Frage an Matern von Marschall von Christoph K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr von Marschall,
629 Menschen sind laut Information des WDR im Juli im Mittelmeer ertrunken. Die private Seenotrettung wird momentan stark behindert. Im Fall der Sea-Watch 3 und Lifeline durften wir beobachten, wie ueber Menschenleben oeffentlich verhandelt wurde.
Ich verstehe die Argumente der „Realpolitiker“ in der Migrationsdebatte, aber in ihren Dikursen verdraengen sie oftmals die Realitaet, dass unsere Kolonialgeschichte sowie eine gegenwaertige Wirtschaftspolitik, die gewisse Ausbeutungsmechanismen zulaesst, dafuer mitverantwortlich sind, dass den Menschen die Lebensgrundlage in ihren Laendern fehlt. Diese Ressourcenknappheit fuehrt logischerweise zu Konflikten & Migration. Ich habe nie verstanden, wie man Globalisierung nur partiell zulassen kann (also dass nur Gueter, Dienstleitungen & Kapitel weitgehend unbegrenzt ueber den Globus ziehen duerfen), waehrend man dies bei Menschen limitiert und dann auf einmal ueberrascht tut, warum alle den Ressourcen hinterherwandern wollen. Hinzukommt, dass durch teilweise intransparente oder geschwaechte Institutionen sowohl im Sueden als auch im Norden, Interessenkonflikte und illegitime Einflussnahme auf Entscheidungsprozess zugunsten bestimmter Klientel nicht die bestmoeglichen Entscheidungen getroffen werden, um die Ursachen der Migration zu bekaempfen. Meine augenblickliche Arbeit als Entwicklungshelfer hat mich mehr und mehr verstehen lassen, dass die BMZ-Bemuehungen, Entwicklungslaendern zu helfen, nicht die gewuenschte Wirkung entfalten koennen, waehrend man die strukturellen wirtschaftspolitischen Ungerechtigkeiten weiterhin toleriert.
Welche Verantwortung tragen wir Ihrer Ansicht nach fuer die Migrationsbewegungen nach Europa, welche strukturelle Loesung kann die Migrationsbewegungen Ihrer Ansicht nach langfristig loesen und was gedenken Sie kurzfristig hinsichtlich der Seenotrettung zu unternehmen, damit wir Deutsche uns morgens im Spiegel noch ansehen koennen?
Mit freundlichen Gruessen
Sehr geehrter Herr C. K.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht über das Onlineportal abgeordnetenwatch.de und unseren Austausch auf Facebook. Ich freue mich sehr über Ihr Engagement in der Entwicklungshilfe. Erst kürzlich konnte ich auf meiner Reise nach Togo die Bedeutung dieses unermüdlichen und oftmals mit großen Herausforderungen verbundenen Einsatzes vor Ort überzeugen. Gerne möchte ich Ihnen im Folgenden auf Ihre Nachricht antworten.
In Ihren Ausführungen machen Sie deutlich, dass die Zukunft Europas mit der Afrikas eng verwoben ist. Wenn es nicht gelingt, Afrika zu stabilisieren, wird dies für Europa dramatische Folgen haben. Wir stehen als Europäische Union vor einer Herkules-Aufgabe. Deshalb ist es dringend geboten, eine Afrika-Politik zu verfolgen, in der sich die Mitgliedstaaten endlich in einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu einer einheitlichen Haltung finden. Dazu müssen im Zweifel auch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen genügen. Von zentraler Bedeutung ist, dass wir uns von innereuropäischen Blockaden befreien. Darüber hinaus ist es wichtig die leider bisher viel zu häufig paternalistische Haltung gegenüber den afrikanischen Staaten in der Entwicklungspolitik aufzugeben. Wir brauchen in der Afrika-Politik eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit den Regierungen, die ihr Land tatsächlich entwickeln wollen. Dafür hat beispielsweise die - nicht ganz widerspruchsfreie - Zusammenarbeit mit Ruanda Vorbildcharakter. Neben der Kooperation auf staatlicher Ebene werden auch die kommunalen Partnerschaften künftig eine noch größere Rolle spielen. In Lomé hat mich beispielsweise eine Schule mit rund 1 000 Schülern, welche vom Freiburger Förderverein "Mon Devoir" getragen wird, in besonderer Weise beeindruckt.
Gemeinsam mit meinen Kollegen in der Unionsfraktion setze ich mich aber für eine europäische Lösung der Migrationspolitik ein, die verschiedene relevante Politikfelder miteinander verknüpft. Erst in der Zusammenschau von Sicherheits-, Verteidigungs-, und Außenpolitik können Lösungen gefunden werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Neuordnung der Handelsbeziehungen der Ära „Post-Cotounou“. Hierbei müssen die nachhaltige Entwicklung der afrikanischen Staaten und die Etablierung einer neuen, fairen und gerechteren Weltordnung wesentliche Ziele sein. Wir müssen dafür unsere Märkte für afrikanische Waren öffnen. Wir können nicht nur einseitig handeln und vor Ort investieren und dann das Ergebnis nicht abnehmen. Diese Neuausrichtung der Partnerschaft zwischen Europa und Afrika wird wesentlich auch durch den Marshall-Plan der Bundesregierung mit Afrika gestaltet. Das Ziel ist es dabei einen Paradigmenwechsel zu erreichen. Afrika ist nicht der Kontinent billiger Ressourcen, sondern die Menschen dort benötigen Infrastruktur und Zukunft. Die Rolle der europäischen Union und Deutschlands ist es in diesem Zusammenhang, die eigenen Entwicklungskräfte der afrikanischen Staaten zu stärken, denn nachhaltige Entwicklung ist nur möglich, wenn sie von innen heraus angestoßen und getragen wird. Ebenso müssen effizienter Sicherheitspartner, wie G5-Sahel, die Verantwortung für die Sicherheit Ihrer Region übernehmen, unterstützt werden.
Neben der langfristigen Perspektive stellt uns die Migrationspolitik, wie Sie in Ihrer Frage geschrieben haben, auch vor kurzfristige Herausforderungen. Die Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekennt sich dabei zu den Grundsätzen des christlichen Menschenbildes. Danach ist jeder Mensch ein Ebenbild Gottes und hat einen Anspruch darauf, mit Würde behandelt zu werden. Hier möchte ich betonen: Jeder Tote auf dem Mittelmeer ist einer zu viel. Dies ist nicht nur meine persönlich Einstellung, sondern die Haltung aller meiner Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch aus diesem Grund haben deutsche Marinesoldaten im Rahmen von EUNAVFOR MED Operation Sophia einen wichtigen Beitrag zur Rettung von 22 500 Menschenleben im Mittelmeer geleistet. Auch im Rahmen von Frontex wird aus Helikoptern und aus Flugzeugen das Mittelmeer gescannt, damit Rettungsaktionen organisiert und ermöglicht werden können.
Neben der Rettung von Menschenleben ist es das Ziel der Unionsfraktion, Menschen vom gefährlichen Weg über das Mittelmeer abzuhalten. Es kann nicht sein, dass Schlepper die Migration nach Europa maßgeblich kontrollieren. Unsere Bereitschaft Menschen zu helfen, die verfolgt oder durch einen Bürgerkrieg in Lebensgefahr geraten sind, darf dabei nicht in Frage gestellt werden. Gleichzeitig gilt aber auch, dass Menschen, die für ein besseres Leben nach Europa kommen wollen, wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen, wenn sie keine Bleibeperspektive haben.
Das Ziel unserer Politik muss folglich bleiben, im Rahmen unserer Möglichkeiten und unserer Verantwortung, die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. Denn genau wie jeder Mensch, der im Mittelmeer sein Leben lassen muss, ein Todesopfer zu viel ist, so ist auch jeder Mensch, der auf seinem Weg nach Europa beispielsweise bei der Durchquerung der Sahara sein Leben verliert ein Mensch zu viel. Als stellvertretender Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Entwicklungszusammenarbeit und Berichterstatter für die westafrikanischen Länder und den Bereich der Subsahara berühren mich diese Schicksale, mit denen ich mich in meiner täglichen Arbeit konfrontiert sehe, sehr. Aus diesem Grund sehe ich es als zentralen Punkt an, die Fluchtursachen tiefgreifend und nachhaltig zu bekämpfen. Auf kommunaler Ebene strebe ich die Einrichtung kommunaler Partnerschaften an, bei der Kommunen aus meinem Wahlkreis als Wissensträger, Vorbilder und Netzwerker in Afrika beispielsweise bei einer effizienten Stadtplanung, der Daseinsvorsorge, dem Klimaschutz oder dem Aufbau einer bürgernahen Verwaltung zu unterstützen.
Ich hoffe, sehr geehrter Herr K., Ihnen mit dieser Antwort meine Erwägungen zur Migrationspolitik im umfassenden Sinne nachvollziehbar dargestellt zu haben. Die Bundesregierung und gerade auch die Unionsfraktion mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, leisten sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch im Rahmen der G20 ihren Beitrag für die strukturellen Herausforderungen in den europäisch-afrikanischen Beziehungen.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft für Ihre Arbeit als Entwicklungshelfer und danke Ihnen herzlich für den Beitrag, den Sie damit im Sinne unserer Bemühungen für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen leisten.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Matern von Marschall, MdB