Frage an Nele Hirsch von Michael S. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Hirsch,
im Januar 2003 erklärte das BVerfG den § 1626a BGB, der unverheirateten Müttern die elterliche Alleinsorge zugesteht, für verfassungskonform und verwies die Regelung zur Prüfung an den Gesetzgeber weiter. Im Namen der Kreisgruppe Siegen-Wittgenstein des Väteraufbruch für Kinder e. V., und der überregionalen Siegener Selbsthilfegruppe für Opfer von Familientrennung möchte ich nachfragen, wie der Stand der Prüfung ist und welche Meinung Sie zum prinzipiell geteilten Sorgerecht für beide Eltern, unabhängig von Trauschein oder Trennung, haben. Ist ferner angedacht, die Einordnung lediger Eltern und Geschiedener, die nicht mit ihren Kindern in einem Haushalt leben, in die Steuerklasse 1, die die Unterhaltspflicht nicht berücksichtigt, zu ändern?
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Siebel
Lieber Michael Siebel,
bitte entschuldigen Sie meine verspätete Antwort, die leider auf einen bürointernen Kommunikationsfehler und der Rücksprache mit dem für diese Fragen zuständigen Fachpolitiker meiner Fraktion zurückzuführen ist.
Mit der 1998 in Kraft getretenen Reform des Kindschaftsrechts wurde ja das Sorge- und Umgangsrecht im Zusammenhang mit der Scheidung sowie in Bezug auf nichteheliche Väter neu geregelt. Die Reform des Kindschaftsrechts wurde unter Fachleuten und in der Öffentlichkeit kontrovers bis heute diskutiert und fand ihren vorläufigen Abschluss in
der FGG-Reform von 2007, die am 01.09.2009 in Kraft tritt.
Die PDS und heute DIE LINKE war und ist bemüht, Detailfragen zu diskutieren und einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten. Im Ergebnis dessen können wir auf folgende Positionen verweisen:
• Wir fordern die prinzipielle Gleichbehandlung von gemeinsamen Sorgerecht und alleinigem Sorgerecht (mit geregeltem Umgang) im gerichtlichen Verfahren, denn keine der Sorgerechtsformen ist per se kindeswohlfördernder als die andere. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das gemeinsame Sorgerecht im Falle einer Scheidung der Regelfall ist.
• Das gemeinsame Sorgerecht ist jedoch nur dann von Vorteil für die Kinder, wenn die Eltern sich bewusst dafür entscheiden und zur Kooperation bereit und in der Lage sind. In diesem Zusammenhang soll das Gericht in Konfliktsituationen den Versuch unternehmen, eine einvernehmliche Lösung eines elterlichen Konflikts zu finden, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Einvernehmliche Lösungen der Eltern müssen vom Gericht gebilligt werden. Gelingt eine Einigung nicht, muss das Gericht über eine einstweilige Anordnung nachdenken. Über das Umgangsrecht soll das Gericht in der Regel schnell entscheiden, damit der Kontakt zwischen Kind und einem umgangsberechtigten Elternteil aufrechterhalten bleibt und die Beziehung keinen Schaden nimmt. DIE LINKE kritisiert in diesem Zusammenhang aber, dass ein Rechtsmittel gegen eine vorläufige Entscheidung des Gerichts nicht gegeben ist und
lediglich auf die Möglichkeit der Hauptsacheverhandlung verwiesen wird.
• Eine Übertragung gegen den Willen eines Elternteils ist auszuschließen, da die gemeinsame Sorge im Interesse des Kindes ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern voraussetzt. Auch die Mutter kann ohne Bereitschaft des Vaters nicht mit ihm die Sorge teilen. Im Übrigen ist gerade in strittigen Fällen die Frage, wie weit der
Gesetzgeber wirklich eingreifen kann. Nicht nur die Durchsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge stößt an ihre Grenzen, sondern die Durchsetzung der tatsächlichen Übernahme von Verantwortung für ein Kind gegen den Willen eines Elternteiles.
• Nach dem neuen Gesetz kann jedoch die Vollstreckung von Sorge- und Umgangsentscheidungen „effektiver“ umgesetzt werden. Bei Verstößen gegen Umgangsentscheidungen kann das Gericht Ordnungsmittel verhängen. Diese können - anders als Zwangsmittel - auch noch nach Ablauf der Verpflichtung wegen Zeitablaufs festgesetzt und vollstreckt werden, wobei eine solche Sanktionierung im Interesse des Kindeswohls zweifelhaft sein dürfte, insbesondere, wenn verhängte Ordnungsgelder
nicht vollstreckt werden können und Ordnungshaft droht.
Mit der neuen Reform werden die Rechte nichtsorgeberechtigter Elternteile gestärkt. Es bleiben die Forderungen der LINKEN nach verbesserter Ausstattung der Behörden, vernünftige Besoldung der Verfahrensbeistände in Kindschaftssachen und die fehlenden Rechtsmittel bei vorläufigen Anordnungen zum Umgang.
Übrigens kann ich Ihnen nur empfehlen, sich an Jörn Wunderlich ( http://www.linksfraktion.de/mdb_wunderlich.php ) in solchen Fragen zu wenden. Er ist der zuständige Fachpolitiker meiner Fraktion in diesem Bereich.
Mit freundlichen Grüßen
Nele Hirsch