Michaela Engelmeier
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Frage von Hans-Jürgen W. •

Frage an Michaela Engelmeier von Hans-Jürgen W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Frau Engelmeier,
meine Frage zielt auf Ihre Antwort zu einer früheren gestellten Frage an Sie. Es handelte sich dabei um den sogenannten Fraktionszwang.
Sie schrieben mir damals, da es so einen Zwang nicht geben würde und jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet ist.
Nun hatte aber die Bundeskanzlerin im Zuge der Abstimmung "Ehe für alle" den Fraktionszwang aufgehoben.[ Quelle Der Tagesspiegel vom 27.06.2017 Merkel hat für die von der SPD verlangte Bundestagsabstimmung den Fraktionszwang in der Union aufgehoben.]
Nun gilt das dann auch sicherlich für die SPD, den ich habe keinerlei Protest Ihrer Partei vernommen, denn das Ergebnis der Abstimmung war wohl schon vorher klar, wie zu lesen war.
Also gibt es doch den Fraktionszwang und Ihre damalige Antwort war somit nicht korrekt.
Ich bitte um Erklärung.
Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

H. W.

Michaela Engelmeier
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr W.,

zuerst einmal möchte ich Ihnen die Angst nehmen, dass Politiker und die Presse immer lügen und ihren Bürgern falsche Antworten geben. Ich freue mich, dass Sie mich über dieses Portal bitten, es Ihnen noch einmal erklären zu dürfen, wie das so ist mit den Abstimmungen im Deutschen Bundestag. Scheinbar haben sie mich beim letztem Mal nicht ganz verstanden, daher eine zusätzliche kleine Erläuterung zu Abstimmungen im Deutschen Bundestag und zum sogenannten „Fraktionszwang“.

In Deutschland geht in der Form einer parlamentarischen Demokratie die Macht vom Volke aus. Das Volk entscheidet in diesem Jahr am 24. September darüber, wer in unserem Land das Sagen hat. Die Partei, welche die meisten Stimmen auf sich vereinen kann, bekommt den Auftrag, die Regierung zu bilden. Hat sie keine absolute Mehrheit, muss sie sich einen Partner suchen. Das wird neben der Mehrheit der Mandate, die man erreichen muss, diejenige Fraktion sein, mit der es die meisten Übereinstimmungen für einen Koalitionsvertrag gibt. Dieser Koalitionsvertrag legt fest, wie sich die Partner zu Gesetzgebungsverfahren verhalten, um die Staatsgeschäfte gut zu gestalten. Für diesen Vertrag machen die Fraktionen Vorschläge, die verhandelt werden. In der parlamentarischen Arbeit werden diese Vorhaben im Detail realisiert, dabei kann jeder Abgeordnete im Sinne seiner Fraktion, aber auch als einzelner Abgeordneter seine Kompetenz und Sichtweisen einbringen, vollständig ohne Fraktionszwang.
Um ein Gesetz auf den Weg zu bringen, kommt hier wieder die Macht ins Spiel, weil es bedarf einer Mehrheit, um ein Gesetz zu verabschieden. Die Mehrheit des Bundestages, und nicht die Mehrheit der Fraktion oder Regierungskoaliton entscheidet, was beschlossen wird. Damit wird dem Abgeordnetengesetz Folge geleistet, demnach der Abgeordnete nur seinem Gewissen nach entscheidet.

In der Praxis ist es so, dass sich Fraktionen bilden, um für etwas zu sein, und nicht nur gegen etwas. Aus genau diesem Grund gibt es überhaupt Parteien, weil gebündelte Interessen plus Interessensvertreter eine stärkere Kraft für eine Entscheidung bilden können, als eine Einzelperson. Daher hat eine Fraktion durchaus eine Fraktionsdisziplin, sich an den geschlossenen Vertrag zu halten, selbst wenn man bei der einen oder der anderen Frage eine andere Auffassung hat. Die CDU hatte keineswegs die Einsicht, dass der Mindestlohn, der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende oder die Erwerbsminderungsrente gut sind, und auch wir fanden die Maut nicht richtig, und auch nicht die Haltung in der Frage die Sie besonders bewegt, die Ehe für Alle.

Umso mehr freue ich mich für Sie, dass es möglich war, die „Ehe für Alle“ mit der Mehrheit des Hauses noch in dieser Wahlperiode entscheiden zu können. Ob die Kanzlerin es ihrer Fraktion erlaubt oder nicht, war für uns als SPD nicht das Thema, da müssen Sie sich an die Fraktionsführung der CDU wenden. Die SPD hatte immer eine klare Haltung zum Thema Ehe für Alle, die wir auch in vielen Gesetzesänderungen deutlich gemacht haben. (Sie können die Debatten im Internet nachverfolgen)

Leider ist es Ihnen entgangen, dass es viele, scheinbar aber für die Medien unspektakulärere Entscheidungen in dieser Wahlperiode gegeben hat, die auch über die Fraktionsdisziplin hinaus gingen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen, um es Ihnen zu erklären.

Generell gibt es im Gesetzgebungsverfahren verschiedene Wege, bei denen es interfraktionelle Anträge und Abstimmungen gibt, auch das trägt dem Abgeordnetengesetz Rechnung. Als Beispiel möchte ich Ihnen die parlamentarische Befassung mit dem Thema Sterbehilfe nennen. Hier gab es sogenannte Gruppenanträge, bei denen sich Abgeordnete verschiedenster Fraktionen zwischen 4 Gesetzentwürfen positioniert haben, ganz ohne Fraktionszwang, allein ihrer Einschätzung, ihrem Gewissen und der Sache willen. Hier hat auch eine vielschichtige Konstellation am Ende die Mehrheit errungen, leider nicht der Antrag, den ich befürwortet habe. Aber das muss man in einer Demokratie akzeptieren, die Mehrheit ist aber wichtig, sonst gäbe es keine Entscheidungen. Das wäre nicht gut für unser Land und für Sie, weil solche Regierungen brechen, wie es uns Italien und Griechenland zeigen, schnell auseinander und zwingen die Bürger immer wieder zu Neuwahlen.

Ich persönlich habe eine Seltenheit in dieser Wahlperiode geschafft, und das ist das zweite Beispiel, einen Antrag in den Bundestag einzubringen, der einstimmig mit allen Fraktionen des Hauses verabschiedet wurde: ein Antrag zum Thema der Geburtenregistrierung. Alles ganz ohne Fraktionszwang, der Sache wegen. Das geht also auch. (da hat Frau Merkel sich noch nicht einmal eingemischt :))

Genauso handhabt sich das auch mit Gewissensentscheidungen, wenn ich einem Vorhaben im Parlament nicht zustimmen kann, dann mache ich das auch nicht, oder nutze die Möglichkeit einer persönlichen Erklärung, um mein Stimmverhalten zu erklären. Davon habe ich des Öfteren Gebrauch gemacht.

Seien Sie sich sicher, dass wir Abgeordnete mit Sachkompetenz und Lebenspraxis wissen, wie wir uns in unserem Abstimmungsverhalten positionieren. Und hier antworte ich Ihnen im Namen von uns Parlamentariern, dass wir sehr wohl alle möglichen Varianten nutzen, um eine richtige Entscheidung für unser Land zu treffen.
Die SPD hat übrigens eine große Beteiligungskultur für die Entscheidungen in der Kommune, im Land und auch im Bund. Daher ist sie für mich ein guter Wegweiser für meine politischen Entscheidungen. Also auch eine gute Wahl für den 24. September, gehen Sie unbedingt wählen.

Mit freundlichem Gruß
Michaela Engelmeier MdB