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Michael Sauer
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Frage von Frank L. •

Frage an Michael Sauer von Frank L. bezüglich Verkehr

Lieber Michael Sauer,

in Hamburger Verkehrsunternehmen, ist es zurzeit gängige Praxis, in Folge der EU-Richtlinie 2001/85/EG über Vorschriften für Fahrzeuge zur Personenbeförderung mit mehr als acht Sitzplätzen und der Straßenverkehrszulassungsordnung von 2005 nur noch jeweils eine/n Rollstuhlfahrer/in zu befördern, da in fast allen Bussen nur ein Rollstuhl-Aufstellplatz in den Fahrzeugpapieren eingetragen ist.

Das führt seit August des letzten Jahres, wie ich auch vor wenigen Tagen auf der Linie 115 miterleben durfte, zu Rollstuhlfahrer/innen diskriminierendem Verhalten der Busfahrer/innen (-unternehmen).
Der Busfahrer weigerte sich einen zweiten Rollstuhlfahrer mitzunehmen. Und als es diesem, mit Unterstützung einzelner Fahrgäste gelang in den Bus zu gelangen, diese hinderten den Busfahrer durch körperlichen Einsatz daran die Rollstuhlrampe hochzuklappen, weigerte sich der Busfahrer cirka 10 Minuten lang weiterzufahren. Erst als die zweite Rollstuhlfahrerin den Bus wieder verließ fuhr der Busfahrer dann weiter.
Der Busfahrer berief sich dabei auf Anweisungen seines Arbeitgebers die ihn zwingen würden so zu handeln.

Ich denke eine sofort umzusetzende Maßnahme währe, wenn es nicht sofort möglich scheint auf allen Buslinien in sämtliche Bussen einen zweiten „sicheren“ Rollstuhlstellplatz einzubauen, dann sollten alle Busunternehmen im ÖPNV sofort verpflichtet werden die Taktzeit ihrer Busse zu halbieren und in „Stoßzeiten“ sogar zu dritteln. Doppelt und dreimal so viele Busse auf allen Linien nützen allen. Und schafft außerdem noch eine Menge Arbeitsplätze.

Was gedenken Sie in der künftigen Bürgerschaft dafür zu unternehmen, dass dieses diskriminierende Verhalten unverzüglich aufhört?
Was gedenken sie weiterhin dafür zu tun, dass Stattteile wie Osdorf (Osdorfer Born) und Steilshop endlich einen S-Bahnanschluss bekommen?

Mit freundlichen Grüßen
Frank Loeding

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Antwort von
DIE LINKE

Lieber Frank Loeding,

vielen Dank für Ihre Nachfragen. Beide Fragen möchte ich gerne etwas ausführlicher beantworten.

Der von ihnen geschilderte Vorfall in der Buslinie 115 ist mir so und ähnlich auch von anderen Buslinien bekannt geworden. Mein elfjähriger Sohn hat erst vor 14 Tagen über ein Erlebnis auf seiner Schulheimfahrt mit der Buslinie 250 von der Bleickenallee zum Altonaer Bahnhof berichtet. Eine Rollstuhlfahrerin wurde dort von 2 Fahrern abgewiesen und konnte erst nach über 30 Minuten mit einem "freien" Bus weiterfahren. Ihre Anfrage habe ich deshalb zum Anlass genommen mich mit Lösungsmöglichkeiten zu beschäftigen – wie ist es erreichbar, dass möglichst umgehend wieder 2 Rollstuhlfahrer in einem Linienbus der HVV transportiert werden können?

Seit Mitte August 2007 wird vom HVV in fast allen Bussen nur noch ein Rollstuhlnutzer mitgenommen. Den rechtlichen Hintergrund dafür bildet die EU-Richtlinie 2001/85/EG, die 2001 erlassen und 2005 in nationales Recht (§ 34a StVZO = Strassenverkehrszulassungsordnung) übernommen wurde. Fahrern und Betriebsleitern droht bei Zuwiderhandlung Bußgeld und ein Punkt in Flensburg. Die derzeitige Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2001/85/EG verstößt nach Ansicht der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen auf jeden Fall gegen die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU.
Fest steht, dass weder die EU-Richtlinie, noch die Umsetzung in deutsches Recht die Verkehrsbetriebe daran hindern, auch mehr als nur einen Rollstuhlplatz anzubieten. Die EU-Richtlinie besagt nur, dass Busse im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mindestens einen Platz für Rollstühle freihalten müssen. Dieser Platz muss gewissen Anforderungen nach der Größe und Höhe entsprechen sowie spezielle Sicherungsmaße aufweisen. Der geänderte Paragraf 34a StVZO legt aus-schließlich fest, dass in Bussen, die nach dem 1. Januar 2005 zugelassen wurden, nicht mehr Personen befördert werden dürfen, als im Fahrzeugschein Plätze eingetragen sind. Verstöße werden mit Bußgeldern (50 € für den Fahrer und 70 € für das Unternehmen) und einem Punkt für den Fahrer in der Flensburger Sünderkartei geahndet. Eine Beschränkung auf einen Rollstuhlplatz ist also nirgends festgeschrieben.
Aus der Antwort des Hamburger Senats auf eine schriftliche kleine Anfrage der GAL vom 25. September 2007 zu diesem Problem wird deutlich, dass die HVV vom Umbau von 1.000 Bussen ausgeht um weiterhin 2 Rollstuhlfahrer pro Bus zu befördern, was mit Gesamtkosten in Höhe von etwa 5 Millionen Euro verbunden wäre.
Andere Verkehrsbetriebe sind nicht so weit gegangen. In Hannover z. B. durften Ende 2007 "nur" solche Busse keinen zweiten Rollstuhlfahrer befördern, die nach dem 1.1.2005 zugelassen worden sind, aber nicht entsprechend ausgestattet waren. Bei den Hannoverschen Verkehrsbetrieben üstra waren dies ausgerechnet die 21 modernsten der insgesamt 135 Stadtbusse - ein mehr als unschöner Zustand, wie die Verantwortlichen schnell erkannten. Innerhalb kurzer Zeit ließen sie deshalb die 21 betroffenen Busse umrüsten. Eine feststehende Querbank wurde durch Klappsitze ersetzt, hier ist jetzt bei Bedarf (EUkonformer) Platz für einen zweiten Rollstuhl, oder - ein weiterer Vorteil - einen zweiten Kinderwagen. Wird der Platz nicht benötigt, können die Sitze heruntergeklappt und als solche genutzt werden. Der Umbau der Hannoveraner Busse kostete 4000 Euro pro Fahrzeug mit Gesamtkosten in Höhe von 84.000 €. Angesichts dieser Zusammenhänge und Zahlen werden die o. e. „Zahlenspiele“ des Senats zum Rätsel.
Als Mitglied der Bürgerschaft würde ich mich dafür einsetzten, das in allen Hamburger Linienbussen, die vor dem 1.1.2005 zugelassen wurden und entsprechend hergerichtet waren, auch weiterhin 2 Rollstuhlfahrer transportiert werden müssen. Alle seither neu angeschafften Busse sollten nach dem Hannoveraner Modell umgerüstet werden und alle neu angeschafften Busse sollten ab sofort mit mindestens 2 Rollstuhlplätzen EU-konform ausgerüstet werden. Die Mehrkosten werden trotzdem überschaubar und weit unter den vom Senat avisierten Kosten von 5. Mill € bleiben, wie das Hannoveraner Beispiel deutlich macht. Auf ihre zweite Frage zum S-Bahnanschluss von Osdorf und Steilshop (sie meinten sicherlich die Großsiedlung „Steilshoop“ am nördlichen Rand von Barmbek, zwischen Alsterdorf und Bramfeld gelegen) bleibt erstmal festzustellen das Steilshoop sehr gut an das S- und U-Bahnnetz angebunden ist und vielleicht durch ein dichteres Busnetz erschlossen werden müsste – so genau kenn ich mich aber östlich der Alster ehrlich gesagt als Altonaer nicht aus.

Von Osdorf und dem Osdorfer Born weiß ich mit Sicherheit, dass seit den 50er Jahren überlegt wird diesen Stadtteil mit U- und S-Bahnlinien zu erschliessen. Bei den Planungen für „Neu-Altona“ war alleine im Kerngebiet von Altona der Bau von 4 U-Bahnlinien geplant von denen jeweils 1 nach Lurup und Osdorf führen sollten. Real beseitigt worden ist seither das damals noch vorhandene dichte Netz von Strassenbahnlinien die in diese Stadtteile bereits erschlossen war. Als künftiger Bürgerschaftsabgeordneter würde ich den umgehenden Baubeginn eines schienengeführten öffentlichen Personennahverkehrs von Osdorf und Lurup mindestens zum Altonaer Bahnhof fordern. Ob man dieses Verkehrsmittel dann Straßenbahn oder Stadtbahn nennt oder auch mit einem ganz anderen Namen versieht ist mir egal.

Ich bin sicher, das schienengestützte Verkehrssysteme in der Stadt (sei es ober- oder unterirdisch) auch der Mehrheit der Bevölkerung von Hamburg eine höhere Mobilität und Flexibilität verschaffen würde. Die Beispiele anderer Großstädte wie Wien, Paris und San Francisco etc. beweisen das schon seit Jahrzehnten.

Ich hoffe, Sie mit meinen Antworten so überzeugt zu haben, das DIE LINKE. für Sie auch bei verkehrspolitischen Fragen zur ersten Wahl wird!

Mit freundlichen Grüßen
Michael Sauer