Frage an Martina Stamm-Fibich von Birgit D. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,
mit Fassungslosigkeit habe ich gerade gelesen, dass Sie auch für die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration gestimmt haben. Das ist ein Skandal. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass auch die SPD eine Tierquäler-Partei ist. Das ging schon mit dem Koalitionsvertrag los, indem sich die SPD gemeinsam mit CDU/CSU darauf geeinigt hat, Tierschützer, die in Ställe „einbrechen“ (um Missstände aufzudecken!), härter bestrafen zu wollen. Im September hat die SPD zusammen mit CDU/CSU zwei verschiedene Anträge von FDP und Grünen zu Verschärfungen bei Tiertransporten abgelehnt. Und nun diese unselige Fristverlängerung!
Genau dieses "Weiter-So-für-die-Wirtschaft-koste-es-was-es-wolle" ist der Grund dafür, dass der SPD die Wähler in Scharen weglaufen.
Bitte erläutern Sie mir Ihre ganz persönlichen Beweggründe, warum Sie dafür gestimmt haben, dieses qualvolle Prozedere beibehalten zu wollen.
Und kommen Sie mir nicht mit einer vorformulierten Textwüste von Ihrem SPD-Kollegen Rainer Spiering. Und auch nicht mit dem Totschlagargument Arbeitsplätze (ich weiß, eine makabre Wortwahl in Zusammenhang mit dem sensiblen Thema Tierschutz). Wenn Geschäftsgrundlagen ethisch nicht vertretbar sind und zu gesundheitlichen Gefahren von Mensch, Tier und Umwelt führen, dürfen Arbeitsplätze kein Argument mehr sein.
Mich interessiert wirklich, ob Sie als Politikerin noch Empathiefähigkeit für andere Lebewesen haben, und wie Sie persönlich zum Thema Tierschutz stehen.
Mit freundlichen Grüßen,
B. D.
Sehr geehrte Frau D.,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 21.12.2018.
Warum hat die Mehrheit der Fraktion und warum habe ich der Fristverlängerung zur betäubungslosen Ferkelkastration zugestimmt? Seit dem Jahr 2013 war allen Schweinehalterinnen und -haltern klar, dass die bisherige Praxis der betäubungslosen
Ferkelkastration bei Tieren, die unter acht Tage alt sind, mit dem Ende des Jahres 2018 verboten werden sollte.
Bei ordnungsgemäßer Umsetzung des Tierschutzgesetzes hätte spätestens mit dem Bericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vor zwei Jahren der Startschuss für die drei diskutierten Verfahren, Ebermast, Impfung und Kastration unter Vollnarkose fallen müssen.
Obwohl intensive Diskussionen nicht nur im politischen Raum geführt wurden, vor allem von uns immer wieder eingefordert, hat sich das zuständige BMEL gemeinsam mit den betroffenen Verbänden, Einzelhändlern und Schlachtereien weggeduckt. Stattdessen haben alle Beteiligten auf den sogenannten vierten Weg gesetzt, der nach deutschem Tierschutzgesetz nicht zulässig ist, denn eine Schmerzausschaltung wird nicht erreicht. Das ist natürlich ein großes Problem.
Wir standen nun vor der Entscheidung, entweder einer Verlängerung der Frist um maximal zwei Jahre zuzustimmen oder nicht. Beides hat Folgen für den Tierschutz, die gegeneinander abzuwägen waren. Entweder wären im Ausland gezüchtete Ferkel nach Deutschland importiert worden, die mit Methoden kastriert worden sind, die dem deutschen Tierschutzgesetz nicht entsprechen.
Denn jedes Ferkel, das nicht in Deutschland geboren wird, wird durch den Import aus europäischen Nachbarländern ersetzt, in denen die Ferkel nicht unter Betäubung und Schmerzausschaltung, wie wir es wollen, kastriert werden. Das hätte außerdem bedeutet, dass Millionen von Ferkeln über Tausende von Kilometern transportiert werden. Das wollen wir nicht. Wir wollen aber die Standards für unsere Lebensmittelerzeugung selbst setzen.
Oder wir stimmen einer Fristverlängerung zu und holen bei den Verhandlungen wichtige Punkte für den Tierschutz heraus. Die Fraktion hat sich im Sinne des Tierschutzes für Letzteres entschieden. Mit dem Gesetz wird rechtssicher festgelegt:
- Spätestens zum 31.12.2020 ist Schluss mit betäubungsloser Kastration.
- Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird mit einer zum 30.05.2019 vorzulegenden Rechtsverordnung zum Handeln verpflichtet wird, nachdem es über Jahre hinweg durch Nichtstun die aktuelle Situation erst herbeigeführt hat.
- Der hohe Tierschutz-Standard von NEULAND (Betäubung mittels Masken) wird zukünftig bundesweit als praxistaugliche Alternative zur Verfügung stehen.
- Es wird eine Informationskampagne durchgeführt werden, damit auch andere Alternativen wie die Ebermast oder Impfung (Immunokastration) eine realistische Chance am Markt bekommen.
- Es wird Unterstützung für die Ferkelzüchtenden bei der Einführung der neuen Betäubungsmethoden geben.
- Es wird eine Informationskampagne und ein Förderprogramm zur Unterstützung bei der Anschaffung der Narkosegeräte geben, um vor allem kleine und mittlere Betriebe zu unterstützen.
- In einem Entschließungsantrag wird festgehalten, dass wir nun endlich auch beim Kupieren von Schwänzen und Enthornen von Tieren den Ausstieg einläuten.
Darüber hinaus werden wir sehr genau darauf achten, welche Kriterien bei der staatlichen Tierwohlkennzeichnung angelegt werden. Sowohl die Ferkelaufzucht als auch die Sauenhaltung müssen in die staatliche Tierwohlkennzeichnung bereits in der Eingangsstufe einbezogen werden und über dem gesetzlichen Standard liegen. Die Übergangsfrist soll nicht für die kommende Tierwohlkennzeichnung gelten.
Und wir wollen, dass eine umfassende Nutztierhaltungsstrategie mit allen beteiligten Interessenvertretern erarbeitet und vereinbart wird. Diese Nutztierstrategie muss die verschiedenen „Baustellen“ des notwendigen Umbaus in der Schweinehaltung umfassen und zu rechtssicheren und für die Betriebe auch finanziell attraktiven Regelungen bis hin zum Förderrecht führen.
Mir ist wichtig zu betonen, dass auch ich lange sehr skeptisch gegenüber dem Gesetzentwurf war. Überzeugt hat mich letztlich die Aussage von Dr. Andreas Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte, der sich bei der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft für die Regelung ausgesprochen hat. Aus Tierärztesicht ist für ihn eine rechtskonforme und praktikable Umsetzung des Ausstiegs am wichtigsten, die zu einer wirklichen Verbesserung des Tierschutzes führt.
Die Vertreter des deutschen Einzelhandels haben zudem deutlich gemacht, dass mittlerweile die Bereitschaft besteht, zukünftig auch vermehrt Fleisch von immunokastrierten Tieren zu vermarkten. Jetzt gilt es auch noch die Schlachtbetriebe zu überzeugen und dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben diesmal auch eingehalten werden. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Stamm-Fibich