Frage an Matern von Marschall von Reiner Z. bezüglich Innere Angelegenheiten
Sehr geehrter Herr von Marschall,
Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entstand im August 2020 eine Studie mit dem Titel "Zukunft von Wertevorstellungen der Menschen in unserem Land":
Auf Seite 8 heißt es:
"Auf der gesellschaftlichen Ebene zeichnen sich jedoch einige Bruchlinien ab, die aktuell und zukünftig die Realisierung des Wunsches nach einer solidarischen und gerechten Gesellschaft potenziell beeinträchtigen können."
Auf Seite 123 wird ein Social-Credit-System als Zukunftsszenario diskutiert wie es bereits in China heute schon Realität ist:
"Für bestimmte Verhaltensweisen können im Punktesystem, das vom Staat betrieben wird, Punkte gesammelt werden (z.B. Ehrenamt, die Pflege Angehöriger, Organspenden, Altersvorsorge, Verkehrsverhalten, CO2-Abdruck). Neben der sozialen Anerkennung ergeben sich durch das Punktesammeln auch Vorteile im Alltag (z.B. verkürzte Wartezeiten für bestimmte Studiengänge). Somit können Staat und politische Institutionen bestimmte Ziele über Anreize zur Verhaltensänderung verwirklichen (z.B. Steuerung des Arbeits- und Bildungsmarkts) und auch zukünftiges Verhalten genauer prognostizieren. Bürgerinnen und Bürger bringen in der Digital Liquid Democracy Themen auf die Agenda und stimmen über kritische Fragen ab. Unternehmen haben die Möglichkeit, an das Punktesystem anzudocken und die Daten nach vorheriger Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger (etwa personalisierte Risikoprämien) zu monetarisieren."
Meine Fragen:
- Denken Sie nicht, dass das etwas zu weit geht?
- Halten Sie ein Social-Credit-System mit unserem Grundgesetz vereinbar?
- Glauben Sie nicht, dass die Politik durch Austausch und Antworten eher Vertrauen zurückgewinnen kann als durch Ignoranz?
Beste Grüße
Reiner Ziegler
Sehr geehrter Herr Ziegler,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift, die mich über die Plattform „abgeordnetenwatch.de“ erreicht hat.
Die von Ihnen genannte Studie umfasst 226 Seiten. Direkt auf Seite 1 findet sich der wichtige Hinweis: „Für den Inhalt zeichnen die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und die Vollständigkeit der Angaben. Die in der Veröffentlichung geäußerten Ansichten und Meinungen müssen nicht mit der Meinung des BMBF übereinstimmen“.
Die Absicht der Studie wird auf Seite 7 beschrieben: „Die Ergebnisse der vorliegenden Studie stellen keine Prognosen oder finalen Antworten auf die Studienleitfragen dar. Vielmehr zielen sie darauf ab, im Sinne der Strategischen Vorausschau, ein breites Spektrum an möglichen Zukünften und Entwicklungspfaden aufzuzeichnen – und dabei auch zu einem Diskurs über die Zukunft anzuregen“.
Die Studie bietet aus meiner Sicht einen geistigen Impuls, weil sie der Frage „Was wäre wenn…?“ nachgeht. Zukunftsprojektionen sind stets spannend, müssen aber mit Aufmerksamkeit gelesen werden. Es handelt sich um Szenarien, die eintreten können oder nicht eintreten können. Daher begrüße ich, dass das BMBF die Erstellung einer solchen Studie ermöglicht hat und nehme die Ergebnisse als einen Debattenbeitrag auf, der zum Nachdenken anregen soll.
Das von Ihnen angesprochene Szenario eines Punktesystems ist eins von sehr vielen Zukunftsszenarien, die in der Studie skizziert werden. Für mich handelt es sich bei diesem Szenario eher um eine Dystopie als um eine Utopie. Für Deutschland kann ich mir ein solches System nach chinesischem Vorbild nicht vorstellen. Ich halte es auch nicht für erstrebenswert. Zudem nehme ich nicht wahr, dass irgendjemand in Deutschland die Einführung eines staatlich gelenkten Punktesystems fordern würde. Was ein Punktesystem für die Menschen bedeutet, die darin leben, stellt eine ARD-Dokumentation vom Mai 2021 gut dar. Sie finden den Beitrag unter dem folgenden Link:
https://www.ardmediathek.de/video/reportage-und-dokumentation/china-ueberwachungsstaat-oder-zukunftslabor/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzA3MGE3YzNkLTMyMjgtNDVhOC04MWU1LTNlMDhhZDE3ZDNmMw/
Das Kapitel der Studie würde ich eher als Impuls zum Nachdenken annehmen. Zum einen, wie wir selbst freiwillig mit unseren Daten umgehen. Beispielsweise bei der Weitergabe an Konzerne wie Amazon und Facebook. Zum anderen, wie wir strategisch mit Diktaturen wie China umgehen. So kann die Studie Anlass sein, miteinander ins Gespräch zu kommen. So wie es bei Ihnen und mir der Fall war.
Mit freundlichen Grüßen
Matern von Marschall