Portrait von Martina Stamm-Fibich
Martina Stamm-Fibich
SPD
96 %
44 / 46 Fragen beantwortet
Frage von Hans-Christoph S. •

Frage an Martina Stamm-Fibich von Hans-Christoph S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,

Ich gehe davon aus, dass ganz besonders Sie als Parlamentarierin eines demokratischen Deutschlands an Volksentscheiden nach schweizer Vorbild auf Bundesebene interessiert sind. Was tun Sie ganz persönlich dafür, der Einführung dieses urdemokratischen Instrumentes auch in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen ?

mfG, H. S.

Portrait von Martina Stamm-Fibich
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an meiner Haltung zu direkter Demokratie auf Bundesebene in Deutschland. Unsere Demokratie lebt von der Beteiligung möglichst vieler. Das gilt nicht nur für die Teilnahme an Wahlen. Deshalb befürworte ich mehr direkte politische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auf Bundesebene.

Meiner Erfahrung nach sind viele Menschen in unserem Land sehr an politischen Themen interessiert. Sie fordern zurecht mehr Mitbestimmung und Möglichkeiten zur direkten Einflussnahme bei einzelnen, für sie besonders wichtigen Themen.

Seit 2013 bin ich Mitglied des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Für diesen Ausschuss habe ich mich bewusst entschieden, denn mir ist wichtig, was die Menschen zu der Politik, die wir im Parlament machen zu sagen haben. Und das Petitionsrecht ist nach Artikel 17 unseres Grundgesetzes ein Grundrecht. Es ist nicht an die deutsche Staatsbürgerschaft oder ein Mindestalter gebunden. Das ist etwas sehr besonderes! In meiner täglichen Arbeit erlebe ich, wie wichtig es ist, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen direkt in unser Parlament einbringen können. Jede Petition, die an den Deutschen Bundestag gerichtet wird, wird dort behandelt. Während der vergangenen Jahre im Petitionsausschuss habe ich viele Fälle erlebt bei denen Bürgerinnen und Bürger auf Missstände aufgemacht haben, die auf ihre Initiative hin behoben wurden. Petitionen haben sogar zu ganz neuen Gesetzen geführt. Ein Beispiel dafür ist das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG).

Das HHVG war kein Bestandteil des Koalitionsvertrags. Ausschlaggebend war eine Petition zum Thema Inkontinenzversorgung. Die Petenten wiesen auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin. Ein Großteil der Krankenkassen arbeitete bei der Versorgung mit Inkontinenzprodukten mit Pauschalen, die bei weitem nicht ausreichten, um die Versicherten mit vernünftigen Produkten zu versorgen. Patienten berichteten davon, dass ihnen von ihren Krankenkassen nur eine geringe Menge einfachster Produkte angeboten wurde. Die gewohnte Qualität und Menge sollten sie nur noch gegen eine private Aufzahlung erhalten können. Als Mitglied des Petitions- und Gesundheitsausschusses habe ich die Probleme aufgegriffen und freue ich mich sehr, dass wir eine Lösung gefunden haben.

Ich werbe deshalb vehement für das Petitionswesen als Instrument der direkten politischen Beteiligung.

Deshalb möchte ich zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie auch die direkte Demokratiebeteiligung auf Bundesebene stärken. Ich will, dass das Petitionswesen beim Deutschen Bundestag weiter gestärkt wird – durch barrierefreien Zugang, bessere Einbindung von Kindern und Jugendlichen, durch mehr öffentliche Ausschusssitzungen und die Absenkung des Quorums für öffentliche Petitionen, das derzeit bei 50.000 nötigen Unterstützern einer Petition liegt. Transparenz und Öffentlichkeit tun dem Petitionswesen gut und stärken die Stellung der Petentinnen und Petenten in Petitionsverfahren. Um das Bewusstsein für das Petitionsrecht als Grundrecht zu stärken, müssen wir darüber besser informieren. Ich halte zum Beispiel mehr Information in Schulen für einen guten Weg, allen Schülerinnen und Schülern ihr Grundrecht auf Beteiligung in Form einer Petition klar zu machen.

Daneben unterstütze ich die Forderung nach Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene. In ihnen sehe ich eine Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger - ähnlich der des Petitionswesens -den Deutschen Bundestag aufzufordern sich mit bestimmten Themen zwingend zu befassen und Entscheidungen zu treffen.

Die SPD setzt sich bereits seit Jahren für eine bessere direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ein, denn plebiszitäre Elemente ergänzen den Parlamentarismus und beleben unsere Demokratie. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte schon 1993, im Anschluss an die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission, einen Gesetzentwurf eingebracht, um einen Volksentscheid auf Bundesebene zu ermöglichen (Bundestagsdrucksache 12/6323). Die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat kam aber schon im Deutschen Bundestag nicht zustande, weil sich die CDU/CSU-Fraktion dagegen sperrte.

Im Jahr 2002 hatten wir zusammen mit unserem damaligen Koalitionspartner erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Bundestagsdrucksache 14/8503) eingebracht, der wiederum erfolglos blieb. Wir haben das Vorhaben trotzdem nicht aufgegeben, sondern uns im Wahlmanifest der SPD zur Bundestagswahl abermals 2005 dazu bekannt: „Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid.“ Im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU konnte 2005 leider nur vereinbart werden: „Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie werden wir prüfen.“ Die CDU/CSU-Fraktion hielt aber bis zuletzt an ihrer überkommenen Auffassung fest, weshalb das Vorhaben in der Großen Koalition 2005-2009 erneut zum Scheitern verurteilt war.

Das Hamburger Programm der SPD von 2007 bekräftigt: „Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund.“

Auch das Regierungsprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2009 enthielt die Aussage: "Direkte Demokratie. Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen in den Ländern berücksichtigen."

Der SPD-Bundesparteitag 2011 hat in einem umfangreichen Beschluss „Mehr Demokratie leben“ die Forderung bestätigt, die parlamentarische Demokratie durch Elemente direkter Demokratie zu ergänzen. Auf dieser Grundlage hat die SPD-Bundestagsfraktion Entwürfe für eine Grundgesetzänderung und erstmals auch für ein Bundesabstimmungsgesetz erarbeitet und im Frühjahr 2013 in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksachen 17/13873 und 17/13874).

Nachdem bei der Bundestagswahl 2013 CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der gültigen Stimmen erreicht hatten, während die SPD nur 25,7 Prozent erreichte, war es bei den Koalitionsverhandlungen nicht möglich die noch immer in der CDU tief verwurzelte Abneigung gegenüber Elementen direkter Demokratie zu überwinden. Ein Versuch, über die in dieser Hinsicht etwas offenere CSU auf die CDU einzuwirken, hatte leider keinen Erfolg. Die Koalition daran scheitern zu lassen, wäre aber nicht verantwortbar gewesen. Denn gemessen am Wahlergebnis haben wir in dieser Koalition sehr viel erreicht. Außerdem hätte eine, dann wahrscheinliche schwarz-grüne Koalition mit einem viel stärkeren Übergewicht von CDU und CSU in diesem Punkt sicher auch nicht den notwendigen Fortschritt gebracht.

Um auch junge Menschen früh in politische Prozesse einzubinden bin ich zudem für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Bundestagswahlen. Dafür steht auch die SPD mit ihrem Regierungsprogramm 2017 – 2021. Denn je früher wir junge Menschen in politische Prozesse einbinden, desto früher stärken wir meiner Meinung nach das Demokratieverständnis der Bürgerinnen und Bürger.

Ich werde weiter für direkte Demokratiebeteiligung werben und mich für deren Einführung stark machen. In den Bundesländern haben wir dazu schon positive Erfahrungen gemacht. Das wünsche ich mir auch für die Bundesebene.

Mit freundlichen Grüßen

Martina Stamm-Fibich

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Martina Stamm-Fibich
Martina Stamm-Fibich
SPD