Frage an Matthi Bolte von Henrik R. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Bolte,
ich bin im letzten Jahr zum Studium nach Bielefeld gezogen und dementsprechend mit der hiesigen Landespolitik nur wenig vertraut. Mich würde interessieren, was Ihre Politik und die Politik Ihrer Partei im Hinblick auf die Hochschulen in NRW im Allgemeinen und die Hochschulen Bielefelds im Besonderen ist. Wie ist Ihre Einschätzung der Hochschullandschaft? Wo sehen sie qualitative Mängel, wo Strukturprobleme? Wie sehen Sie die Betreuungssituation durch Lehrende? Wie ist Ihre Einstellung zu Digitalisierung und Internationalisierung der Hochschulen? Wollen Sie benachteiligten Gruppen ("Arbeiterkinder", beeinträchtigte Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund) in Zukunft eher ein Studium ermöglichen? Wenn ja, wie? Sehen Sie Nachbesserungsbedarf bei den Möglichkeiten zur Studienfinanzierung? Und schließlich: Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Hochschulen im Land?
Über Ihre Antworten würde ich mich sehr freuen. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe.
Mit freundlichen Grüßen
H. R.
P.S.: Diese Fragen ergehen auch an die anderen Kandidaten des Wahlkreises Bielefeld I.
Sehr geehrter Herr R.,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Sie sind der erste Interessierte, der mir eine Frage zur Landtagswahl 2017 stellt, und das bereits kurz nach Freischaltung des Portals. Deshalb freue ich mich über sie ganz besonders. Da Sie mir eine große Zahl von Fragen gestellt haben und zugleich unser Programm zur Hochschulpolitik sehr umfangreich ist, habe ich mir erlaubt, Ihre Fragen etwas aufzuteilen.
Zu Ihren Fragen: „Wie ist Ihre Einschätzung der Hochschullandschaft? Wo sehen sie qualitative Mängel, wo Strukturprobleme? Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Hochschulen im Land?“
Für mich ist die Hochschul- und Wissenschaftspolitik ein Feld von großer Bedeutung für die Zukunft unseres Landes. Nicht zuletzt, weil ich mich selbst während meines Studiums intensiv politisch engagiert habe. Damals habe ich vor allem gegen die Studiengebühren von CDU und FDP gekämpft und bin immer noch stolz darauf, dass wir sie mit der Rot-Grünen Regierung abgeschafft haben. Ich setze mich für Bildungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit an den Hochschulen ein. Ich wünsche mir autonome Hochschulen, die auch – wie bei uns in Bielefeld immer wieder sichtbar wird – auch Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Studierende und Wissenschaftler sollten beste Lehr- und Studienbedingungen in unserem Land vorfinden.
Weil uns in den letzten Jahren die Hochschulfreiheit sehr stark parlamentarisch beschäftigt hat, auch hierzu meine Grundhaltung: Mit meiner Partei setze ich mich dafür ein, die Autonomie der Hochschulen zu wahren. Wir wollen, dass der Staat weiterhin auf Fachaufsicht und Detailsteuerung verzichtet, dabei aber einen klaren gesetzlichen Rahmen vorgibt. Das Parlament muss weiterhin die strategisch wichtigen Ziele definieren, die die Hochschulen erfüllen. Die Hochschulen wiederum müssen ihrer Verantwortung gegenüber Staat und Gesellschaft gerecht werden.
Wir haben in den vergangenen Jahren massiv in die Hochschulen investiert. Diesen Kurs wollen und müssen wir unbedingt fortsetzen, die Hochschulen auskömmlich finanzieren und die Infrastrukturen ausbauen und verbessern. Diesbezüglich ist die Digitalisierung von Forschung und Lehre immer noch unsere größte Herausforderung, dazu unten mehr. Wer studieren will, soll einen Studienplatz mit guten Studienbedingungen bekommen können. Dabei gibt es für mich – und da unterscheiden meine Partei und ich uns durchaus von den Mitbewerbern – keine Studienrichtungen erster und zweiter Klasse: Für mich hat jede Richtung akademischer Forschung und Lehre ihre Berechtigung, unabhängig davon, ob man sie kurzfristig ökonomisch verwerten kann. Diese Haltung ist aus der Aufklärung erwachsen und es ist bedauerlich, dass insbesondere seitens der Neoliberalen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder der Eindruck vermittelt wurde, es gebe wertvollere und weniger wertvolle Fachrichtungen.
Forschung im Bereich der großen gesellschaftlichen Herausforderungen und insbesondere der Nachhaltigkeit muss weiterhin eine herausragende Rolle spielen. Wir brauchen mehr transformatives Wissen, Erfindergeist und Forschungsförderung für den sozialökologischen Wandel. Forschung, Entwicklung und Innovationen sollen zu mehr Lebensqualität und Nachhaltigkeit führen.
Zu Ihrer Frage „Wie sehen Sie die Betreuungssituation durch Lehrende?“
Angesichts des derzeit hohen Anteils an Drittmitteln in der Hochschulfinanzierung sind die Hochschulen bei der Schaffung zusätzlicher Professuren zurückhaltend. Aus meiner Sicht ist es deshalb sinnvoll, den Anteil zeitlich begrenzter staatlicher Drittmittel zu reduzieren und im Gegenzug das Budget für die Grundfinanzierung zu erhöhen. Zusätzlich wollen wir Grüne die Mittel zur Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre den höheren Studierendenzahlen entsprechend anpassen. Auf diesem Wege wollen wir auch die Betreuungsrelationen verbessern.
Zu Ihrer Frage „Wie ist Ihre Einstellung zu Digitalisierung und Internationalisierung der Hochschulen?“
Die Digitalisierung ist mein Herzensthema. Ich setze mich deshalb auch im Bereich der Hochschulen die Chancen der Digitalisierung für Forschung, Lehre und Verwaltung zu nutzen. Dafür wollen wir GRÜNE die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen.
Die Digitalisierung soll wegen ihrer umfassenden Bedeutung als Landesforschungsschwerpunkt etabliert werden. Ein Verbund von Instituten oder ein Zentrum für Digitalisierung müsste hier eine Koordinierungsfunktion für die landesweit dezentral verteilten Kompetenzen unterschiedlichster Disziplinen übernehmen. Dieses Zentrum (oder der Verbund) könnte eigene Forschung zur Digitalisierung vorantreiben und die Entwicklung eines übergreifenden landesweiten Digitalisierungskonzepts ermöglichen.
Wir wollen, dass die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung in der Lehre an den Hochschulen vollumfänglich genutzt werden. Neben elektronischen Semesterapparaten gehören dazu auch Plattformen für E-Learning und für den Zugang zu freien Lern- und Lehrmaterialien (Open Educational Resources). Wir wollen die Hochschulen darin unterstützen ihre Wissensvermittlung stärker auf „Blended Learning“ auszuweiten und dabei auch die Medienkompetenz der Studierenden zu fördern.
Wir wollen auch weiterhin, dass Studierenden ihre Unterlagen für Lehrveranstaltungen digital zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist es alternative Modelle der Entlohnung von Autor*innen zu entwickeln, die der Digitalisierung nicht im Weg stehen und keinen bürokratischen Aufwand an den Hochschulen verursachen. Um die Chancen der Digitalisierung für Lehre und Forschung nutzen zu können, bedarf es endlich eines bildungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts auf Bundesebene. Bis heute fehlt diesem eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke, die es den Lehrenden, Lernenden und Forschenden erleichtert, publizierte Werke für den wissenschaftlichen Gebrauch grundsätzlich genehmigungsfrei und ohne Einschränkungen zu nutzen. Ziel muss es sein, den für Wissenschaft notwendigen Zugang zu Wissen unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedingungen zu gewährleisten.
Zu Ihrer Frage „Wollen Sie benachteiligten Gruppen ("Arbeiterkinder", beeinträchtigte Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund) in Zukunft eher ein Studium ermöglichen? Wenn ja, wie?“
Die größte Bildungshürde haben wir abgeschafft: Studiengebühren. Und wir sind der Garant dafür, dass es keine neuen Studiengebühren – egal, in welchem Modell – in NRW gibt.
Wir möchten den Erfolg von Studierenden aus bildungsfernen Familien verstärkt fördern und dazu Unterstützungsprogramme an den Hochschulen ausbauen. Wir wollen die neu geschaffenen Möglichkeiten eines Teilzeitstudiums und eines Studiums ohne Abitur in NRW stärker bewerben und fördern. Ebenso wollen wir die Möglichkeit des berufsbegleitenden Studiums an staatlichen Hochschulen in NRW weiter ausbauen. Junge Menschen sollen ihre beruflichen Fähigkeiten und Talente unabhängig von der sozialen Herkunft entfalten können. Dafür wollen wir die mittlerweile bewährten Strukturen des „NRW-Zentrums für Talentförderung“ auf ganz NRW ausweiten.
Wir brauchen zudem ein Bündnis für studentisches Wohnen, an dem alle wichtigen Akteure beteiligt sind. Darüber hinaus bedarf es eines Sonderprogramms, um schnell den Bau von bezahlbarem Wohnraum für Studierende zu sichern. Wir wollen Sonderfonds einrichten für eine nachhaltige Sanierung der Studierendenwohnheime sowie für den Neubau an Orten, an denen besonderer Mangel an Wohnheimplätzen besteht. In diesem Kontext ist es mir wichtig auch darauf hinzuweisen, dass wir in der nächsten Wahlperiode die Mittel für die Studierendenwerke deutlich erhöhen wollen, weil die Studierendenwerke in allen sozialen Bereichen rund um das Studium eine wichtige Rolle einnehmen.
Zu Ihrer Frage „Sehen Sie Nachbesserungsbedarf bei den Möglichkeiten zur Studienfinanzierung?“
Wir wollen, dass der Bund das BAföG kurzfristig novelliert, damit es eine deutlich höhere, weniger bürokratische, Bologna- und familiengerechte Studienfinanzierung gibt. Teilzeitstudien sollen problemlos finanziert werden können, Studierende in der Schwangerschaft sollen durchgehend einen Vollzuschuss erhalten können, Studierende mit studienzeitverlängernder Familien- und Pflegeverantwortung sowie mit weiteren Gründen sollen länger BAföG-Leistungen erhalten können. Insgesamt soll die absolute Zahl und der Anteil derjenigen, die BAföG bekommen, deutlich gesteigert werden. Dazu wollen wir, dass die Freibeträge und die Fördersätze erhöht sowie die tatsächlichen Wohnkosten entsprechend der Durchschnittsmieten erstattet werden und dass es künftig eine dynamische, regelmäßige und automatische Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge gibt. Damit würde sich auch die Zahl derjenigen reduzieren, die auf Studienkredite angewiesen sind.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Grünen Positionen darstellen und Sie überzeugen, bei der Landtagswahl am 14. Mai meiner Partei und mir Ihre Stimme zu geben.
Mit besten Grüßen
Matthi Bolte