Frage an Nicole Gohlke von Johann L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Grüß Gott, Frau Gohlke!
Frage zum Thema "Abhören privater Kommunikation"
Die NSA hält uns in Schwung! Erst vergangene Woche konnte ich in der Süddeutschen Zeitung lesen, dass der US "Foreign Intelligence Act" 3 Paragrafen enthält, die den amerikanischen Firmen und deren ausländischen Tochterfirmen (!) vorschreiben, welche abgehörten Daten bzw Kundendaten sie an den NSA zu liefern haben. Was die meisten von uns stört ist u.a., dass das Abhören ohne irgendeinen Verdacht zulässig bzw. vorgeschrieben ist.
Das führt zu der naheliegenden Frage, welche vergleichbaren gesetzlichen Vorschriften für den deutschen Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst usw. gelten.
(1) Welche Behörde darf welche Kommunikationsdaten unter welchen Voraussetzungen abhören?
(2) Welche Firmen - insbes. Telefon- und Netzprovider - müssen welche Daten unter welchen Voraussetzungen an welche Behörde liefern?
Meine Frage bezieht sich auf alle Arten der Kommunikation: Festtelefon, Mobiltelefon, Mails, Internetzugriffe, Internet-Geschäfte, Soziale Netze, Userforen, ...
Als Abgeordneter des Bundestages können Sie diese Frage hoffentlich - wenigstens überblicksartig - beantworten und dabei auf die einschlägigen Vorschriften verweisen.
Mit freundlichem Gruß
Sehr geehrter Herr Lemke,
vielen herzlichen Dank für Ihre Fragen, bei deren Beantwortung ich mir auch Hilfe bei den zuständigen Fraktionsmitarbeitern gesucht habe:
Vorweg:
Der über die Jahrzehnte angewachsenen Umfang der Überwachungsbefugnisse der Polizeien und Nachrichtendienste von Bund und Ländern machen mir als Bildungspolitikerin eine umfassende und vollständige Antwort unmöglich. Außerdem muss man davon ausgehen, dass die Sicherheitsbehörden die technischen Fähigkeiten besitzen, über das rechtlich zulässige Maß hinaus im Prinzip jegliche Kommunikation zu überwachen. Hinzu kommt der von uns und anderen im Zusammenhang mit den Snowden-Enthüllungen bekanntgewordene Ringtausch, der es ermöglicht, dass die Sicherheitsbehörden Daten, deren Verarbeitung im einen Land verboten ist, mit den Behörden eines anderen auszutauschen. Und darüber hinaus müssen noch die diversen Kooperationsgremien (wie Gemeinsames Extremismusabwehrzentrum-GETZ) mit ihren Arbeitsgruppen berücksichtigt werden, in deren Rahmen die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern Daten und Informationen austauschen (können), die nicht jede einzelne von ihnen hätte erheben dürfen.
Daher werde ich mich auf einen Grobüberblick der Sicherheitsbehörden und der wichtigsten Rechtsgrundlagen beschränken.
Gesetzlicher Auftrag der 19 Nachrichtendienste der Bundesrepublik ist das Sammeln und Auswerten von Informationen zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen, aber keine Strafverfolgung. Der dem Chef des Bundeskanzleramtes unterstehende BND ist der Auslandsnachrichtendienst. Er sammelt Informationen, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik sind. Das BfV untersteht dem Bundesministerium des Innern. Es ist ein Inlandsnachrichtendienst und für verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen sowie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland zuständig. Der MAD ist dem Bundesministerium der Verteidigung zugeordnet. Er klärt verfassungsfeindliche oder sicherheitsgefährdende Aktivitäten gegen die Bundeswehr auf. Hinzu kommen die 16 Verfassungsschutzämter der Länder, die den jeweiligen Landesinnenministerien unterstellt sind. Auch diese Trennung in Inlands- und Auslandesnachrichtendienst ist inzwischen vielfach durchbrochen und durch die technische Entwicklung selbst (Anschluss ist nicht mit Standort identisch, mobil geführte Gespräche laufen durch verschiedene Länder …) nur noch theoretisch existent. So agiert z.B. der BND bei seiner sog. strategischen Telekommunikationsüberwachung (§ 5 G 10-Gesetz), bei der er verdachtlos gebündelte internationale Telekommunikationsbeziehungen überwacht, in dem er Tausende Suchbegriffe bildet und nach denen die Telekommunikation mit bestimmten Länder durchsucht, ohne jede Rechtsgrundlage, da völlig unkontrollierbar ist, dass dabei nicht auch millionenfach die Telekommunikation deutscher Bürgerinnen und Bürger abgeschöpft wird.
Die Nachrichtendienste des Bundes können, neben der Überwachung des Post- und Telekommunikationsverkehrs, Vertrauensleute und Gewährspersonen einsetzen, Observationen durchführen, heimlich Bild- und Tonaufzeichnungen machen und andere sog. nachrichtendienstliche Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung einsetzen. Die Befugnisse sind in § 8 BVerfSchG ( http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bverfschg/gesamt.pdf ) geregelt, auf die die Gesetze über den BND ( http://www.gesetze-iminternet.de/bundesrecht/bndg/gesamt.pdf ) und den MAD ( http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/madg/gesamt.pdf ) verweisen. Die einzelnen Maßnahmen sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt, und die der Zustimmung des Bundesministeriums des Innern bedarf.
Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen ihnen hingegen nicht zu. Sie dürfen aufgrund des Trennungsgebotes von Polizei und Nachrichtendiensten auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden und ihre Erkenntnisse lediglich nach Maßgabe gesetzlicher Regelungen den zuständigen Polizeistellen zur Verfügung stellen. In der Praxis verschwimmt die Grenze jedoch zusehends.
Mit den beschriebenen Methoden der heimlichen Informationsbeschaffung wird gravierend in grundrechtlich geschützte Freiheiten eingegriffen werden, wie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz) oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz).
Die Nachrichtendienste unterliegen zwar theoretisch der Kontrolle des Deutschen Bundestages und seiner Gremien, insbesondere der des Parlamentarischen Kontrollgremium, der G10-Kommission und des Vertrauensgremiums des Haushaltsausschusses, praktisch erweisen sich diese jedoch als völlig unbrauchbar und die Geheimdienste als unkontrollierbar.
Neben den Geheimdiensten können die Polizeien von Bund und Ländern sowie der Zoll die Kommunikation überwachen. Vor allem Letzterer macht dabei auf Grundlage des § 23a des Zollfahndungsdienstgesetzes zusehends und exzessiv von seinen sehr weitgehenden Überwachungsbefugnissen (Einsatz sog. Stiller SMS, WLAN- und IMSI-Catcher, Funkzellenabfragen, etc.) Gebrauch. Das BKA wiederum führt auf der des § 100a der Strafprozessordnung oder dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) durch. In einem eigens dafür eingerichteten Zentrum (CC ITÜ) entwickelt das BKA zusammen mit privaten Dienstleistern (u.a. CSC Solutions Deutschland GmbH und Elaman Gamma) Überwachungs- und Spionagesoftware, für die als „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ (Quellen-TKÜ) bezeichneten massiven Eingriffe in das verfassungsrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis. Dabei wird auf dem Computer, mit der die zu überwachende Kommunikation getätigt wird, ein Programm installiert, welches die Kommunikation vor der Verschlüsselung mitschneidet und an die Ermittlungsbehörde übermittelt. Die technische Umsetzung ähnelt dabei derjenigen des Bundestrojaners, allerdings wird – laut Mitteilung der Bundesregierung – nur die Kommunikation überwacht und keine weiteren Daten erhoben. Inwieweit diese Quellen-TKÜ durch die Gesetze zur Telekommunikationsüberwachung rechtlich legitimiert ist oder einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen darstellt, ist mehr als umstritten. Weiterhin spielt insbesondere die seit 2005 in die Landespolizeigesetze von Bayern, Thüringen, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern aufgenommene Befugnis zur präventiv-polizeilichen Telekommunikationsüberwachung eine wichtige Rolle. Die Befugnis ermöglicht der Polizei, den Telefon- und E-Mail-Verkehr von Menschen, die keiner Straftat verdächtigt werden, mitzuschneiden bzw. sich aushändigen zu lassen. Als rechtliche Voraussetzung genügt, wenn jemand unwissentlich in den Umkreis eines Terrorverdächtigen kommt, sei es als Arbeitskollege oder Sportkamerad, Nachbar oder WG-Mitbewohner. Begrifflich fasst das novellierte Landespolizeirecht diesen Personenkreis als Kontakt- und Begleitpersonen. Für deren Überwachung bedarf es keiner nachweislich konkreten Gefahr. Bis zu fünf Monate E-Mail- und Telefon-Verkehr dürfen die Beamten erst auf Genehmigung eines Richters dann auch für die Staatsanwaltschaft gerichtsverwertbar aufbereiten und auswerten. Telekom und Vodafone berichteten in sogenannten Transparenzberichten, dass im Jahr 2013 fast 50.000 Anschlüsse von deutschen Sicherheitsbehörden angezapft worden sind. Damit kommen wir zu Ihrer zweiten Frage:
Telekommunikationsdiensteanbieter wurden zu diesem Zweck verpflichtet, zwei Monate lang alle Verkehrsdaten auf Vorrat zu sammeln. Daraus entsteht ein umfassendes Reservoir aller Telefonate, E-Mails und SMS, aus dem die Ermittler sich bei Bedarf bedienen können. Eine derartige weitgehende Ausforschung durften früher nur Geheimdienste betreiben.
Die Telekommunikationsanbieter sind ebenfalls verpflichtet, die technischen und sonstigen Voraussetzungen für einen Zugriff auf Kommunikationsvorgänge durch die Sicherheitsbehörden zu schaffen.
Ich hoffe Ihnen mit diesen Ausführungen zumindest etwas weiter geholfen zu haben. Sie sehen, die Materie ist komplex, um nicht zu sagen, völlig aus dem Ruder gelaufen. Von einem Innehalten oder einer Neubewertung der staatlichen Überwachung nach all den Snowden-Enthüllungen fehlt jede Spur. Wir brauchen nicht mehr Spitzelei und Kontrolle, sondern mehr Freiheit und Schutz der Privatsphäre. DIE LINKE fordert daher einen Paradigmenwechsel der deutschen und europäischen Innen- und Sicherheitspolitik. Die persönliche und individuelle Entfaltung der Bürgerinnen und Bürger und nicht deren vollständige Kontrolle muss endlich wieder Richtschnur der Politik werden.
Mit freundlichen Grüßen
Nicole Gohlke