Frage an Mechthild Dyckmans von Birgit J. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Dyckmans,
Sie haben gestern dem ESM zugestimmt.
In diesem Zusammenhang habe ich einige Fragen, welche Sie mir sicherlich beantworten können.
Im Artikel 1 wird von 700 Mrd Stammkapital gesprochen. Dieses Stammkapital kann jedoch auf Beschluss des Gouverneursrates (Artikel 10) jederzeit erhöht werden. Eine Zustimmung der nationalen Parlamente ist hierzu nicht notwendig.
Wie wollen Sie unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt noch einen nationalen Haushalt erstellen?
Wie wollen Sie Machtmissbrauch des Gouverneursrat verhindern?
Wie wollen Sie verhindern, dass wir über das Maß hinaus zur Kasse gebeten werden, weil wir überstimmt werden?
Im Artikel 9 Absatz 3 steht, dass wir auf Anordnung innerhalb von 7 Tagen zahlen müssen.
Es ist aufgrund der aktuellen deutschen Eckdaten nicht auszuschließen, dass wir ebenfalls herab gestuft werden, wenn bei uns die Wirtschaft schlechter läuft. Eine kurzfristige Geldbeschaffung verteuert das Geld und würde somit auch für uns die Kosten hoch treiben.
Wie sollen solche Risiken abgefangen werden?
Selbst wenn bei uns alles optimal läuft, werden wir mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für unsere Bürgschaften zahlen müssen.
Wo wollen Sie diese Gelder einsparen?
Frau Merkel hat in Brüssel bereits neue Zusagen gegeben.
Wie sollen die jüngsten Beschlüsse aus Brüssel in den Vertrag einfließen?
Bereits heute sind viele Bürger entsetzt über das Abstimmungsergebnis, weil in Deutschland massiv gespart wurde und es bereits heute eine soziale Schieflage gibt. Ich nenne hier nur mal ein Beispiel: bereits heute sind 800000 Haushalte zeitweise ohne Strom, weil sie aufgrund ihres niedrigen Einkommens die Rechnung nicht mehr zahlen können.
Wie wollen Sie verhindern, dass diese Beschlüsse zu sozialen Unruhen führen oder eine Vielzahl von Protestwählern unerfahrene oder weniger demokratische Parteien wählen?
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Jacob
Sehr geehrte Frau Jacob,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 30. Juni 2012 zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).
Der ESM soll über 80 Mrd. Euro eingezahltes Kapital verfügen und über 620 Mrd. Euro abrufbares Kapital, welches haushaltsrechtlich in Form von Garantien bereitgestellt wird. Es handelt sich hierbei um „grundsätzlich“ genehmigtes Stammkapital in Höhe von insgesamt 700 Mrd. Euro, welches nach Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 ESM-Vertrag zwingend zum Nennwert ausgegeben werden muss. In Art. 8 Abs. 5 ESM-Vertag ist klar geregelt, dass die Haftung eines Mitgliedstaates unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital beschränkt bleibt. Der deutsche Anteil beträgt rund 190 Mrd. Euro.
Im Artikel 9 Absatz 3 des ESM-Vertrags heißt es: „Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen.“ Dieser Passus bezieht sich auf bereits genehmigtes Kapital, welches bereits durch die nationalen Parlamente bzw. Regierungen zugesagt wurde. Hierdurch soll die Handlungsfähigkeit des ESM gewährleistet und einer etwaig aufkommenden schlechten Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten vorgebeugt werden.
Über Veränderungen des genehmigten Stammkapitals und eine eventuelle Anpassung des maximalen Darlehnsvolumens des ESM entscheidet der Gouverneursrat, bestehend aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets. Dies ist kein unabhängiges Gremium, welches autonome Entscheidungen über europäische Steuergelder treffen kann. Alle wesentlichen Entscheidungen werden grundsätzlich einstimmig durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen – Deutschland hat jederzeit ein Vetorecht. Dem Deutschen Bundestag soll dieses Vetorecht faktisch übertragen werden, indem wir dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat einen Parlamentsvorbehalt vorschalten. Auf diese Weise muss sich der deutsche Vertreter zunächst die Zustimmung des Bundestages einholen, bevor er einer möglichen Ausweitung zustimmen kann. Sollte der Bundestag diese Zustimmung verweigern, muss der deutsche Vertreter mit Nein stimmen und kann damit eine Ausweitung von Hilfen im Rahmen des ESM effektiv verhindern.
Der beste Weg, einer Herabstufung entgegenzuwirken, ist eine solide Haushaltsführung. Der Haushaltsentwurf 2013 trotzt der Staatsschuldenkrise. Drei Jahre früher als vom Grundgesetz vorgegeben kann der Bund bereits im Jahr 2013 und nicht erst 2016 das Ziel für die Obergrenze des strukturellen Defizits (0,35 Prozent des BIP) erreichen. Die Koalition übererfüllt damit die verfassungsmäßigen Vorgaben. Standfestigkeit, klare Orientierung und
Augenmaß im Zusammenspiel von Wachstums- und Konsolidierungspolitik scheinen sich auszuzahlen.
Die Beschlüsse, welche der Europäische Rat bei seinem Treffen am 28. und 29. Juni 2012 getroffen hat, müssen noch festgeschrieben werden. Dies wird voraussichtlich beim nächsten Treffen der Finanzminister der Eurozone geschehen. Die getroffenen Entscheidungen haben allerdings keine Auswirkungen auf die Beschlusslage der vom Bundestag am 29. Juni 2012 verabschiedeten Gesetze zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und Fiskalpakt.
Abschließend kann ich Ihnen versichern, dass ich mich auch bei künftigen Abstimmungen für eine stabile Währung in Deutschland und Europa einsetzen werde.
Mit freundlichen Grüßen
Mechthild Dyckmans