Frage an Michael Kretschmer von Mike-Axel J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kretschmer,
da Sie im Ausschuß Angelegenheiten der europäischen Union sitzen, können Sie mir bestimmt folgende Frage beantworten:
Die Europäische Union ist laut Staatenlehre nicht als Staat zu definieren,
da sie 1. kein eigenes Staatsgebiet besitzt
2. kein eigenes Staatsvolk hat
3. nicht verfasst ist
und jetzt die Frage:
Warum darf dieses Gebilde dann in wichtige Entscheidungen der Länder Europas eingreifen ohne den Souverän das Volk zu fragen?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Mike-Axel Jäger
Sehr geehrter Herr Jäger,
zunächst muss ich Ihnen mitteilen, dass ich als stellvertretendes Mitglied vom Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union in den Finanzausschuss gewechselt bin. Darüber hinaus liegt mein Arbeitsschwerpunkt im Bereich der Bildung und Forschung, ich bin also kein ausgemachter Experte für die Beantwortung Ihrer Frage. Trotzdem möchte ich versuchen, in aller Kürze auf sie einzugehen. Denn Sie haben recht: ein Staat im herkömmlichen Sinne ist die EU nicht, sie ist aber auch mehr als eine bloße Freihandelszone.
Die Europäische Union wird als Staatenbund eigener Prägung bezeichnet. Diese Sonderstellung leitet sich aus der Geschichte her; beginnend mit einem Abkommen über die Zusammenarbeit in der Schwerindustrie bis zum Vertrag von Lissabon, der ab 2009 der Union Gestalt geben soll, hat man unter EG bzw. EU stets etwas unterschiedliches verstanden. Die Europäische Union ist eher als ein Prozess zu sehen, dessen Hauptziel die Integration, also die Vertiefung der Beziehungen der europäischen Staaten zueinander ist. Sicherung des Friedens, die Überwindung der Teilung Europas und die Stärkung des Kontinents im Wettbewerb mit anderen großen Wirtschaftsmächten, wie den USA oder China, sind die Motive, die den Prozess vorantreiben.
Allerdings wäre Integration nicht möglich, ohne dass Souveränität von den Nationalstaaten zugunsten der Gemeinschaft aufgegeben worden wäre. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum ohne Zollschranken, eine gemeinsame Währung oder gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sind nur möglich geworden, weil Kompetenzen der Mitgliedsländer auf einer höheren institutionellen Ebene gebündelt worden sind.
Eine spannende Frage, die Sie aufgreifen, ist die nach der Legitimation der auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen. Zunächst einmal werden die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes direkt vom Volk gewählt. Allerdings teilt es sich die gesetzgebende Funktion mit dem Rat der EU (auch „Ministerrat“), welcher als Vertreter nationaler Interessen im Auftrag der Regierungen der Mitgliedsstaaten fungiert und auch exekutive Kompetenzen innehat. Daneben kommt der Volkswille nur sehr mittelbar im Europäischen Rat zum Ausdruck: dieser besteht aus den, in Deutschland indirekt, gewählten Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer. Der Vertrag von Lissabon sieht vor, dieses Demokratiedefizit unter anderem durch die Möglichkeit von Volksbegehren auf europäischer Ebene zu mindern, außerdem sollen die Entscheidungen des Ministerrates transparenter gemacht werden.
Sie sehen, sehr geehrter Herr Jäger, die Europäische Union ist ständigem Wandel ausgesetzt. Es liegt an unserer Generation, diesen Wandel mitzugestalten und in erfolgreiche Bahnen zu lenken.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Kretschmer