Frage an Max Stadler von Jörn B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Stadler,
ich habe eine relativ große Übereinstimmung mit den Positionen der FDP festgestellt. Nur bin ich vielleicht in manchen Fragen ein wenig konservativer (gesellschaftspolitisch), aber wirtschaftspolitisch eindeutig der FDP am nächsten (ich bin wirtschaftsliberal, vlelleicht etwas zu marktpuristisch). Nun hat mir jemand in einem Diskussionsforum folgenden Auszug aus den Freiburger Thesen zukommen lassen: "Heute konzentriert sich der Zuwachs an Produktivkapital aus Gewinnen in den Händen weniger Kapitalbesitzer. Das ist gesellschaftspolitisch gefährlich, sozial ungerecht und mit den liberalen Forderungen nach Gleichheit der Lebenschancen und nach optimalen Bedingungen für die persönliche Selbstentfaltung nicht vereinbar. Liberale Vermögensbildungspolitik zielt deshalb auf eine gleichmäßigere Vermögensverteilung und zwar nicht durch einen einmaligen Akt der Korrektur bestehender Verhältnisse, sondern vielmehr durch die ständige Beteiligung breiter Schichten insbesondere am Zuwachs des Produktivvermögens.
Die allgemeine Sparförderung hebt ebenso wie eine nur innerbetriebliche Gewinnbeteiligung die bestehende Ungleichheit der Beteiligung am Zuwachs des Produktivvermögens nicht auf. Wir brauchen deshalb Beteiligungsformen, die den Vermögenszuwachs unmittelbar und für alle erfassen. Das ist nur über ein überbetriebliches Beteiligungssystem möglich, das den laufenden Zuwachs am Produktivkapital sozial gerechter verteilt."
Ich war etwas enttäuscht, weil ich von der FDP eigentlich einen weniger sozialistischen Kurs erwartet hätte.Wie kann man eine solche Politik als liberal bezeichnen (Erhöhung der Staatsquote)? Das sind doch eindeutig Positionen der SPD, wenn ich mich nicht irre. Wie steht die FDP heute zu dieser Aussage? Gibt es innerhalb der FDP (noch) Anhänger dieser Aussage? Ich wäre Ihnen sehr dankbar wenn Sie dazu Stellung beziehen und meine Fragen (hoffentlich wirtschaftsliberal) beantworten könnten.
Mit liberalen Grüßen
Jörn Bröker
Sehr geehrter Herr Bröker,
vielen Dank für Ihre Frage.
Parteiprogramme sind immer aus ihrem historischen Kontext heraus zu sehen. Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, die CDU heute aufgrund Ihres Ahlener Programms von 1947 zu beurteilen. Dort wird teilweise die Vergesellschaftung der Großindustrie gefordert und es heißt u.a.: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. (…) Inhalt und Ziel (einer) sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“
Später hat sich die CDU vom Ahlener Programm abgewandt und sich klar zur sozialen Marktwirtschaft bekannt, ebenso wie man die SPD heute nicht aufgrund Ihrer inhaltlichen Aussagen vor dem Godesberger Programm von 1959 beurteilen wird.
Solche Vergleiche mögen nicht ganz präzise sein. Aber für die Freiburger Thesen gilt, dass sie für die Entwicklung der FDP von großer Bedeutung gewesen sind. Maßgebliche Richtschnur für das Handeln der FDP im nächsten Deutschen Bundestag ist jedoch das FDP-Deutschlandprogramm 2009.
Das Thema "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" ist auch heute noch aktuell. Hierzu findet sich ein Kapitel in den Wiesbadener Grundsätzen der FDP von 1997, das ich zitieren darf:
"6. Arbeitnehmer als Teilhaber des Betriebes
Arbeit macht einen wesentlichen Teil des Lebens und unserer Identität aus. Wer Teilhabe der Arbeitnehmer ausschließlich als Mitbestimmung durch Funktionäre versteht, wird der Zukunft nicht gerecht. Mitarbeiter sollen zu Mitunternehmern werden. Dem Recht auf Privateigentum unserer marktwirtschaftlichen Grundordnung wird durch die geringe Eigentumsquote in der Realität in vielen Bereichen nicht entsprochen. Insbesondere bei der Beteiligung am Produktivvermögen liegen Zukunftschancen brach.
Die große Schere zwischen Brutto- und Nettolohn verhindert Eigentumserwerb und private Eigenvorsorge. Geringes Eigenkapital gefährdet Betriebe, und flächendeckende Tarifverträge nehmen den Spielraum für eine betriebsnahe Lohnfindung.
Mitarbeiterbeteiligungen am Produktivvermögen können dagegen Bündnisse für Arbeit in den Betrieben sein. Sie überwinden die Trennung von Arbeit und Kapital und machen aus Arbeitnehmern Mitunternehmer, aus Lohnabhängigen Teilhaber. Mitarbeiter als Miteigentümer des Unternehmens haben mehr Einflußmöglichkeiten im Betrieb. Mitarbeiterbeteiligungen schaffen motivierte Beschäftigte und mehr Arbeitszeitsouveränität, die sich am Erfolg des Unternehmens ausrichtet. Sie unterstützen die private Altersvorsorge und lenken Kapital in die Betriebe, in denen Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen werden können.
Voraussetzung für eine wirksame Beteiligung am Produktivvermögen sind die Freiwilligkeit der Vereinbarung in den Betrieben und die Wahlfreiheit der Anlageform. Gesetzlicher Zwang oder Zwang durch Flächentarifvereinbarungen für Mitarbeiterbeteiligungen werden den unterschiedlichen Möglichkeiten der einzelnen Betriebe nicht gerecht. Darum sind in den Flächentarifverträgen grundsätzlich Öffnungsklauseln für Mitarbeiterbeteiligungen, die Teile des Tariflohns ersetzen können, vorzusehen. Ob "Sparlohn statt Barlohn", Gewinnbeteiligung oder Investivlöhne - die jeweiligen Formen der Mitarbeiterbeteiligungen sollen Vereinbarungen zwischen Geschäftsführung und Belegschaft überlassen bleiben.
Die Übertragung von Unternehmensanteilen an die Arbeitnehmer bei Nachlässen oder Schenkungen müssen völlig steuerfrei sein. Die Erbschaftsteuer entfällt, wenn das Unternehmen oder Teile davon an die Beschäftigten Mitarbeiter übertragen wird. Denn diese gemeinnützige Beteiligung an Produktivvermögen ist die private Alternative zu einer steuerlichen Nachlaßabgabe.
Der Staat muß den Spielraum von Arbeitnehmern und Unternehmern für Mitarbeiterbeteiligungen vergrößern. Zu hohe Steuern und Abgaben verzehren die Chancen der privaten Vermögensbildung. Gerade angesichts schwindender Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Altersversicherung kommmt der privaten Vermögensbildung wachsende Bedeutung zu. Deswegen ist eine Netto-Entlastung bei Steuern und Abgaben Voraussetzung für eine breitere Streuung des Produktivvermögens.
Bestehende, erfolgreiche Modelle der Mitarbeiterbeteiligung bei Betrieben unterschiedlicher Größe weisen den Weg in eine liberale Wirtschaftsordnung von Teilhabern. Im Interesse von mehr Eigenverantwortung und mehr sozialer Sicherheit, im Interesse gesunder Betriebe und sicherer Arbeitsplätze müssen Tarifpartner und Politik den Weg freimachen für eine breitere Beteiligung der Bürger am Produktivvermögen.
Statt Volkseigentum wollen Liberale ein Volk von Eigentümern. Die Chance auf Eigentum motiviert zur Leistung, schafft soziale Sicherheit, fördert Verantwortungsbereitschaft. Sie ist Voraussetzung für eine neue Wagniskultur und eine neue Kultur der Selbständigkeit. Weder Staatswirtschaft noch Machtwirtschaft sind mit dem liberalen Wirtschaftmodell vereinbar. Die liberale Wirtschaftsordnung ist eine Wirtschaft von Teilhabern."
Mit freundlichen Grüßen
Max Stadler