2kg Fleisch pro Kopf in der Woche verzehrt, von ErnährungswissenschaftlerInnen wird ein Verzehr von maximal 300g empfohlen.
Auch die Agrar- und Handelspolitik der Europäischen Union und Nordamerikas ist in erheblichem Maße für die jetzige Hungerkrise verantwortlich. Zolllinien, wettbewerbsverzerrende Exportsubventionen und erzwungene Marktöffnungen haben dazu geführt, dass die auf den eigenen Markt ausgerichtete Landwirtschaft in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern geschwächt oder sogar zerstört wurde. Gleichzeitig wurde es in der Entwicklungspolitik versäumt, die ländliche Entwicklung und bäuerliche Strukturen zu stärken. Gerade einmal 3,1% des deutschen Etats für die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit kommen direkt der Förderung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft zugute.
Weitere Ursachen sind zunehmende Spekulationsgeschäfte mit Getreide, die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktionskosten durch steigende Energiepreise und der Klimawandel, der verstärkt Naturkatastrophen und Missernten mit sich bringt. In vielen Ländern spielen zudem Kriege, ungerechte Landverteilung sowie eine verfehlte Politik, die nicht auf die Entwicklung und Ernährung der breiten Bevölkerung ausgerichtet ist, eine wichtige Rolle.
*Handeln jetzt!*
Es ist absolut nicht hinzunehmen, dass die BundesministerInnen der großen Koalition sich die Verantwortung für die Krise gegenseitig zuschieben und niemand bereit ist, zu handeln. Weil Landwirtschaftsminister Seehofer die gängige Subventionspraxis für die europäischen Bauern bis 2013 nicht ändern will, schiebt er den Schwarzen Peter an Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul weiter und fordert sie auf, die Landwirtschaft in den betroffen Ländern besser zu unterstützen. Diese nimmt aber lieber ihren Kabinettskollegen Umweltminister Gabriel in die Pflicht und fordert ein Überdenken der Agrosprit-Strategie. Klar ist: Nur wenn wir alle Handlungsoptionen entschieden aufgreifen, werden wir die Ernährungskrise dauerhaft lösen können.
Die Leitlinien der FAO zum "Menschenrecht auf adäquate Nahrung" müssen endlich oberste Priorität haben. Daran muss sich deutsche und internationale Politik binden!
*Nachhaltige Landwirtschaft stärken*
In der Agrar- und Handelspolitik müssen wir endlich umsteuern. Eine ungehemmte Intensivierung der Landwirtschaft ist kein Ausweg aus der Hungerkrise. Immer mehr Technik, Energie-, Pestizid- und Düngemitteleinsatz sind für die Armen nicht nur zu teuer, sondern nur um den Preis ökologischer Schäden zu haben, die langfristig die Welternährung erst recht bedrohen werden. Außerdem taugen die Anbaurezepte für reiche amerikanische oder europäische Böden für die kargen Böden Afrikas noch lange nicht. Die Strategie der Gentechnik- und Saatgutmultis, die Welt mit Agrogentechnik und patentiertem Hochleistungssaatgut zu überziehen, ist ebenfalls gänzlich ungeeignet, den Hunger zu bekämpfen. Sie führt nur zu Enteignung sowie Verlust von Unabhängigkeit und birgt enorme Gefahren für die Biodiversität in Landwirtschaft und Natur. In der sich verschärfenden Krisensituation zeigt der Weltagrarrat IAASTD, der am 17.4.2008 seinen Weltagrarbericht vorgestellt hat, Wege zur Lösung auf und bestätigt unsere grünen Politikansätze in der Agrarpolitik. Die ExpertInnen plädieren vor allem auch in Entwicklungsländern für eine an die örtlichen Gegebenheiten angepasste Landnutzung in bäuerlichen Strukturen und die Verwendung traditioneller Saaten und Produktionsmethoden.
Wir Grüne fordern, dass die Europäische Union im Rahmen der
Gesundheitsüberprüfung der gemeinsamen Agrarpolitik den Weg hin zu einer ökologisch und sozial gerechteren Landwirtschaft fortsetzt. Die Bundesregierung muss endlich ihre Reformverweigerungshaltung bei der Diskussion um die europäische Agrarförderung aufgeben und sich konstruktiv an der zukunftsfähigen Umgestaltung der Agrarpolitik beteiligen. Zahlungen von Beihilfen müssen künftig an die Erbringung von gesellschaftlichen Leistungen gebunden werden. Durch eine stärkere Förderung der ländlichen Entwicklung, die Kopplung der Direktbeihilfen an die Schaffung neuer Arbeitsplätze und eines Klimabonusses für besonders klimaverträgliche Bewirtschaftungsformen müssen Umwelt und Klima schonende Landwirtschaft gestärkt werden. Zur Etablierung fairer Handelsbeziehungen müssen alle handelsverzerrenden Exportsubventionen unabhängig vom Ausgang der derzeitigen WTO-Verhandlungen abgebaut werden. Wir fordern außerdem, dass die Subventionszahlungen für den Schweinefleisch-Export in Entwicklungsländer unverzüglich eingestellt werden.
Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit wollen wir Grüne eine Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Die Förderung der Eigenversorgung auf dem Land ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte, um die Hungerproblematik in den Griff zu bekommen. Die Rechte der KleinbäuerInnen an ihrem Land müssen geschützt und Bodenreformen in Angriff genommen werden. Wissensaustausch zwischen den ErzeugerInnen vor Ort muss gestärkt und Zugang zu Wissen über neue, Kosten extensive Bewirtschaftungsformen gefördert werden.
Zur Etablierung eines fairen Agrarhandels müssen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien nicht allein für Energiepflanzen, sondern für den gesamten Agrarsektor auf internationaler Ebene entwickelt und Bestandteil der WTO-Vereinbarungen werden. Dies ist eine Herkulesaufgabe, die nicht von heute auf morgen bewerkstelligt werden kann. Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien für den Agrarhandel könnten aber schon heute in bilateralen Verträgen zwischen der Europäischen Union und Partnerländern oder Staatengruppen in Übersee verankert werden.
*Leitplanken für die Agrotreibstoff-Produktion*
Die Politik ist gefordert, starke Leitplanken einzuziehen, die dafür sorgen, dass die energetische Nutzung der Biomasse gleichzeitig eine positive Klimabilanz aufweist und weder das Hungerproblem verschärft noch zu Lasten der biologischen Vielfalt geht.
Die Schaffung eines Zertifizierungssystems, das verbindliche ökologische und soziale Standards für den Anbau von Energiepflanzen und die Produktion von Agrotreibstoffen festlegt, ist notwendig, reicht aber nicht aus, um auch die Ausweicheffekte zu erfassen. Die internationale Gemeinschaft kommt nicht darum herum, die gesamte Politik von Ländern, die Energiepflanzen oder Agrotreibstoffe exportieren wollen, unter die Lupe zu nehmen und auf ihre Nachhaltigkeit zu bewerten. Ich setze auch große Hoffnungen in die Treibstoffe der zweiten Generation, die um ein Vielfaches effizienter sein werden als die, die wir heute benutzen.
*Änderung des Ernährungsverhaltens*
Wenn Bundeskanzlerin Merkel den neuen Ernährungsgewohnheiten in den Schwellenländern die Schuld für die Explosion der Nahrungsmittelpreise zuweist, ist das völlig unangemessen. Klar ist: Wenn die wachsende Mittelschicht der Schwellenländer unseren fleischlastigen Ernährungsstil als Zeichen des Wohlstandes übernimmt, ist die Welternährung nicht mehr zu sichern. Klar ist aber auch: Den Löwenanteil an Futtermitteln für Massentierhaltung verbrauchen die reichen Industrieländer. Darum müssen wir jetzt vorangehen und unseren Konsum an tierischen Lebensmitteln deutlich einschränken, wenn wir wirkungsvoll etwas zur Verbesserung der Welternährungslage beitragen wollen. Wir brauchen eine ansprechende Aufklärungskampagne der Bundesregierung zu diesem Thema, damit Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Problematik und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht werden.
Zugleich müssen wir unser Konsumverhalten grundlegend überdenken. Regionale und saisonale Bio-Waren schonen Ressourcen und sind besser für das Klima und die Sicherung der Welternährung.
es grüßt Sie grün und herzlich
Nicole Maisch