Frage an Matern von Marschall von Simone P. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr von Marschall,
mit großer Sorge verfolge ich die Debatte um die erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes und vor allem der darin enthaltenen Ausgangsperre und weiteren Einschränkungen des sozialen Lebens, die ich weder für angemessen, noch für zielführend halte. Wir befinden uns schon seit über 100 Tagen im Lockdown, Perspektiven werden bisher nicht aufgezeigt und die psychosozialen Probleme werden drängender, was ich als Psychotherapeuten in meiner Praxis täglich erleben kann. Es wird auf eine Impfung gesetzt von der wir nicht wissen, ob sie eine dauerhafte Lösung verspricht, Stichwort: Mutationen. Wir müssen langfristiger planen und nicht mehr von Woche zu Woche vertrösten, mit den immer selben Parolen, die sich nicht erfüllen lassen. Ein Gesetz das solche Eingriffe für unser Leben beinhaltet sollte auf keinen Fall in dieser Art Schnellverfahren entschieden werden.
Ich möchte Sie hiermit fragen wie Sie sich dazu positionieren? Und gleichzeitig inständig bitten dem Gesetzesentwurf in dieser Form nicht zuzustimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Simone Pferrer
Sehr geehrte Frau Pferrer,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift, die mich über die Plattform „abgeordnetenwatch.de“ erreichte.
In Ihrer Frage zeigen Sie die enormen Belastungen auf, zu denen die im 4. Bevölkerungsschutzgesetz enthaltenen Maßnahmen führen. Die Reduzierung physischer Kontakte führt mitunter zu sozialer Isolation – mit teils gravierenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Dieser Gefahr bin ich mir bewusst. Ich nehme Sie selbst wahr, sei es im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkreis oder im eigenen Freundeskreis. Viele Menschen fühlen sich machtlos und sehnen sich nach einer klaren Perspektive. Diese Perspektive wird nun nur insoweit gegeben, als erst bei einem starken Rückgang des Infektionsgeschehens Lockerungen in Aussicht gestellt werden. Die Bereitschaft zum Optimismus ist nach über einem Jahr in der Pandemie gering.
Ich kann Ihre Frustration verstehen. Die Lage ist jedoch sehr ernst. Deshalb halte ich die Maßnahmen, trotz aller Härten, für erforderlich. Folglich habe ich dem Gesetz zugestimmt.
Derzeit wird bundesweit eine Sieben-Tage-Inzidenz von 169 registriert. Erfahrungsgemäß kommen diese höheren Zahlen binnen zwei Wochen auf den Intensivstationen an. Das heißt: Deutschland befindet sich mitten in der dritten Welle.
Die mittlerweile in Deutschland dominante Virusvariante B.1.1.7 ist nach bisherigen Erkenntnissen deutlich infektiöser und verursacht offenbar schwerwiegendere Krankheitsverläufe. Täglich werden mehr Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen eingeliefert, darunter auch immer mehr jüngere. Noch immer sterben jeden Tag viele Menschen an der Infektion. Auch die Fälle derer, die unter Langzeitfolgen – genannt: „Long Covid“ – leiden, häufen sich.
Die Impfkampagne kann indes nur zum Erfolg führen, wenn das Infektionsgeschehen gleichzeitig reduziert wird. Denn damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus sogenannte Escape-Varianten bildet. Gegen solche Varianten könnten die vorhandenen Impfstoffe weniger wirksam sein, und die Impfkampagne würde in ihrer Wirksamkeit insgesamt gefährdet.
Die jetzt bundesgesetzlich geregelten Maßnahmen waren im Wesentlichen schon Inhalt der Beschlüsse der letzten Ministerpräsidentenkonferenz. Da diese aber von den Ländern nicht einheitlich und damit in der Summe auch nicht wirksam umgesetzt wurden und zudem die rechtliche Konstruktion des Gremiums schwach war, schien eine bundeseinheitliche Regelung zwingend; sie entspricht auch den Vorstellungen weiter Teile unsrer Bevölkerung
Ausgangsbeschränkungen sind sicherlich eine der umstrittensten Maßnahmen im Katalog der Regelung. Gleichwohl werden sie nach Meinung von Experten für diese schwierige Phase als notwendig erachtet. Ausgangsbeschränkungen haben zum Ziel, die Zahl der zwischenmenschlichen Kontakte zu reduzieren und Mobilität zu beschränken. Dass die Ansteckungsgefahr im Freien geringer ist, wird nicht bestritten. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang aber nicht an. Ziel ist es, generell Kontakte zu reduzieren und Mobilität einzuschränken. Wenn Menschen ausgehen, dann in der Regel, um andere Menschen zu besuchen, mit denen sie sich dann in geschlossenen Räumen aufhalten. Je weniger Menschen sich begegnen, desto geringer ist die Infektionsgefahr.
Studien belegen die Wirksamkeit der Maßnahme. In einer kanadischen Untersuchung konnte beispielsweise festgestellt werden, dass nächtliche Ausgangsbeschränkungen die Mobilität in einer Provinz im Vergleich zur Nachbarprovinz um 31 Prozent senkten. Britische Forscher halten Ausgangsbeschränkungen für geeignet, um den R-Wert, also die Angabe, wie viele andere Personen ein Infizierter ansteckt, um 13 Prozent zu senken. In anderen europäischen Ländern und weltweit haben sich Ausgangsbeschränkungen bei hohen Inzidenzwerten als Mittel zur Eindämmung der Pandemie bewährt. Länder wie Großbritannien oder Portugal haben ihr Pandemiegeschehen mit teilweise weitaus rigoroseren Ausgangsbeschränkungen als die nun für Deutschland vorgesehenen wieder unter Kontrolle gebracht. Sie haben auf diese Weise Leben gerettet und die Funktionsfähigkeit ihres Gesundheitssystems sichergestellt.
Hierzulande gibt es bereits in einigen Bundesländern nächtliche Ausgangsbeschränkungen. Die überwiegende Zahl der verwaltungsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Entscheidungen hat deren Zulässigkeit nicht in Frage gestellt.
Sehr geehrte Frau Pferrer, die Bekämpfung der Corona-Pandemie dauert länger an als wir alle es uns wünschen können. Ich bin mir der Tragweite der Maßnahmen bewusst und halte auch deshalb die Befristung der Maßnahmen zum 30. Juni 2021 für dringend geboten. Bis dahin müssen wir in der Impfkampagne weitere Fortschritte erzielen. Seit letzter Woche hat mehr als ein Fünftel der Deutschen eine Corona-Impfung erhalten. Diesen Weg müssen wir weiter beschreiten.
Mit freundlichen Grüßen
Matern von Marschall