Frage an Michael Luther von Eberhard S. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrter Herr Luther,
ich finde es bemerkenswert, wie die Stadt Zwickau weiter unter die Räder der ehemaligen Bezirksstadt Karl-Marx-Stadt geraten soll.
Hier zwei Beispiele aus der Vergangenheit:
Zwickau hatte (wie Ingolstadt) über fast 200 Jahre eine eigenständige Zeitung mit großem Einzugsbereich. Nach 1945 ging daraus die Freien Presse hervor. Mit Beschluß der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt wurde festgelegt, dass die Zeitung ab 1.1.1963 nach Karl-Marx-Stadt kommt. Die "Volksstimme" aus Karl-Marx-Stadt wurde aufgegeben. Es gab bereits zu viele "Volksstimmen" in den DDR Großstädten. Natürlich war Zwickau damit auch den Verlag los!
1983, zum 150-jährigen Jubiläum der Stadtkapelle Chemnitz, wurde auf Betreiben des damaligen Generalmusikdirektors Dieter Gerhard Worm und der SED-Bezirksleitung diese in "Robert Schumann Philharmonie" umbenannt. Und das, obgleich Robert Schumann zu Chemnitz in keinerlei Beziehung stand. Wohingegen die Theater in Zwickau und Plauen aufgrund fehlender Mittel zusammengehen müssen, unterhält Chemnitz noch heute, gestützt durch den von der SED betriebenen Namensklau ein 120-Mann-Orchester. Geschätztes Budget: Steuermittel 5 Mio EURO / Jahr !!!
Es geht noch weiter:
Technische Hochschule Zwickau / Uni Chemnitz-Zwickau und und und...
Wie sind in diesem Kontext Ihre Einstellung und die der Zwickauer CDU bezüglich der geplanten Abschaffung der Kreisfreiheit der Stadt Zwickau und was werden Sie und Ihre Partei unternehmen, um den Versuch einer Deklassierung der Stadt Zwickau abzuwenden ?
Mit freundlichen Grüßen
Eberhard Sonntag
Sehr geehrter Herr Sonntag,
vielen Dank für Ihre E-Mail zum Thema Verwaltungs- und Funktionalreform in Sachsen. Darin stellen Sie die Frage nach meiner Position zur vorgesehenen Aufhebung der Kreisfreiheit Zwickaus.
Lassen Sie mich zunächst auf den Hintergrund eingehen, der eine Verwaltungs- und Funktionalreform notwendig macht:
Die Bevölkerungsentwicklung des Freistaates Sachsen ist seit 1990 infolge eines tief greifenden demografischen Wandels von einem permanenten Einwohnerrückgang geprägt. Lebten im Freistaat Sachsen am 01.01.1990 noch 4,91 Mio. Personen, so waren es am 31.12.2005 nur noch 4,27 Mio. Personen. Für das Jahr 2020 ist durch das Statistische Landesamt in seiner Dritten Regionalisierten Bevölkerungsprognose eine Einwohnerzahl zwischen 3,69 und 3,79 Mio. prognostiziert. Dies würde einen Rückgang der Einwohnerzahl zwischen 1990 und 2020 von ca. 24 % und von 2005 bis 2020 von ca. 13 % bedeuten.^
Auch^ die Kreisfreie^ Stadt^ Zwickau ist^ von dieser Entwicklung betroffen. Lebten am 31.12.2004 noch 98.700 Einwohner in der Stadt, werden es im Jahr 2020 nur noch 84.500 sein.
Der Verlust an Einwohnern wirkt sich zudem negativ auf die Altersstruktur aus. Zwar trägt das Anwachsen der Lebenserwartung dazu bei, einen Teil des Rückgangs auszugleichen, der aus der Abnahme der Geburtenzahl sowie aus einem negativen Saldo aus Zu- und Abwanderung folgt. Das bedeutet aber auch, dass der Rückgang der Einwohnerzahlen bei den jüngeren Altersgruppen noch größer sein wird, als es der Durchschnittswert von 24 % der Gesamtbevölkerung ausdrückt, da der Abwanderungstrend bei gut ausgebildeten jungen Menschen besonders hoch ist. Das Durchschnittsalter im Freistaat Sachsen betrug im Jahr 1990 39,4 Jahre, im Jahr 2003 lag es bei 44,1 Jahren und wird für das Jahr 2020 auf knapp 49 Jahre prognostiziert. Wenn im Jahr 2003 sieben Landkreise und Kreisfreie Städte einen Altersdurchschnitt von über 45 Jahren hatten, so waren es im Jahr 2004 bereits 14 Landkreise und Kreisfreie Städte.
Die Zahl der Einwohner im erwerbsfähigen Alter (20 bis 60 Jahre) wird sich bis 2020 um ca. 22 % (Basis 2003) verringern. Dagegen ist bei der Zahl der über 60-jährigen ein Anstieg um ca. 11 % zu erwarten, während die Zahl der Einwohner unterhalb des Erwerbsfähigkeitsalters um ca. 26 % zurückgehen wird. Der Altenquotient im Freistaat Sachsen -- d. h. der Anteil der Bevölkerung im Rentenalter im Verhältnis zu 100 Personen im Erwerbsalter -- hat mit 52 im Jahr 2003 bereits einen Wert erreicht, der für den Durchschnitt der Bundesländer erst für ungefähr 2020 vorausberechnet worden ist. 2020 würde dann sogar jeder dritte Sachse 60 Jahre und älter sein.^ Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Nachfrage nach Leistungen und damit auch auf den öffentlichen Dienst. Der Bedarf z. B. an Erziehern und Lehrern wird zurückgehen, bei Kultur- und Freizeitangeboten für Ältere, bei Haushaltshilfen, bei Heil- und Pflegeberufen u. a. wird es zusätzliche Nachfrage geben. Belastungen der Renten- und Pensionskassen, der Krankenkassen und der Sozialdienste sind weitere Folgen der demografischen Entwicklung.^
Für die Landkreise und Kreisfreien Städte bedeutet die aufgezeigte demografische Entwicklung, einerseits mit sinkenden Einnahmen rechnen zu müssen und andererseits mit steigenden Ausgaben. Durch die geringeren Einwohnerzahlen und durch den steigenden Anteil wirtschaftlich nicht mehr in dem Maße aktiver Altersgruppen werden die Einnahmen aus dem Finanzausgleich sowie aus Steuern, Gebühren usw. sinken.
Verwaltung und Infrastrukturausstattung müssen auf die veränderten Bedingungen ausgerichtet werden. Die Vorschläge zur Verwaltungs- und Funktionalreform im Freistaat Sachsen stellen deshalb aus meiner Sicht eine notwendige Maßnahme dar.
Den geplanten Wegfall der Kreisfreiheit Zwickaus hingegen sehe ich sehr kritisch. Für mich ist eine "Einkreisung" Zwickaus nur akzeptabel, wenn folgende Punkte erfüllt sind:
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1. Die Finanzausstattung der Stadt Zwickau muss derart gestaltet sein, dass sie als kreisangehörige Gemeinde die ihr obliegenden oberzentralen Funktionen im Interesse des gesamten neuen Landkreises wahrnehmen kann. Das bedeutet, dass das zukünftige Finanzausgleichsgesetz (FAG) so gestaltet werden muss, dass die Stadt Zwickau zukünftig dauerhaft das Geld erhalten muss, was sie heute abzüglich des Kreisaufgabenanteils bekommt.
2. Im weiteren muss klar definiert werden, welches Personal momentan die Kreisaufgaben der Stadt wahrnimmt. Dieses muss dann zeitgleich mit dem Personalübergang aus den beiden Landkreisen in die neue Kreisverwaltung übergehen.
3. Kein Landkreis ist Schuldenfrei. Deshalb muss auch ein entsprechender Verschuldensanteil von der Stadt auf den neuen Landkreis übertragen werden. Mein Vorschlag wäre hier ein von der durchschnittlichen Pro-Kopf-Verschuldung aller Landkreise in Sachsen ausgehenden Betrag analog zur Einwohnerzahl der Stadt Zwickau zum Stichtag der Kreisgründung zu übertragen.
4. Auch das Thema Kulturraumgesetz sollte angesprochen werden. Das Theater Plauen-Zwickau muss erhalten bleiben. Dies mag für Teile des Landkreises Chemnitzer Land, die sich mehr an Chemnitz gebunden fühlen, nicht das zentrale Anliegen sein. Für die Region um Zwickau ist das aber ein politisch wichtiges Themenfeld.
5. Ebenso muss man den Verlust der Trägerschaft der Sparkasse als einen Problempunkt bewerten, der ebenfalls hinsichtlich der finanziellen Folgen für die Stadt einer Lösung bedarf.
6. Auch die anderen Fragen wie Leitstelle und Planungsverband sollten angesprochen werden.
Ich erachte es als meine Aufgabe und die der Zwickauer CDU, neben dem erfolgreichen Lösen der objektiven Probleme, die Vorteile der neuen Verwaltungsstruktur für die Bürger und für eine effektiv Handlungsfähige Verwaltung zu erklären und dafür auch zu werben. Das geht von der Fragestellung, ob der Bürger befürchten muss, durch eine Landkreisverwaltung und durch einen Kreistag schlechter verwaltet zu werden, als durch Stadtverwaltung und Stadtrat heute, bis hin zu der Frage, ob ein wirtschaftlich starker Landkreis im Konzert der drei großen sächsischen Städte, Dresden, Leipzig und Chemnitz bessere Chancen für den eigenen Arbeitplatz bietet, als die heutige Kleinstaaterei.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Luther