Frage an Max Stadler von Jürgen H. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Dr. Stadler,
in Ihrer Reaktion vom 02.09.2009 auf meine Fragen haben Sie diese als kompliziert dargestellt, um 2 Wochen Zeit gebeten und eine gründliche Antwort in Aussicht gestellt.
Meine Fragen waren bewußt so gestellt, dass grundsätzlich jeder politisch Interessierte in der Lage ist, diese beantworten zu können. Sie sind keinem bestimmten speziellen Fachbereich zuzuordnen. Wenn überhaupt, dann gehören sie am ehesten in Ihr Fachgebiet Innen- und Rechtspolitik, für das Sie innerhalb der FDP-Fraktion zuständig sind.
Der Zusammenbruch der DDR und die Gestaltung der Einheit Deutschlands waren Ereignisse, von denen man sicherlich zu Recht annehmen darf, dass sie von der politischen Klasse mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme miterlebt worden ist. Um Fragen im Zusammenhang mit eben diesem Ereignis geht es in meiner Bitte um Beantwortung.
Fragen 1 bis 3 sind mit Ja oder mit Nein beantwortbar. Dafür braucht es kein Fachwissen aus Ausschüssen oder Ministerien.
Mit Frage 4 richte ich mich an Sie als erfahrenen Politiker, der zudem noch eine wesentliche Funktion im Parlamentarischen Kontrollgremium innehat. Nach meinem Wissen handelt es sich bei diesem um ein Organ der Legislative, das die Arbeit der Exekutive überwachen soll.
Wie erhält ein Gesetz Gesetzeskraft? Was darf die Exekutive nach der Verabschiedung des Gesetzes daran noch ändern?
Es ist die Krux, daß so etwas im Falle der DDR-Flüchtlinge, die vor dem Zusammenbruch der DDR in Westdeutschland ihre rechtsstaatlich geordnete Eingliederung erfahren haben, sehr wohl geschehen ist, ohne daß es jemand gemerkt hat. Der Bundestag hat dem zu keiner Zeit zugestimmt. Und überall wird behauptet, daß das alles rechtens sei. Bisher haben erst wenige Abgeordnete erkannt, daß hier eine Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien geschehen ist.
Darf ich darauf hoffen, doch noch eine (wirkliche) Antwort von Ihnen zu erhalten? Viele Betroffene warten darauf.
Mit freundlichen Grüßen,
Jürgen Holdefleiß
Sehr geehrter Herr Dr. Holdefleiß,
wie Sie wissen, hat sich die FDP-Bundestagsfraktion seit längerem mit der rentenrechtlichen Behandlung von Übersiedlern aus der DDR vor 1990 beschäftigt. Unter anderem haben wir uns mit der kleinen Anfrage „Rentenberechnung für Übersiedler“ (BT-Drs. 16/5571) und mit einer schriftlichen Frage von mir an die Bundesregierung gewandt.
Mir sind keine konkreten Hinweise zum Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bekannt, welche den Willen der Vertragspartner im Hinblick auf den Geltungsumfang des Rentenüberleitungsgesetzes erkennen lassen. Sicherlich hatten die Vertragspartner in erster Linie die rentenrechtliche Behandlung der in der damaligen DDR wohnhaften Bürgerinnen und Bürger vor Augen.
Noch beim Abschluss des Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom 18. Mai 1990 ging man vom Fortbestehen zweier Staaten aus, weshalb auch die rentenrechtliche Behandlung von bereits übergesiedelten Versicherten nicht thematisiert wurde. Im später folgenden Einigungsvertrag war es hingegen ein wesentliches Anliegen, eine in Deutschland einheitliche Geltung des Rentenrechts nach der Regelungssystematik des SGB VI herbeizuführen. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtung des Wortlauts von Art. 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages ist jedenfalls nicht zu erkennen, warum diese Regelung und auf ihrer Grundlage zu erlassende Bundesgesetze nicht auch auf sog. Bestandsübersiedler anzuwenden sind.
In der Folge sind mehrere Bundesgesetze erlassen worden, die die Überleitung von Renten in den Anwendungsbereich des SGB VI regeln, darunter das Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) und das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz (Rü-ErgG). Das RÜG regelt in § 1 den Kreis der Anspruchsberechtigten. Zu den Voraussetzungen gehört, dass die Personen am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten. Daneben sah § 259 a SGB VI in der Fassung des RÜG aus Vertrauensschutzgründen die weitere Anwendung der Tabellenentgelte nach dem Fremdrentengesetz für Renten vor, die vor dem 1. Januar 1996 beginnen. Lediglich die nach diesem Stichtag erfolgenden Rentenzugänge sollten dem RÜG unterfallen.
Mit dem Rü-ErgG ist § 259 a SGB VI zum 1. Januar 1992 dahingehend geändert worden, dass die Tabellenentgelte nach dem Fremdrentenrecht nur noch für die rentennahen Jahrgänge gelten, also für die vor dem 1.1.1937 geborene Versicherten. Das Eingreifen oder Nichteingreifen dieser Vertrauensschutzregelung hat auch keine Auswirkungen auf die Behandlung von Bestandssiedlern als Bundesbürger oder DDR-Bürger. Insgesamt waren die in die Bundesrepublik eingegliederten Übersiedler zum Zeitpunkt des
Beitritts der DDR nicht als damalige DDR-Bürger anzusehen.
Die Regelung § 259 a SGB VI ist von dem Bundessozialgericht und dem Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet worden. Vielmehr ist festgestellt worden, dass die Stichtags- und Vertrauensschutzregelung nicht gegen den Eigentumsschutz des Artikels 14 Grundgesetzt verstößt. Die gutgeschriebenen Anwartschaften nach dem Fremdrentengesetz unterfallen nicht dem Eigentumsschutz des Artikel 14, denn die Rentenanwartschaften aus den Tabellenentgelten nach dem Fremdrentengesetz erfolgten nicht auf einer eigenen Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung, sondern waren in der Höhe politisch festgelegt.
In Art. 38 RÜG in der Fassung des Art. 14 des RÜG-ErgG waren die bisherigen Feststellungsbescheide über die Eingliederung der DDR-Übersiedler und Flüchtlinge dahingehend zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Rentenrecht übereinstimmen. Es handelt sich um eine Sonderreglung, wonach Aufhebung der Feststellungsbescheide in Abweichung der Vorschriften des SGB X ohne Anhörung der Betroffenen und ohne Einhaltung bestimmter Fristen mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgt.
Es besteht somit eine rechtlich wirksame Grundlage, was die rechtenrechtliche Behandlung der Anwartschaften der Bestandsübersiedler betrifft. An dieses Recht sind die Exekutive bzw. die Rentenversicherungsträger gebunden. Gegen eine falsche Rechtsanwendung ist ggf. gerichtlich vorzugehen.
Wie Sie wissen, halten wir die rentenrechtliche Situation für viele Übersiedler vor 1990 insgesamt für nicht zufriedenstellend und haben deshalb einen Lösungsvorschlag erarbeitet, der sich an diejenigen Bestandsübersiedler richtet, deren Rentenanwartschaften durch die Rechtsumstellung verringert wurden. Unser Antrag (BT-Drs. 16/11236) ist von der Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnt worden.
Mit freundlichen Grüßen
Max Stadler