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Michael Cramer
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Frage von Marco S. •

Frage an Michael Cramer von Marco S. bezüglich Verbraucherschutz

Ein flottes Hüh-Hott Herr Cramer,

Sie wollen als Zugpferd im EU-Parlament den Karren aus dem Dreck ziehen. Das ist metaphorisch schön gewählt.
Um bei der Metapher zu bleiben, wie schätzen Sie ihre eigene Pferdestärke und die der europäischen Grünen-Fraktion ein? Was können Sie tatsächlich bewirken? Ich bitte um eine realistische, keine optimistische Einschätzung.

Das Parlament ist ein ressourcenbindender Verwaltungsapparat, der Beschlüsse des EU-Rates oder einer der tausend Kommissionen zu wirtschaftsliberalisierenden Regelungen durchwinkt. Natürlich nicht ohne vorher ausgiebig darüber zu palavern. Am Ende gewinnen dann immer die Konzerne oder Interessenverbände, die ihre Lobbyisten vor Ort am besten bezahlen. Wo ist da der Wille des Volkes vertreten?

Eine europäische Verfassung wäre eine tolle Sache – symbolisch gesehen. Es haben ja auch schon so viele Staaten zugestimmt. Ist es nicht erschreckend peinlich, dass die Länder, in denen tatsächlich das Volk darüber abgestimmt hat, nicht dazu gehören?

Der Euro wurde zum Erfolg geboxt. Für den „Verbraucher“! ...ist es eine bequeme Sache; für einen liberalen Kapitalismus aber einfach nur Voraussetzung. Theoretisch hat ein europaweiter Markt vielleicht auch für den Verbraucher einen Nutzen. Was kommt denn, von den realisierten Effektivitätssteigerungen der Konzerne, bei IHM noch an? Die Preise für Mobilfunk im Ausland würden im letzten Jahr eu-weit gedeckelt. Wie konnten die Mobilfunkanbieter vorher jahrelang diese absolut ungerechtfertigten Preis durchsetzen?

EU-Erweiterung ist im wesentlichen eine Markterweiterung und dient der Gewinnmaximierung einiger Konzerne. Das die Preise dabei moderat sinken ist konkurrenzbedingt und wird durch Preisabsprachen erfolgreich im Zaum gehalten.

Eine „gerechte“ europäische Gesellschaft ist doch nicht möglich, wenn man es wenigen Wirtschaftsmächtigen überlässt, die Regeln festzulegen. Wie könnte das jemals geändert werden?

Ihr Programm hat passende Ansätze, deshalb meine erste Frage.

Gruß
Schmidt

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihre kritischen Gedanken und Fragen zu diesen zentralen Themen. Zu meinem Wortspiel habe ich mich ja bereits am 2.Juni geäußert, hier nun die Beantwortung Ihrer inhaltlichen Fragen.

Zunächst zur europäischen Grünen Fraktion. Wir rechnen uns bei der kommenden Europawahl sehr gute Chancen aus. Die Prognosen gehen davon aus, dass wir Grünen unseren Stimmenanteil gegenüber der letzten Wahl sogar noch vergrößern werden. Dies wird es uns ermöglichen, weiterhin unsere aktive Rolle im Europäischen Parlament wahrzunehmen. Auch wenn wir dort nicht die Mehrheit stellen, so haben wir doch auf Grund der heterogenen Zusammensetzung mehr Koalitionsmöglichkeiten als in den nationalen Parlamenten. Dies hat es uns auch in letzter Zeit ermöglicht, wichtige Gesetze durchzubringen. Beispielsweise hat das Europäische Parlament Anfang April endgültig dem Bericht der grünen Europa-Abgeordneten Eva Lichtenberger zur Zukunft der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) zugestimmt.

Das Europäische Parlament ist die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit und vertritt als solche rund 490 Mio. Unionsbürgerinnen und Bürger. Seit Ende der siebziger Jahre hat es gewaltig an Bedeutung gewonnen. Ich stimme Ihnen zu, dass die Kompetenzen des Parlaments und damit der Einfluss der Wählerinnen und Wähler noch nicht weit genug gehen. Aus diesem Grund ist mir der Vertrag von Lissabon ein wichtiges Anliegen, denn durch ihn wird seine Einflussnahme zusätzlich gestärkt. Schon heute jedoch ist das Parlament kein zahnloser Tiger. Beispielsweise konnte es 2004 die Ernennung des konservativen italienischen Politikers Rocco Buttiglione als Justizkommissar verhindern, indem die grüne, die sozialdemokratische und die liberale Fraktion im Parlament mit einer Ablehnung der vorgeschlagenen Kommission drohten. Daraufhin wurde der liberalere Franco Frattini zum Justizkommissar designiert.

Die Tatsache, dass sowohl der Verfassungs- als auch der Lissabonvertrag in Volksabstimmungen abgelehnt wurden, ist tatsächlich erschreckend. Jedoch lag dies weniger an den Vertragsinhalten, die vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht hinreichend bekannt waren, als an den Abstimmungsmodalitäten. Da die Abstimmung in den Mitgliedstaaten jeweils einzeln erfolgte, entwickelte sich keine nennenswerte Debatte über die Verträge auf europäischer Ebene. Stattdessen wurde die europäische Thematik von der nationalen Politik überlagert, was sich auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat. Von uns Grünen kam daher der Vorschlag, eine europaweite Volksabstimmung über den Lissabonvertrag an einem Tag durchzuführen. Dies hätte die europäische Dimension in den Vordergrund gerückt. Leider fand dieser Vorschlag keine Mehrheit.

Hinsichtlich der Verbraucherinteressen gebe ich Ihnen Recht, dass diese in den politischen Entscheidungsprozessen der EU häufig zu kurz kommen. Darum wollen wir Grüne Europas Verbraucherinnen und Verbraucher stärken und den gemeinsamen Marktplatz mit einer mutigen Verbraucherpolitik voranbringen. Sicherer, ökologischer und fairer sollen Produkte, Dienstleistungen und Handelswege werden. Zu diesem Zweck wollen wir beispielsweise eine Richtlinie für Verbraucherinformation einführen. Wir wollen Sammelklagen europaweit möglich machen und ein modernes Verbraucherrecht für Europa entwickeln. Außerdem soll die Querschnittsaufgabe Verbraucherpolitik durch einen Ausbau der Generaldirektion Verbraucherschutz in der Europäischen Kommission und ein Bündel verbraucherorientierter Vorhaben gestärkt werden.

Mitnichten ist die Erweiterung der EU eine reine Markterweiterung im Sinne weniger großer Unternehmen. Daher bekennen wir Grüne uns zum Fortgang des Erweiterungsprozesses. Dabei müssen jedoch die Anforderungen an die beitrittswilligen Staaten, wie sie in den “Kopenhagener Kriterien” definiert sind, unbedingt erfüllt werden. Erst wenn in diesen Staaten eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung hergestellt, die Wahrung der Menschenrechte und der Schutz der Minderheiten gesichert sowie die Regelungen der EU übernommen sind, kann es konkrete Beitrittstermine geben. In diesem Sinne stehen wir für verlässliche und faire Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie für eine EU, die ihrer besonderen Verantwortung für den westlichen Balkan nachkommt. Für diese Positionen der Grünen möchte ich mich auch in den kommenden fünf Jahren einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen,

Michael Cramer