Frage an Nicole Gohlke von Renate S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Frau Gohlke, ich habe bei dieser Bundestagswahl Ihnen ein Kreuz gegeben, allerdings mit Bauchschmerzen, da auch meine Herkunftsfamilie wie viele andere zu 'DDR-Zeiten' unter den Vor-vorgängern der Linkspartei, nämlich der SED, Schaden erlitten hat. Schlimmer noch erging es etwa einer Freundin, die Opfer von Maßnahmen der Persönlichkeitszersetzung (Mielkes Richtlinie 1/76) unterworfen worden war, was ihre körperliche Gesundheit und ihr Arbeitsleben völlig ruiniert hat. Anderen wurden die Lebenschancen kupiert, indem sie keine adequate Schul- und Ausbildung bekamen, weil sie sich weigerten, als 'IM' über FreundInnen / KollegInnen Berichte an das DDR-Ministerium für Sicherheit zu liefern. Und andere menschenverachtende Taten.
Der Linken mag ich das freilich nicht vorwerfen, aber sie ist nun mal die Nach-nachfolgerin der SED und damit deren Erbin, wie wir Deutschen die ErbInnen der Zeit des Nationalsozialismus sind. Wie ddieses, muss auch die Vergangenheit der DDR, der SED, aufgearbeitet werden, und zwar von den Linken als den ErbInnen.
Meine Frage an Sie als Bundestagsabgeordnete meines Wahlkreises: Wollen Sie sich für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in der DDR, begangen von den
Vorgängern der Linkspatei einsetzen ?
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage! Selbstverständlich setze ich mich für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen in der DDR ein.
Die Aufarbeitung des Unrechts in der DDR ist für DIE LINKE eine Notwendigkeit. Schließlich geht es zentral um die Frage, wie eine humanistische Idee, der Selbstbefreiung und Selbstermächtigung, der Gleichheit und der Freiheit so pervertiert werden kann, dass sie anders Denkende und anders Lebende ausgrenzt und kriminalisiert. Der Anspruch aus der eigenen Vergangenheit zu lernen, ist die Grundlage für eine emanzipatorische Politik in der Gegenwart und Zukunft. Das gilt ebenso für die Erfolge, Niederlagen und Fehler des linken Aufbruchs in Westdeutschland nach 1967/68 und die mehrheitliche Wende der SPD zu einer neoliberalen, unsozialdemokratischen Politik, die ebenfalls ein Teil der Geschichte der neuen LINKEN sind.
Bereits die PDS als Nachfolgepartei der SED ist zu der Einsicht gelangt, dass die DDR nicht an der "Übermacht ihrer Gegner", sondern an ihren eigenen Mängeln und Fehlern, am Unrecht in Politik und System, am systematischen Misstrauen ihrer politischen Führung gegenüber der eigenen Bevölkerung gescheitert ist. Die PDS überlebte und erstarkte nach 1990 in Ostdeutschland nicht, weil sie die Geschichte leugnete oder einen Schlussstrich zog, sondern weil sie von Anfang an die Geschichte verarbeitete. Auf ihrem Außerordentlichen Parteitag 1989 hat sich die SED-PDS bei der Bevölkerung der DDR für das von der SED begangene Unrecht entschuldigt und einen Prozess der unwiderruflichen Trennung von stalinistischen Traditionen der SED begonnen. Empfehlen kann ich Ihnen dazu die Rede von Robert Schuhmann: "Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System" - Link: http://archiv2007.sozialisten.de/partei/parteitag/sonderparteitag1989/view_html?zid=24832&bs=1&n=3
Des Weiteren empfehlen möchte ich Ihnen diese anschauliche Dokumentsammlung mit zentralen Beschlüssen der PDS zur Aufarbeitung der Geschichte der SED und DDR (von 1989 - 2007):
https://archiv2017.die-linke.de/fileadmin/download/geschichte/090312_handreichung_geschichte.pdf
Die Aufarbeitung der Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, darf für DIE LINKE niemals abgeschlossen sein. Das sage ich auch in dem Wissen, dass mehr als 95% der ehemaligen SED-Mitglieder 1990 nicht mehr Mitglied der PDS geworden sind und heute, fast 30 Jahre später, Zehntausende von Mitgliedern der LINKEN mit der DDR keine biographischen Berührungspunkte haben. Eine ähnliche Bemühung zur Aufarbeitung würde ich mir in übrigen ebenfalls von der CDU und FDP wünschen, die damals die Mitglieder und das Vermögen der ehemaligen Blockparteien der DDR übernahmen.
Mit freundlichen Grüßen
Nicole Gohlke