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Muhterem Aras
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Uwe M. •

Frage an Muhterem Aras von Uwe M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Aras,

die Grünen haben durch den Gutachter Prof. Meyer feststellen lassen, dass die Mischfinanzierung von S21 gegen die Verfassung verstößt. Nun wird durch den Ministerpräsidenten bekannt gegeben, dass man dieser gutachterlichen Feststellung nicht folgen will, sondern dem Druck der SPD, die ein Gegengutachten vorgelegt hat. Er spricht zwar von einem Patt, aber durch fortgesetzte Zahlungen handelt es sich schließlich nicht um ein Patt. Allerdings wurde von einem Vorbehalt bei dieser Zahlung berichtet.

Was ist dieser Vorbehalt nun wert?

Fragen:
1. Was tut die Ihre Landtagsfraktion, um die rechtliche Frage klären zu lassen; ist es hier nicht nötig, eine gerichtliche Klärung herbei zu führen?

2. Ist Ihre Fraktion nicht der Ansicht, dass eine gerichtliche Klärung dieser Rechtsfrage vor der Volksabstimmung am 27.11. über S21 erfolgen muss? Oder ist Ihre Fraktion der Meinung, dass eine nachhaltige Befriedung zum Bahnhofsprojekt möglich ist, wenn mit einer solchen Abstimmung eine offene Verfassungsrechtsfrage einfach miterledigt wird?

Die Baumfällungen am 1.10.10 im Schlosspark in Stuttgart wurden vom BUND als "geplanter Rechtsbruch" bezeichnet und es wurde Strafanzeige erstattet. In der Zeit wurde u.a. berichtet: "Die Bahn muss nun einen "Landschaftspflegerischen Ausführungsplan" vorlegen, indem sie zeigen muss, wie sie beide Arten zu schützen gedenkt." Bei weiteren Fällungen droht sonst den Projektleitern eine Strafzahlung von 250.000€.

Fragen:
3. Was ist aus der Strafanzeige geworden? - Wer bearbeitet sie?
4. Gibt es den "Landschaftspflegerischen Ausführungsplan" inzwischen und wie sieht diesen der BUND und das Umweltministerium

Können Sie diese Fragen selbst beantworten oder an wen leiten Sie diese weiter?

links hierzu.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-10/stuttgart21-juchtenkaefer-baumfaellungen
BUND: http://kopfbahnhof-21.de/index.php?id=110&tx_ttnews[tt_news]=549&tx_ttnews[backPid]=108&cHash=616a99586d

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mannke,

vielen Dank für Ihre Frage vom 23. September, in der Sie die Verfassungsmäßigkeit des Projektes Stuttgart 21 anzweifeln und zu Recht mehr Kostentransparenz vor der Volksabstimmung fordern.
Die Grüne Landtagsfraktion hat dazu eine Antwort erarbeitet, mit der ich Ihre Fragen beantworten möchte:

Wir hatten Anfang 2011 in der Opposition bei Prof. Meyer ein Gutachten über die Verfassungsmäßigkeit der Mischfinanzierung bei der Neubaustrecke Stuttgart-Wendlingen-Ulm bestellt. Das Gutachten bescheinigte dem Finanzierungsvertrag einen Verstoß gg. Art.104 a Abs. 1 GG. Daraufhin gab es die Aussage des damaligen Fraktionsvorsitzenden Winfried Kretschamnn, es werde keine Zahlungen des Landes für das Projekt geben, wenn wir regieren.

Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ist, dass wir die Neubaustrecke nicht mehr streitig stellen. Unabhängig von der Frage, ob wir denn Zugangsmöglichkeiten zu einer rechtlichen Klärung hätten, ist diese für die Neubaustrecke durch den Koalitionsvertrag politisch obsolet.

Prof. Meyer hat seine gutachterliche Aussage nach der Landtagswahl auch auf das eigentliche Projekt S21 (Tieferlegung des Bahnhofs) bezogen, mit identischem Ergebnis: Der FinV verstößt gegen Art. 104a Abs. 1 GG und der öffentlich-rechtliche (Finanzierungs-)Vertrag ist nach § 59 Abs. Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i.V.m. § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig.

(Hinweis: Ein anderer wichtiger Verfassungs- und Verwaltungsrechtlicher, Prof. Dolde, langjähriger Vertreter der CDU-Landesregierungen und der Stadt Stuttgart vertritt hier eine gegenteilige Auffassung. Ein gerichtliches Verfahren wäre völlig offen.)

Rechtspolitisch teilen wir die Einschätzung von Prof. Meyer grundsätzlich. In der politischen Praxis der Zuständigkeiten für die Planung und Finanzierung von Eisenbahninfrastruktur für Schienennah- und Mischverkehre (Fern und Nahverkehr benutzen die gleichen Einrichtungen) stellen sich aber nicht zu lösende Probleme. Denn die von Prof. Meyer aufgezeigten Argumente stehen der seit Jahren üblichen Finanzierungspraxis diametral gegenüber. Wenn nach der Regionalisierung der Bund für die Bundesschienenwege und die Länder für die Bestellung und Finanzierung von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr zuständig sind, gibt es unweigerlich Überschneidungsbereiche. Wir dürfen gleichzeitig nicht ausblenden, dass wir die z.B. die Südbahn elektrifizieren, die S-Bahn in weiteren Regionen ausbauen und verschiedene Bahnhofssanierungen (bspw. Bahnsteigverlängerung Lauchringen, Murrbahn (Waiblingen/Winnenden), Bahnsteigsanierung Filstalbahn, etc. getätigt sehen wollen. Das alles sind Maßnahmen, die eine Mischfinanzierung bedingen.

Rechtliche Bewertung:
Das BVerfG ist nur zuständig, wenn sich dies aus dem GG oder aus § 13 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) ergibt (sog. Enumerativprinzip):

Ein (abstraktes oder konkretes) Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG kommt nicht in Betracht, weil keine bundes- oder landesrechtliche Regelung, sondern ein Verstoß gegen das GG durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag - den FinV S 21 - Prüfungsgegenstand ist.

In Betracht käme ein verfassungsrechtliches Bund-Länder-Streitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG. Antragsteller für das Land kann indes nur die Landesregierung sein. Der Antrag setzt zudem einen entsprechenden Kabinettsbeschluss voraus.

Es geht aber im Wesentlichen um die Frage, ob das Land gegenüber dem Bahn-Konsortium zur Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen aus dem FinV - S 21 verpflichtet ist bzw. dieses Geleistetes zurückfordern kann.

Obgleich bei dieser Frage Verfassungsrecht, insbesondere Art. 104a Abs. 1 GG als Entscheidungsmaßstab herauszuziehen sein wird, geht es primär um keine verfassungsrechtliche Streitigkeit, sondern um eine einfachgesetzliche (vertragsrechtliche), die allerdings unter Beachtung von Verfassungsrecht zu beurteilen ist. Ein verfassungsrechtliches Bund-Länder-Streitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG scheidet daher aus.

Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG weist dem BVerfG noch die Zuständigkeit für nichtverfassungsrechtliche Bund-Länder-Streitverfahren zu. Hiernach entscheidet das Gericht in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten - nicht verfassungsrechtlicher Art - zwischen Bund und Land, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist.

Der Grundsatz der Subsidiarität eröffnet den Gang zum BVerfG also nur, wenn kein anderer Rechtsweg eröffnet ist. Nachdem es sich bei dem FinV jedoch um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handeln dürfte, wäre für das Land der allgemeine Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Auch ein nichtverfassungsrechtliches Bund-Länder-Streitverfahren kommt demzufolge nicht in Betracht.
Das Land müsste das bereits Geleistete demnach über eine allgemeine verwaltungsrechtliche Leistungsklage einfordern. Dass das Land zu keiner weiteren Zahlung verpflichtet ist, müsste das Land im Wege einer allgemeinen verwaltungsrechtlichen Feststellungsklage geltend machen.

Ein Kabinettsbeschluss zur Anrufung eines Gerichts lässt sich aber politisch nicht herbeiführen, weil innerhalb der Landesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien zu Stuttgart 21 entgegengesetzte Positionen vertreten werden. Die heftig umstrittene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit bzw. -Widrigkeit der Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 kann unter dieser Prämisse leider nicht letztinstanzlich gerichtlich geklärt werden.

Wichtiger Hinweis:
Die Landtagsfraktion der GRÜNEN wäre in dem nichtverfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streitverfahren vor dem BVerfG schon nicht parteifähig. Dies gilt auch für die verwaltungsrechtlichen Klagearten, weil sie nicht Vertragspartner der Finanzierungsverträge ist. Antragsbefugt wäre allein die Landesregierung durch entsprechenden Kabinettsbeschluss.
Hinsichtlich einer etwaigen Klage einzelner Abgeordneter stellt sich die Sachlage für uns allerdings weitaus schwieriger dar, zumal eine endgültige, rechtliche Klärung nur vom Bundesverfassungsgericht getroffen werden kann. Sie würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen, so dass sie nicht mehr vor der Volksabstimmung am 27. November erfolgen kann. Zudem wäre der Klageweg mit vielen Unwägbarkeiten und politischen Konflikten behaftet. So müssten die Abgeordneten unserer Fraktion ihre eigene Regierung vor dem Staatsgerichtshof verklagen, weil die Auszahlung von 50 Millionen Euro an die Deutsche Bahn (DB) AG möglicherweise die Rechte des Landtags verletzen. Ähnlich problematisch wäre eine Normenkontrollklage vor dem Staatsgerichtshof gegen das Haushaltsgesetz nach §68 Abs.1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 der Landesverfassung.

Die Grünen-Landtagsfraktion hat daher bis zuletzt auf politischem Wege versucht, das Bahnprojekt Stuttgart 21 noch zu stoppen. Doch leider fand unser Kündigungsgesetz im baden-württembergischen Landtag nicht die nötige Mehrheit, weil unser Koalitionspartner SPD mehrheitlich weiter auf die Realisierung von S 21 drängt. Mit dem Ausstieg hätten wir alle rechtlichen, finanziellen und verkehrspolitischen Risiken des Bahnprojektes beenden können.

Selbstverständlich werden wir weiterhin alles tun, um die Kostenrisiken des Projektes schonungslos aufzudecken. Bedauerlicherweise kommt die DB AG in diesem Punkt ihrer Informationspflicht bisher kaum nach. Bis heute wurden weder dem Ministerpräsidenten noch dem Verkehrsministerium alle 121 Kostenrisiken offen gelegt, obwohl wir Grünen dies gebetsmühlenartig gefordert haben. Immerhin musste die DB AG in der letzten Lenkungskreis-Sitzung am 23. September 2011 weitere Projekt- und Vergaberisiken in Höhe von 370 Millionen Euro einräumen.

Nach Auskunft des Verkehrsministeriums dürften die tatsächlichen Gesamtkosten inzwischen bei rund 4,4 Milliarden Euro liegen. Zudem wurden kalkulierte Preissteigerungen von rund 250 Millionen Euro einfach in den Risikopuffer mit eingerechnet.

Dazu wurden zahlreiche Kosten für Nachbesserungen aus dem Schlichterspruch (2. Gleis Flughafen, zusätzliche Signalisierung, Steg A und Baumverpflanzungen) ausgegliedert. Zu den erhöhten Transport- und Deponiekosten (maximales Risiko rund 130 Millionen Euro) schweigt sich die Bahn ebenso aus wie über die von SMA geforderten Infrastrukturmaßnahmen entlang der Bahnhöfe der Murrbahn.

Die Grünen-Landtagsfraktion hat diese Rechentricks wiederholt kritisiert und wird nun in einem Parlamentsantrag die Bahn auffordern, die noch offenen Kostenfragen vor der Volksabstimmung offenzulegen. Außerdem wollen wir zusammen mit der SPD den Kostendeckel von 4,526 Milliarden Euro noch einmal per Parlamentsbeschluss absichern.

Sie haben Recht, dass bezüglich der Baumfällungen das Umweltministerium und der BUND näher dran sind. Sie werden dort sicher auch eine Antwort bekommen.

Wir hoffen, dass wir Ihre Fragen hinreichend beantworten konnten und versichern Ihnen heute schon, dass wir die Kampagne des Aktionsbündnisses gegen S 21 zur Volksabstimmung tatkräftig unterstützen werden.

Wenn Sie noch weitere Fragen haben, schlage ich Ihnen vor, sich direkt über meine E-Mail-Adresse (Signatur) an mich zu wenden.

In diesem Sinne - Oben bleiben!

Muhterem Aras, MdL

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