Frage an Nezahat Baradari von Georg F. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geeehrte Frau Baradari,
was unternimmt die Politik gegen multiresistente Keime (MRSA)?
Massentierhaltung forciert deren Verbreitung (https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-11/antibiotika-resistenzen-bakterien-massentierhaltung-medizin-keime) .
Laut einer aktuellen Berechnung sterben europaweit etwa 33.000 Menschen pro Jahr infolge von Antibiotika-Resistenzen (https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(18)30605-4/fulltext ).
Viele der Keime sind für Menschen mit einem intakten Immunsystem harmlos (https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/multiresistente-keime-verursachen-in-europa-33-0000-todesfaellen-pro-jahr-a-1236984.html ).
Menschen mit einem schwachen, gar supprimiertem Immunsystem wie Organ/Gewebeempfänger sind den Keimen ausgeliefert, wie im Fall Wilhelm Beckmann.
Eine Lungentransplantation gab Hoffnung für den Bruder des Moderators. Bereits ein Jahr später stieß sein Körper das Organ ab und er musste in die Klinik zurück. ( https://www.bunte.de/stars/star-life/schicksalsgeschichten-der-stars/reinhold-beckmann-da-bricht-alles-sich-zusammen.html )
„Damit begann das Warten von vorn. Bis er die zweite Lunge erhielt, dauerte es wieder fast drei Monate“, erzählte Reinhold Beckmann der „Bild“-Zeitung. Weiter: Wilhelm fing sich sogenannte multiresistente Keime ein. „Mein Bruder besaß einfach keine Kraft mehr, den Keim zu besiegen. Die Ärzte sahen keine Chance, weil kein Antibiotikum anschlug." so Beckmann zur Bildzeitung ( https://www.bild.de/unterhaltung/leute/spricht-ueber-den-tod-seines-bruders-wilhelm-10727398.bild.html ).
Wilhelm verstarb.
Meine Fragen:
Sehen Sie die Ausbreitung von MRSA als Pest des 21. Jahrhunderts?
Wie hoch ist die Anzahl von Transplantierten in Deutschland, die im Schnitt an MRSA versterben
Werden Sie insb. Immunschwache (Alte) und Immunsupprimierte (Transplantierte) über die Risiken für ihr Leben im Detail informieren?
Sehen Sie sich als Politiker in der Schuld und Verpflichtung?
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr F.,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 12.01.2020 zum Thema multiresistente Erreger und Organtransplantationen, auf die ich Ihnen gerne Antworten möchte.
Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte das Robert-Koch-Institut eine neuerliche Studie zu Infektionen in deutschen Krankenhäusern. Daraus geht hervor, wie groß das Problem in Deutschland ist. Demnach kommt es jährlich zu etwa 300.000 bis 400.000 Krankenhausinfektionen. Die Zahl der durch Krankenhauskeime verursachten Todesfälle liegt bei schätzungsweise 10.000 bis 20.000 pro Jahr (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2019/14_2019.html). Nur ein Teil davon geht auf multiresistente Bakterien zurück. Die letzten belastbaren Zahlen stammen hierzu aus dem Jahr 2015: In Deutschland waren es demnach 54.509 Infektionen mit multiresistenten Bakterien und in Folge dessen 2.363 Todesfälle (vgl. https://doi.org/10.1016/S1473-3099(18)30605-4). Zahlen über Infektionen und infektionsbedingte Todesfälle nach Organtransplantationen sind nicht bekannt. Das bestätigt auch die Deutsche Stiftung für Organtransplantation und die "Deutsche Transplantationsgesellschaft".
Dennoch stimme ich Ihnen ohne Einschränkungen zu: Infektionen mit multiresistenten Erregern sind zweifelsfrei eine der größten Herausforderungen, vor der die Medizin heute steht – nicht nur bei Transplantationsoperationen. Patientinnen und Patienten mit geschwächten Immunsystem sind grundsätzlich anfällig für Infektionen. Wird eine solche durch multiresistente Bakterien ausgelöst und Antibiotika wirken nicht mehr, kann dies lebensbedrohlich sein.
Ursächlich für Antibiotikaresistenz sind allerdings ganz verschiedene Faktoren. Wie Sie richtig anmerken, ist ein Grund die übermäßige Antibiotikagabe in der Nutztierhaltung: Werden Antibiotika in großen Mengen verabreicht steigt der Selektionsdruck von Bakterien und es können schneller Multiresistenzen entstehen. Gleiches gilt allerdings auch für den Menschen. Die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie erläutert immer wieder, dass auch in der Humanmedizin oft zu schnell Antibiotika verschrieben werden und dass das eigenständige, zu frühe Absetzen zur Entwicklung von Resistenzen führen kann (vgl. https://www.dgi-net.de/weltantibiotikawoche-vom-18-bis-24-november-2019-weit-verbreitet-irrtuemer-rund-um-antibiotika-und-resistenzen/). Zuletzt ist es die stagnierende Entwicklung neuer Antibiotika, die Grund zur Sorge bereitet. Seit den 1970er Jahren konnten nur noch sehr wenige Antibiotikaklassen zur Marktreife für medizinische Produkte gebracht werden. Vor allem große Pharmakonzerne haben sich aufgrund mangelnder Rentabilität aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen (vgl. https://www.eca.europa.eu/Lists/ECADocuments/SR19_21/SR_Antimicrobial_resistance_DE.pdf)
Daher haben wir bereits in der Vergangenheit gehandelt: In Deutschland z.B. mit der Antibiotika-Resistenzstrategie 2020 (DART). Diese Strategie denkt die beschriebenen Problemstellungen zusammen – also sowohl menschliche als auch tierische Gesundheit, sowie Antibiotikaforschung – und sorgt für Lösungen. So zum Beispiel mit der 16. Novellierung des Arzneimittelgesetzes. Durch ein Überwachungssystem konnte die Antibiotikagabe in der Veterinärmedizin seit 2011 um 57 Prozent auf 733 Tonnen reduziert werden (vgl. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tiergesundheit/Tierarzneimittel/16.AMG-Novelle-Bericht.pdf;jsessionid=BFBBFE1B246DAE6CB73BD6C545528A25.1_cid367?__blob=publicationFile). Ähnliches konnte in der Humanmedizin erreicht werden. Durch Schulungen für Ärztinnen und Ärzte, sowie durch Informationskampagnen für Patientinnen und Patienten konnte auch hier der Antibiotikaeinsatz deutlich reduziert werden. Vor neun Jahren sind auf 1.000 Versicherte der Gesetzlichen Krankenkassen 562 Verordnungen entfallen. 2018 waren es nun mehr 446 – ein Rückgang von 21 Prozent (vgl. https://www.aok-bv.de/presse/dpa-ticker/index_22529.html). Bei Neugeborenen und Säuglingen (0 bis 1 Jahr) hat sich die Zahl der Verordnungen ebenfalls fast halbiert: Von relativ hohen 630 Verordnungen pro 1000 Versicherten im Jahr 2010 auf 320 Verordnungen im Jahr 2018.
Und auch in der Antibiotikaforschung konnten Fortschritte erwirkt werden. So fördert der Bund die Entwicklung neuer Antibiotika in den nächsten zehn Jahren mit 500 Millionen Euro. Durch gezielte internationale Kooperationen, wie der im Jahr 2018 eingesetzte Global AMR R&D Hub, wird Forschung vorangetrieben. Und in der europäischen Wirkstofferforschungsplattform ENABLE befinden sich aktuell ganze fünf potentielle antibiotische Arzneimittel gegen Bakterien in der Entwicklung (vgl. https://www.eca.europa.eu/Lists/ECADocuments/SR19_21/SR_Antimicrobial_resistance_DE.pdf).
Dennoch, und das zeigen auch die von Ihnen aufgeführten Statistiken, sind wir weiter in der Pflicht. Nach wie vor werden in der Tiermedizin, vor allem in der Geflügelmast, viel zu hohe Mengen Antibiotika eingesetzt – bedauerlicherweise auch hohe Mengen an Reserveantibiotika, also solche, die eigentlich nur im Notfall und nur in der Humanmedizin eingesetzt werden sollten. Auch die Entwicklung neuer Antibiotikaklassen erzielte, trotz großer Anstrengungen, noch nicht die gewünschten Resultate.
Im Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes 2019 zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz wird trotz Fortschritten im Tiersektor weiterhin eine Gesundheitsbedrohung für die EU festgestellt. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Maßnahmen der Kommission und der Agenturen zu einigen Fortschritten geführt haben – beispielsweise in Veterinär- und Lebensmittelfragen. Gleichwohl deutet bislang wenig darauf hin, dass die Gesundheitsbelastung durch Antibiotikaresistenz in der Europäischen Union verringert werden konnte.
Wir, als SPD-Bundestagsfraktion, nehmen diese Herausforderung sehr ernst. Wir werden uns daher weiter dafür einsetzen, den richtigen Weg, der nun eingeschlagen worden ist, fortzuführen. Und wir werden – Sie haben explizit die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag angeschrieben – weiter im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für schärfere Regulierungen bei der Antibiotikaabgabe in der Tiermast eintreten.
Dann, so glaube ich, lässt sich verhindern, dass multiresistente Erreger zu einer „Pest des 21. Jahrhunderts“ werden. Solange aber eine reelle Gefahr besteht, werden Patienten vor Operationen – auch vor Transplantations-OPs – selbstverständlich über mögliche Risiken aufgeklärt. Diese Aufklärung hat natürlich immer auch Informationen zu möglichen Infektionen zu umfassen.
Mit freundlichen Grüßen
Nezahat Baradari MdB