Frage an Matthias Lietz von Ralf O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Lietz,
in dieser Krisenzeit wird sich wohl zeigen, ob Europa noch so weiterexistieren kann.Barrosos ewige Forderungen den EU-Rettungsschirm auszuweiten, klingen ein wenig nach Endzeitstimmung.Der letzte echte Europäer für mich ist Wolfgang Schäuble.
Wolfgang Schäuble hat ja nicht nur den Vorschlag einer Europäisiserung der Energiewende gebracht, sondern 1994 auch Kerneuropa befürwortet. Wäre es nicht sinnvoller, dass die EU zurück geht auf solch ein Kerneuropa, mit dem Rest Europas auf der Basis eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten verbleibt, desweiteren einen Nord- und einen Südeuro einführt und eine verteidigungspolitische Achse Großbritannien-Frankreich-Deutschland eingeht, um die europäische Säule innerhalb der NATO zu stärken und die Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (EVSP)wieder zu beleben.Was spricht dagegen? Wie stehen Sie eigentlich zu dem alten Vorschlag von Franz Josef Strauss eine europäische Atommacht zu gründen? Frankreich hatte Deutschland ja vor kurzer Zeit einmal den Atomschutz der Force de frappe alternativ zum US-Atomschild angeboten.
Warum nicht die Rückkehr zu einem kleineren Europa, das mehr integriert ist als diese Ausfransung nach allen EU-Grenzen. Ist die Erweiterung der Eu auf 27 Mitglieder in kurzer Zeit nicht einfach zuviel, um diesen Haufen überhaupt noch managen zu können? Wäre kleiner aber feiner und mit dem Rest assoziiert nicht besser? Steht Schäuble noch zu seiner eigenen Idee und wie wird diese innerhalb der CDU gesehen?
Mit freundlichen Grüssen
Ralf Ostner
Sehr geehrter Herr Ostner,
vielen Dank für Ihre Anfrage!
Als ordentliches Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union liegen mir die derzeitigen europäischen Entwicklungen ganz besonders am Herzen. Die Europäische Union wurde einst gegründet, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern und den Frieden der Staaten untereinander zu gewährleisten. Seitdem hat sie sich die Europäische Union zu einer einzigartigen wirtschaftlichen und politischen Partnerschaft zwischen den Mitgliedstaaten entwickeln können. Bereits ein halbes Jahrhundert trägt die Union, wie einst erhofft, wesentlich zum Frieden, zur Stabilität und zum hohen Lebensstandard in unserem Land bei.
Aber die Stimmen der Europakritiker verstummen nicht - insbesondere mit Blick auf die derzeit angespannte finanzielle und wirtschaftliche Situation einiger Mitgliedsstaaten. Die Lösung eines de facto „abgestuften Europas“ erscheint möglicherweise nicht immer als die beste Variante der Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Dennoch sicherte uns diese Art der Kooperation in der Vergangenheit überhaupt erst das weitere Voranschreiten der Europäischen Integration. Denn die 27 Mitgliedstaaten unterscheiden sich nicht nur mit Blick auf Kultur, Ethnie, Sprache oder Wirtschaftsleistung. Die Regierungen der Länder haben auch unterschiedliche Vorstellungen, was die Arbeitsweise auf EU-Ebene betrifft. Die Idee eines „Kerneuropas“, wie Sie sie ansprechen, sehe ich heute teilweise an einigen Stellen bereits umgesetzt, da es im EU-Mehrebenensystem sowohl supranationale als auch intergouvernementale Kompetenzverteilungen gibt. Ich persönlich halte allerdings nichts von einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Und denke, dass es sinnvoller ist, wenn alle Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen und die wirtschaftlich stärkeren Länder, wie etwa Deutschland und Frankreich, zusätzlich eine verantwortungsvolle Rolle innerhalb der europäischen Prozesse übernehmen. Mit ihrer diesbezüglichen Nachfrage zu den Äußerungen von Herrn Schäuble vor fast 20 Jahren, würde ich Sie aber bitten, sich vielleicht noch einmal an ihn persönlich zu wenden.
Die Stabilität innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion liegt im besonderen deutschen Interesse. Deutschland profitiert vom Euro, weil er für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt und unsere stark exportabhängige Volkswirtschaft nicht negativ durch Wechselkursschwankungen beeinflusst. Deutsche Unternehmer sparen dadurch Jahr für Jahr mehr als 10 Milliarden Euro. Die Verbraucher wiederum genießen durch den stärkeren Wettbewerb geringere Preise und eine größere Vielfalt. Der Euro hat zu einer Vertiefung des europäischen Binnenmarktes mit inzwischen mehr als 500 Millionen Verbrauchern geführt. Circa 2/3 der deutschen Exporte gehen in die Europäische Union. Der Euro sorgt für Arbeitsplätze, eine niedrige Inflationsrate und eine hohe Kaufkraft. Dass die Europäische Krisenbewältigung vor allem in letzter Zeit maßgeblich von Frankreich und Deutschland bestimmt wurde, stellt retrospektiv betrachtet zudem keine neue Situation in der Union dar. So waren es einst Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Helmut Schmidt und Valéry Giscard d‘ Estaing oder Helmut Kohl und Francois Mitterrand, die Europa ebenso aus problematischen Situationen reformierten. Mit der nun geplanten Einführung einer Schuldenbremse, einer Transaktionssteuer und einer Europäischen Wirtschaftsregierung blicke ich zuversichtlich in unsere europäische Zukunft.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Wirtschaftskraft wurde auch eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik eingerichtet. Vor allem auf Grund des ursprünglichen Ziels, Frieden in Europa, baut die EU auf den Grundsatz der „soft power“, also auf den Einsatz diplomatischer Mittel, notfalls auch mit militärischen Einsätzen. Sei es erst im August 2008 bei der erfolgreichen Vermittlung der EU im Krieg zwischen Georgien und Russland oder bei den Missionen auf dem Balkan: Die EU spricht auch aus militärischer Sicht mit einer nicht zu verachtenden Stimme. Diesen Friedensgedanken werde ich auch zukünftig befürworten. Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns der Mitgliedstaaten in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ist zweifelsohne äußerst wichtig. Die meisten europäischen Regierungen sehen diese weitreichenden Kompetenzen allerdings nach wie vor nicht auf supranationaler, sondern auf nationaler Ebene angesiedelt. Um dem von der Bundesregierung favorisierten Wunsch einer europäischen, handlungsfähigen Armee schrittweise näher zu kommen, müssen wir daher zuerst die Rahmenbedingungen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik reformieren, um die Handlungsfähigkeiten ausbauen zu können. Denn die reale Ausgestaltung einer solchen europäischen Armee würde momentan noch die Grenzen der politischen Möglichkeiten übersteigen. Eine Weiterentwicklung auf diesem Sektor halte ich dennoch für wichtig und sinnvoll, um ein sichtbares Zeichen zur Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu setzen. Schließlich dient eine Armee nicht dem Selbstzweck, sondern der gemeinsamen Sicherheitsfürsorge.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Lietz