Frage an Michael Luther von Ulrich Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Luther,
das Antidiskriminierungsgesetz ist, besonders in Bezug auf das Arbeitsrecht gegenüber der Vorgaben der EU durch die Bundesregierung weiter verschärft worden. Es schafft Rechtsunsicherheit und führt zu einer verdeckten Diskriminierung (siehe Frankreich), da eine offene Auseinandersetzung mit Randgruppen dazu führen kann, dass jeder Bewerber oder Beschäftigte auch bei geringfügigen Äußerungen oder im Bagatellfall die Möglichkeit hat, eine (für den Arbeitgeber kostenintensive) Klage gegen bestimmte Handlungen oder Aussagen des Arbeitgebers zu führen, und das ohne eigenes Risiko. Es ist nach wenigen Wochen des Inkrafttretens zu bemerken, dass sich die Gesellschaft mit einer doppelbödigen Moral gegen dieses Gesetz zu schützen versucht. Unternehmensberater empfehlen schon Strategien, wie dieses Gesetz umgangen werden kann. Welche Blüten derartige Gesetze treiben kann, sieht man am deutlichsten z.B. bei den Persönlichkeitsrechten am sogenannten "Zeugniscode" der Personalchefs, der euphemistisch die realen Personaleigenschaften verschlüsselt und noch mehr diskriminiert. Meine Fragen an Sie gehen dahin, warum hat man die EU-Vorgaben nicht 1:1 ins nationale Recht übergeführt und warum schützt man die Gesellschaft und besonders den Mittelstand nicht vor dem Prozessrisiko, das aus diesen Gesetzen erwächst, zumal noch keine Spruchpraxis existiert. Sie haben diesem Gesetz zugestimmt, warum ?
mit freundlichen Grüßen
Ulrich Zenker
Sehr geehrter Herr Zenker,
vielen Dank für Ihre E-Mail zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Lassen Sie mich dazu wie folgt Stellung nehmen:
Die Umsetzung der noch von der rot-grünen Bundesregierung ausgehandelten EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in deutsches Recht war europarechtlich geboten. Jeder weitere Verzug hätte hohe Strafzahlungen für die Bundesrepublik Deutschland zur Folge gehabt (bis zu 900.000 Euro pro Tag). Die Umsetzung erfolgte dieser EU-Richtlinien nun in Form des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Unmittelbar nach der Erörterung des AGG im Koalitionsausschuss am 1. Mai 2006, bei der CDU und CSU bereits erhebliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen rot-grünen Gesetzentwurf erzielen konnten, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Verhandlungen mit dem Koalitionspartner aufgenommen, um weitere Verbesserungen bei dem aus unserer Sicht immer noch unbefriedigenden Entwurf durchzusetzen. Dabei konnte ein entscheidender Durchbruch erzielt werden. Die Fraktionsspitze hat wesentliche Änderungen erreicht, die das AGG in Kernanwendungsbereichen deutlich verbessern. Diese Änderungen orientieren sich an der Stellungnahme des Bundesrates und berücksichtigen daher auch die Anregungen der Länder.
Folgende Forderungen der Unionsfraktion wurden zusätzlich durchgesetzt: 1. Für die Vermietung von Wohnraum wird klargestellt, dass es sich jedenfalls dann nicht um ein Massengeschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG handelt, wenn ein Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet. Private Vermieter fallen damit in aller Regel nicht unter das allgemeine zivilrechtliche Gleichbehandlungsgebot. In einem bedeutenden Bereich der privaten Alltagsgeschäfte ist damit die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gewahrt. Mieter können weiterhin nach individuellen Kriterien ausgesucht werden.
2. Zur Erhaltung einer aktiven, auf soziale Stabilität ausgerichteten Wohnungspolitik wurde zudem vereinbart, dass eine unterschiedliche Behandlung bei der Wohnraumvermietung zur Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen zulässig bleibt. Die Regelung trägt dem hohen sozial- und integrationspolitischen Stellenwert stabiler Bewohner- und ausgewogener Siedlungsstrukturen Rechnung.
3. Die besondere Beweislastregelung des § 22 AGG zum Nachweis einer Benachteiligung wurde deutlich zu Lasten der Anspruchsteller geändert. Anders als bislang vorgesehen, müssen nunmehr die Indizien bewiesen – und nicht nur „glaubhaft gemacht“ – werden, aus denen sich die Vermutung einer verbotenen Benachteiligung ergibt. Damit wurde die Schwelle zur Geltendmachung von Rechten aus dem AGG deutlich erhöht.
4. Das Merkmal „Weltanschauung“ fällt nicht mehr unter den zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz. Damit wurde das Gleichbehandlungsgesetz von einem schwer fassbaren Diskriminierungstatbestand befreit, der insbesondere obskuren Vereinigungen als Schlupfloch hätte dienen können. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen in diesem Bereich ist damit gewahrt.
5. Der gesamte Bereich des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes wird vom Anwendungsbereich des AGG ausgenommen. Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, findet ausschließlich das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.
6. Ein zusätzliches Klagerecht des Betriebsrates oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft besteht nicht in Kleinbetrieben außerhalb des Anwendungsbereiches des Betriebsverfassungsgesetzes. Darüber hinaus ist es auf grobe Verstöße des Arbeitgebers beschränkt. Ansprüche der Benachteiligten können weder durch den Betriebsrat noch durch die Gewerkschaften gerichtlich geltend gemacht werden.
7. Die Möglichkeit, Antidiskriminierungsverbände als Prozess-Bevollmächtigte der Betroffenen in gerichtlichen Verfahren auftreten zu lassen, wurde gestrichen.
8. Die Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG wurde von 3 Monaten auf 2 Monate reduziert. Mit den Änderungen werden überflüssige Belastungen für das Wirtschafts- und Rechtsleben verhindert. Den berechtigten Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft wird damit Rechnung getragen. Aus einem für uns problematischen Gesetz wird damit noch kein gutes Gesetz. Aber unser beharrlicher Einsatz hat zu ganz entscheidenden Verbesserungen geführt.
Daher konnte die CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetz nun doch zustimmen. Auch mir ist natürlich bewusst, dass einige Vorschriften des AGG derzeit missbräuchlich benutzt werden und so teilweise nicht die erhoffte Wirkung haben. Daher bin ich persönlich der Meinung, dass das AGG wie jedes andere, umfangreiche Gesetz nach einiger Zeit evaluiert und gegebenenfalls in einigen Details geändert werden sollte.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen. Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Luther