Frage an Nicole Maisch von Birgit J. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Maisch,
Sie haben gestern dem ESM zugestimmt.
In diesem Zusammenhang habe ich einige Fragen, welche Sie mir sicherlich beantworten können.
Im Artikel 1 wird von 700 Mrd Stammkapital gesprochen. Dieses Stammkapital kann jedoch auf Beschluss des Gouverneursrates (Artikel 10) jederzeit erhöht werden. Eine Zustimmung der nationalen Parlamente ist hierzu nicht notwendig.
Wie wollen Sie unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt noch einen nationalen Haushalt erstellen?
Wie wollen Sie Machtmissbrauch des Gouverneursrat verhindern?
Wie wollen Sie verhindern, dass wir über das Maß hinaus zur Kasse gebeten werden, weil wir überstimmt werden?
Im Artikel 9 Absatz 3 steht, dass wir auf Anordnung innerhalb von 7 Tagen zahlen müssen.
Es ist aufgrund der aktuellen deutschen Eckdaten nicht auszuschließen, dass wir ebenfalls herab gestuft werden, wenn bei uns die Wirtschaft schlechter läuft. Eine kurzfristige Geldbeschaffung verteuert das Geld und würde somit auch für uns die Kosten hoch treiben.
Wie sollen solche Risiken abgefangen werden?
Selbst wenn bei uns alles optimal läuft, werden wir mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für unsere Bürgschaften zahlen müssen.
Wo wollen Sie diese Gelder einsparen?
Frau Merkel hat in Brüssel bereits neue Zusagen gegeben.
Wie sollen die jüngsten Beschlüsse aus Brüssel in den Vertrag einfließen?
Bereits heute sind viele Bürger entsetzt über das Abstimmungsergebnis, weil in Deutschland massiv gespart wurde und es bereits heute eine soziale Schieflage gibt. Ich nenne hier nur mal ein Beispiel: bereits heute sind 800000 Haushalte zeitweise ohne Strom, weil sie aufgrund ihres niedrigen Einkommens die Rechnung nicht mehr zahlen können.
Wie wollen Sie verhindern, dass diese Beschlüsse zu sozialen Unruhen führen oder eine Vielzahl von Protestwählern unerfahrene oder weniger demokratische Parteien wählen?
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Jacob
Sehr geehrte Frau Jacob,
vielen Dank für Ihr Schreiben und Ihr Interesse an meinem Abstimmungsverhalten.
Dem Europäischem Rettungsschirm ESM und dem Fiskalpakt habe ich bei der Abstimmung im Bundestag zugestimmt, da klare und dauerhafte Regeln für den Umgang mit Verschuldungskrisen notwendig sind. Die jetzt beschlossenen Gesetze sind ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie ermöglichen kurzfristig finanzielle Entlastung und können somit dafür sorgen, dass die Notlage eines Mitgliedstaates nicht zur Notlage der gesamten Eurozone führt. Die Errichtung des ESM basiert dabei auf einem völkerrechtlichen Vertrag, den alle Euro-Staaten bereits unterzeichnet haben.
Mit den jetzt beschlossenen Gesetzen und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das wir durch unsere Klage erreicht haben, ist klargestellt, dass jedes Mal frühzeitig der Bundestag unterrichtet und eingebunden werden muss und dieser zweimal zustimmen muss, bevor einem Land Finanzhilfe durch den ESM gewährt wird - einmal, bevor der Gouverneursrat überhaupt darüber entscheidet, ob diesem Mitgliedsstaat grundsätzlich finanzielle Unterstützung zu gewähren ist, und ein weiteres Mal, wenn der Gouverneursrat dies entschieden hat und konkrete Bedingungen und Auflagen abgestimmt werden müssen.
Auch bei einer Erhöhung des Stammkapitals des ESM sowie bei einer Änderung der Finanzhilfeinstrumente muss der Bundestag vor Beschluss des Gouverneursrates zustimmen. Im Gouverneursrat ist Deutschland durch den deutschen Finanzminister vertreten, der an die Entscheidung des Bundestages gebunden ist. Da Entscheidungen über Aufstockungen im Gouverneursrat nur im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen werden können, würde diese an nur einer Ablehnung scheitern.
Einem möglichen Machtmissbrauch des Gouverneursrates oder eine Beschränkung Deutschlands bei der Erstellung des nationalen Haushaltes, wie von Ihnen befürchtet, ist damit vorgebaut.
Natürlich nehme ich auch die Bedenken von Ihnen und sehr vielen anderen ernst, dass Deutschland immer mehr Schulden übernehmen müsse und dadurch selbst in den Ruin getrieben werden könnte. Es stimmt, dass die jetzt anstehende Eurorettung nicht ohne Kosten auch für Deutschland bewerkstelligt werden kann. Doch auf der anderen Seite hat gerade Deutschland als große Exportnation vom Zusammenschluss der EU und der gemeinsamen Währung bisher sehr stark profitiert. Ein Auseinanderbrechen des Euro und damit vielleicht sogar der Europäischen Union wäre eine politische und ökonomische Katastrophe für alle Staaten der EU - aber insbesondere auch für Deutschland.
Solidarität und gemeinsame Absprachen über solide Haushaltsführung sind daher notwendig für den Erhalt unserer Währung und für den Fortbestand des geeinten Europas.
Um die Europäische Gemeinschaft langfristig zu stabilisieren brauchen wir eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung, die auch die Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen der Länder angeht sowie einen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der die Eigenverantwortung der Staaten für ihre Staatsfinanzen stärkt.
Außerdem braucht es eine Stärkung der Risikovorsorge im Bankensystem. Den auch bei den letzten EU-Verhandlungen eingeschlagen Weg hin zu einer Bankenunion begrüße ich daher sehr.
Natürlich ist es sehr wichtig, die Relevanz und Notwendigkeit der Eurorettung gerade auch für den Wohlstand und die Stabilität in Deutschland immer wieder klar zu machen. Das führt letztlich auch zu mehr Akzeptanz und Unterstützung in der Gesellschaft. Außerdem setzen wir Grünen uns seit langem für mehr direkte Demokratie und Beteiligung ein, nicht nur bei Europafragen. Dafür ist eine Änderung des Grundgesetzes notwendig, was bislang immer am Widerstand von CDU und CSU gescheitert ist.
Meine persönliche Erklärung zur Abstimmung über ESM und Fiskalpakt finden Sie auf meiner Homepage unter: http://nicolemaisch.de/detail/nachricht/persoenliche-erklaerung-zur-abstimmung-ueber-fiskalvertrag-und-esm.html .
Mit freundlichen Grüßen
Nicole Maisch