Frage an Michael Luther von Christine G. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrter Herr Dr. Luther,
als echte Zwickauerin grämt es mich kolossal, dass unsere Stadt ihre Kreisfreiheit verliert. Ich kann nicht verstehen, dass unsere öffentlichen Vertreter dieser Sache zugestimmt haben. Und der OB kehrt der Stadt nun den Rücken.
Glauben Sie tatsächlich, dass aufgrund der Zusammenschließung Gelder gespart werden?
Warum hat man die Bevölkerung zur Abstimmung nicht einbezogen? Die Plauener haben Charakter gezeigt. Das ist beachtlich. Und die Zwickauer , sie lassen sich einfach ihre hundertjährige Kreisfreiheit abschwatzen.
Haben Sie an der Abstimmung über die Kreisreform teilgenommen? Wenn ja, haben Sie zugestimmt?
Welche Gründe hatten Sie, so zu stimmen?
Mit freundlichen Grüßen
Christine Groschka
Sehr geehrte Frau Groschka,
vielen Dank für Ihre E-Mail zum Thema Verwaltungs- und Funktionalreform in Sachsen. Darin äußern Sie Ihre Bedenken zum Verlust der Kreisfreiheit Zwickaus.
Zunächst einmal habe ich Verständnis für Ihre Position. Ein Verlust oder ein „Weniger“ erfüllt uns immer zuerst mit Skepsis und Unbehagen. Das ist auch im Falle des Verlustes der Kreisfreiheit Zwickaus der Fall. Bei näherer Betrachtung hingegen stellt man fest, dass der Wegfall der Kreisfreiheit für Zwickau und für die Zwickauer Bürger kein Nachteil ist. Im Gegenteil, durch die intensiven Gespräche im Zuge des Anhörungsverfahrens wurde zugunsten Zwickaus massiv nachgebessert. Die Interessen Zwickaus wurden umfassend berücksichtigt. Durch eine Anschubfinanzierung von 10 Mio. Euro ist die Stadt in der Lage, Investitionen in großem Umfang zu tätigen, wie es bei Erhalt der Kreisfreiheit so nicht möglich gewesen wäre.
Zwickau wird als Kreisstadt des neuen Landkreises Zwickau – welcher aus den jetzigen Landkreisen Zwickauer und Chemnitzer Land sowie der Stadt Zwickau besteht – eindeutig gestärkt. Der neue Landkreis Zwickau wird mit über 350.000 Einwohnern der zweitgrößte Landkreis in Sachsen und der wirtschaftlich dynamischste. Von alldem ist Zwickau das Oberzentrum. Ein erheblicher Teil der Landkreisverwaltung wird in das jetzige Verwaltungszentrum der Stadt Zwickau einziehen. Die Stadtverwaltung wird hingegen wieder in die Innenstadt verlagert. Zwickau bekommt durch die Verwaltungsreform mehr Arbeitsplätze. Mehr Arbeitsplätze bedeuten mehr Kaufkraft in der Stadt. Das ist eine positive Entwicklung.
Der Stadtrat hat diese Chance erkannt und sich deshalb entsprechend positioniert. Diese demokratische Entscheidung muss auch Oberbürgermeister Vettermann akzeptieren.
Die Sächsische Staatsregierung führt diese Reform nicht um ihrer selbst Willen aus, sondern weil sie frühzeitig erkannt hat, dass diese Reform nötig ist, wenn wir auch weiterhin eine effiziente und bezahlbare Verwaltung in Sachsen haben möchten. Lassen Sie mich deshalb etwas ausführlicher auf den Hintergrund eingehen, der diese Verwaltungs- und Funktionalreform notwendig macht:
Die Bevölkerungsentwicklung des Freistaates Sachsen ist seit 1990 infolge eines tief greifenden demografischen Wandels von einem permanenten Einwohnerrückgang geprägt. Lebten im Freistaat Sachsen am 01.01.1990 noch 4,91 Mio. Personen, so waren es am 31.12.2005 nur noch 4,27 Mio. Personen. Für das Jahr 2020 ist durch das Statistische Landesamt in seiner Dritten Regionalisierten Bevölkerungsprognose eine Einwohnerzahl zwischen 3,69 und 3,79 Mio. prognostiziert. Dies würde einen Rückgang der Einwohnerzahl zwischen 1990 und 2020 von ca. 24 % und von 2005 bis 2020 von ca. 13 % bedeuten.
Auch die Kreisfreie Stadt Zwickau ist von dieser Entwicklung betroffen. Lebten am 31.12.2004 noch 98.700 Einwohner in der Stadt, werden es im Jahr 2020 nur noch 84.500 sein.
Der Verlust an Einwohnern wirkt sich zudem negativ auf die Altersstruktur aus. Zwar trägt das Anwachsen der Lebenserwartung dazu bei, einen Teil des Rückgangs auszugleichen, der aus der Abnahme der Geburtenzahl sowie aus einem negativen Saldo aus Zu- und Abwanderung folgt. Das bedeutet aber auch, dass der Rückgang der Einwohnerzahlen bei den jüngeren Altersgruppen noch größer sein wird, als es der Durchschnittswert von 24 % der Gesamtbevölkerung ausdrückt, da der Abwanderungstrend bei gut ausgebildeten jungen Menschen besonders hoch ist.
Das Durchschnittsalter im Freistaat Sachsen betrug im Jahr 1990 39,4 Jahre, im Jahr 2003 lag es bei 44,1 Jahren und wird für das Jahr 2020 auf knapp 49 Jahre prognostiziert. Wenn im Jahr 2003 sieben Landkreise und Kreisfreie Städte einen Altersdurchschnitt von über 45 Jahren hatten, so waren es im Jahr 2004 bereits 14 Landkreise und Kreisfreie Städte.
Die Zahl der Einwohner im erwerbsfähigen Alter (20 bis 60 Jahre) wird sich bis 2020 um ca. 22 % (Basis 2003) verringern. Dagegen ist bei der Zahl der über 60-jährigen ein Anstieg um ca. 11 % zu erwarten, während die Zahl der Einwohner unterhalb des Erwerbsfähigkeitsalters um ca. 26 % zurückgehen wird. Der Altenquotient im Freistaat Sachsen – d. h. der Anteil der Bevölkerung im Rentenalter im Verhältnis zu 100 Personen im Erwerbsalter – hat mit 52 im Jahr 2003 bereits einen Wert erreicht, der für den Durchschnitt der Bundesländer erst für ungefähr 2020 vorausberechnet worden ist. 2020 würde dann sogar jeder dritte Sachse 60 Jahre und älter sein.
Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Nachfrage nach Leistungen und damit auch auf den öffentlichen Dienst. Der Bedarf z. B. an Erziehern und Lehrern wird zurückgehen, bei Kultur- und Freizeitangeboten für Ältere, bei Haushaltshilfen, bei Heil- und Pflegeberufen u. a. wird es zusätzliche Nachfrage geben. Belastungen der Renten- und Pensionskassen, der Krankenkassen und der Sozialdienste sind weitere Folgen der demografischen Entwicklung.
Für die Landkreise und Kreisfreien Städte bedeutet die aufgezeigte demografische Entwicklung, einerseits mit sinkenden Einnahmen rechnen zu müssen und andererseits mit steigenden Ausgaben. Durch die geringeren Einwohnerzahlen und durch den steigenden Anteil wirtschaftlich nicht mehr in dem Maße aktiver Altersgruppen werden die Einnahmen aus dem Finanzausgleich sowie aus Steuern, Gebühren usw. sinken. Zudem werden ab 2009 die Solidarpaktmittel stetig sinken, was den Kostendruck zusätzlich erhöht.
Verwaltung und Infrastrukturausstattung müssen auf die veränderten Bedingungen ausgerichtet werden. Die Vorschläge zur Verwaltungs- und Funktionalreform im Freistaat Sachsen stellen deshalb aus meiner Sicht eine notwendige Maßnahme dar.
Die Verwaltungs- und Funktionalreform wurde im Januar 2008 im Sächsischen Landtag beschlossen. Als Bundestagsabgeordneter habe ich folglich nicht an dieser Abstimmung teilgenommen, wenngleich ich das Ergebnis begrüße.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Michael Luther