Frage an Michael Cramer von Paul R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Cramer,
zunächst die Beantwortung nach der Haltung zum Lissabonvertrag aus Sicht Ihrer kleinen ökologischen Konkurrenzpartei ödp zum Vertrag von Lissabon, die sich im Wesentlichen der selben Argumente wie die Mehrheit der Linken bedient:
Im Wesentlichen sind dies folgende Argumente:
"Das Europa, das der Vertrag von Lissabon bauen will, ist einseitig auf eine neoliberale Wirtschaft und auf die militärische Sicherung unserer Rohstoffquellen, besonders des Öls, ausgerichtet. (...)"
"Wussten Sie, dass in Zukunft kein Parlament mehr über Krieg und Frieden entscheidet, weder das EU-Parlament, noch der Bundestag.(...)"
"Wussten Sie, dass nach dem Vertrag von Lissabon Tötungen (d.h. auch Hinrichtungen) erlaubt sind, wenn sie zur Niederschlagung einer Revolution oder eines Aufruhrs "nötig" sind? (...)"
(Quelle: Statement von Prof. Buchner (Bundesvorsitzender der ödp) ; Dessen Antworten in Gänze unter:
http://www.kandidatenwatch.de/prof_dr_klaus_buchner-120-16370.html#q143490 )
Wie stehen Sie bzw. die Grünen zu diesen Argumenten?
Mit freundlichen Grüßen
Paul Rapp, Berlin
Sehr geerhter Herr Rapp,
herzlichen Dank für Ihre Fragen. Im Folgenden werde ich Sie einzeln beantworten.
"Das Europa, das der Vertrag von Lissabon bauen will, ist einseitig auf eine neoliberale Wirtschaft und auf die militärische Sicherung unserer Rohstoffquellen, besonders des Öls, ausgerichtet. (...)"
Dieser Behauptung einer einseitig neoliberalen Wirtschaft möchte ich widersprechen. Bereits in Art.2, Absatz 3 des EUV werden eine soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung sowie sozialer Fortschritt als Ziele der EU festgeschrieben. Des Weiteren heißt es dort über deren Rolle: „Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten". Darüber hinaus verlangt die soziale Querschnittsklausel, dass alle Rechtsakte künftig auf ihre Sozialverträglichkeit hin überprüft werden müssen (Art. 5a AEUV): "Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung." Der freie Binnenmarkt ist einer der Grundpfeiler der EU. Dies bedeutet jedoch nicht nur einen Zuwachs an unternehmerischer Freiheit, sondern auch, dass UnionsbürgerInnen in jedem Land der EU studieren, arbeiten und leben dürfen. Für den Ausbau der sozialen Rechte werden wir weiter kämpfen, aber der Lissaboner Vertrag macht einen guten Anfang.
"Wussten Sie, dass in Zukunft kein Parlament mehr über Krieg und Frieden entscheidet, weder das EU-Parlament, noch der Bundestag.(...)"
Der Vertrag von Lissabon bindet die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) an die Charta der Vereinten Nationen und erwähnt gleichberechtigt zivile und militärische Fähigkeiten. Artikel 1 Kapitel 1 der Charta der Vereinten Nationen formuliert deren Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. In Kapitel VI werden die Mitgliedstaaten zur friedlichen Beilegung von Konflikten verpflichtet. Militärmissionen sind nur im Auftrag der Völkergemeinschaft durch ein UNO-Mandat zu ermöglichen. Von Militarisierung kann daher keine Rede sein. Solche Bestimmungen finden sich in keiner anderen Verfassung.
Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten im Vertrag von Lissabon, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern, sehen auch wir kritisch. Da es sich jedoch um einen rechtlich unverbindlichen Appell handelt, besteht kein Grund zu der Annahme, dass er einer massiven Aufrüstung führen wird. Verteidigungsfragen bleiben zuallererst nationalstaatliche Fragen. Wir Grüne werden uns auch zukünftig dafür einsetzen, Mehrfachstrukturen in den Streitkräften der Mitgliedstaaten zu reduzieren und die Gesamtkosten der Verteidigungshaushalte in der EU zu senken.
"Wussten Sie, dass nach dem Vertrag von Lissabon Tötungen (d.h. auch Hinrichtungen) erlaubt sind, wenn sie zur Niederschlagung einer Revolution oder eines Aufruhrs nötig sind? (...)"
Dies stimmt nicht, das Gegenteil ist der Fall. Durch einen Verweis im Vertrag von Lissabon wird die Grundrechtecharta für alle Mitgliedstaaten außer Großbritannien und Polen rechtsverbindlich. Diese Charta orientiert sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention und enthält die auf Ebene der Union geltenden Grundrechte. In 54 Artikeln werden den UnionsbürgerInnen umfassende Rechte zugesichert, die im Schutzbereich weiter gehen als die Rechte im deutschen Grundgesetz. Neben den klassischen Bürgerrechten sichern sie auch den Verbraucherschutz, den Datenschutz, ein „Recht auf eine gute Verwaltung“ sowie weitgehende Rechte von Kindern, Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen. Artikel II-61 VVE enthält den Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dieser schließt die Hinrichtung von Menschen aus.
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Cramer, MdEP