Frage an Michael Stoeter von Melanie B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Stoeter,
vielen Dank für die Antwort an meine Mutter. Entschuldigen Sie bitte, dass meine Mutter bei der Anrede ihren Doktortitel berücksichtigt hat.
Sie sind zugegeben ein sehr guter Rhetoriker.
Aber das Blindengeld ist doch de facto um 100 € gekürzt
worden (sie sprechen von "festgesetzt"). Und da Sie mit der SPD an der Regierung sind, haben Sie diese
Kürzung (in ihren Worten "Festsetzung") mitgetragen. Die Aufstockung um diese 117 € auf den bundesgesetzliche Höchstregelung auf 585 € ist aber nur möglich, wenn meine Oma auch im Sinne von SGB XII des Bundessozialhilfegesetzes als bedürftig anzusehen ist. D. h. es gelten die allgemeinen Einkommens- und Vermögensgrenzen der Sozialhilfe.
Nach den Landesblindengeldgesetzen wird das Blindengeld aber ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen des Blinden gewährt.
Da meine Oma (sie ist 82, war ihr Lebtag fleißig und hat 53 Jahre lang gearbeitet und in die Kassen einbezahlt!)
aber ein bißchen was angespart hat und eine kleines Häuschen hat in welchem wir leben, kommt Sie leider
nicht in den Genuss dieser Aufstockung.
Verstehen Sie bitte meinen bitteren Unterton.
Aber das finde ich nicht gerecht!
Wissen Sie die Kürzung des Blindengeldes in Berlin um 100 € stellt für unsere Familie, die eh am Existenzminimum knabbert, einen harten Schlag da.
Dann kommen noch Praxisgebühr, Arzeimittelaufwendung, Arztkosten, Wegfall der Pendlerpauschale ... und Mehrwertsteuererhöhung
im nächsten Jahr und da wird es für uns echt eng.
Ich glaub schon, dass es bei Ihnen in der PDS vernünftige Leute gibt.
Darum meine Fragen:
1. Warum koaliert ihr mit der SPD überhaupt und wollt ihr diese Koalition fortsetzen?
2. Finde euer soziales Profil gut, aber warum tut ihr nicht
mehr für die Familienförderung von Einheimischen?
Ich bin keine Rassistin, aber warum bekommen manche Zuzügler soviele Hilfen (z. B. Zuschüsse für Betriebe, die z. B. Spätaussiedler einstellen).
Mfg
Melanie Büttner
Sehr geehrte Frau Büttner,
zunächst: Ich habe in meinem Leben zu viele "Pfeifen" mit Doktortitel kennen gelernt, als dass ich dem Titel noch besondere Bedeutung beimessen könnte ;-) "Herr Stoeter" ist also vollkommen o.k.
Nun zum eigentlichen Thema: Ja, sie haben Recht, der Bundes"zuschuss" zum Blindengeld ist von der Bedürftigkeit des Empfängers abhängig. Vermögen, z.B. ein eigenes Häuschen oder Ersparnisse, kurz gesagt alles, was die berücksichtigungsfreien Beträge übersteigt, widerspricht der Bedürftigkeit, auch wenn es ehrlich verdient wurde. Das mag der Einzelne als ungerecht empfinden, aber diejenigen, die sonst für Zahlungen an Nicht-Bedürftige Steuern aufbringen müssten, werden diese Regelung eher als gerecht empfinden.
Durchsetzbar war jedoch innerhalb der Koalition, ein vermögensunabhängiges Blindengeld von Landesseite zu zahlen, was dem der westlichen Bundesländer in etwa entspricht. Der Finanzsenator, Herr Dr. Thilo Sarrazin, hatte sich mit seiner Vorstellung, nur den Brandenburgischen Satz von 266 EUR zu zahlen, nicht durchsetzen können. Soweit zur Strategie der Linkspartei, unter den Gegebenheiten das Bestmögliche für die Betroffenen herauszuholen.
Nun zu Ihrer Frage, warum die Linkspartei eine erneute Koalition mit der SPD ins Auge fasst. Gegenfrage: Mit wem sonst sollten wir koalieren? Mit der CDU, die den Berliner Finanz-Schlamassel maßgeblich angerichtet hat? Ich würde mit vielen Anderen in der Partei meine ganze Energie darein setzen, das zu verhüten. Für eine Koalition mit den Grünen (aus meiner Sicht zumindest entfernt denkbar) wird es den Wahlprognosen zufolge nicht reichen. Bei der in meinen Augen extrem konservativen und im eigentlichen Sinne neoliberalen Berliner FDP verstehe ich bis heute nicht, wie Bürger (außer ein paar Industrie-Mangern)ihr die Stimme geben können.
Eine Koalition ist selten eine Liebeshochzeit, eher eine "Vernunftehe auf Zeit". In diesem Sinne lautete und lautet die nüchterne Frage, der sich die Linkspartei stellen muss(te): Wieviel von unseren eigenen Vorstellungen können wir bei einer Regierungsbeteiligung realisieren, wieviel Schaden für die "kleinen Leute" in Berlin begrenzen oder gar abwenden, könnten wir in der Opposition mehr bewirken oder in der Regierung? Wie die Antwort im Jahre 2001 lautete, wissen wir. Wie sie im Jahre 2006 lauten wird, hängt ganz wesentlich von unserem Wahlergebnis ab. Und, dieser kleine Seitenhieb sei mir nach meinen Erfahrungen aus mehreren Bundesländern gestattet: Die SPD paart sich traditionell ohnedies mit dem, der die höchste "Mitgift"
mitbringt... Es ist also alles offen.
Mit herzlichem Gruß
M. Stoeter