Frage an Martina Stamm-Fibich von Marco L. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,
seit einigen Wochen schlagen die Wellen bezüglich der geplanten Privatisierung von Autobahnen und Schulen berechtigterweise sehr hoch. Als Steuerzahler frage ich mich ernsthaft, wie Sie, als gewählter Volksvertreter, dazu stehen? Denn es ist ABSOLUT nicht in meinem Interesse, das durch eine schnelle Grundgesetzänderung die Autobahnen nicht mehr in bundeseigener Verwaltung geführt werden. Das Modell der ÖPP bei künftigen Autobahnprojekten ist ebenfalls, lt. Bundesrechnungshof, z.T bis zu 40% teurer. Sollten Sie dieser Änderung zustimmen, werde ich Sie und Ihre Partei nicht mehr wählen.
Sehr geehrter Herr Lorenzett,
vielen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch vom 31. Mai zur geplanten „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ und den damit verbundenen Änderungen des Grundgesetzes. Ich kann Ihre kritische Haltung gegenüber der heute vom Deutschen Bundestag beschlossenen Verkehrsinfrastrukturgesellschaft gut nachvollziehen, denn ich teile Ihre Bedenken. Deshalb habe ich mich auch bei der Abstimmung über die Änderungen der Grundgesetzartikel 90 und 143e enthalten. Meine Gründe für die Enthaltung schildere ich Ihnen nachfolgend:
Deutschland braucht eine leistungsfähige und flächendeckende Verkehrsinfrastruktur – auf der Straße, der Schiene, zu Wasser und in der Luft. Eine moderne Verkehrsinfrastruktur sichert wirtschaftliches Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in unserem Land.
Dafür braucht es nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern diese Ressourcen müssen auch effizient eingesetzt werden. Da dies sowohl bei der Planung, dem Bau und dem Erhalt der Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen im aktuellen System der Auftragsverwaltung der Länder nicht optimal funktioniert, haben sich SPD, CDU und CSU im Koalitionsvertrag nicht nur darauf verständigt, dass mehr staatliches Geld investiert werden muss, sondern auch darauf, gemeinsam mit den Ländern Vorschläge für eine Reform der Auftragsverwaltung zu erarbeiten.
Das Ergebnis ist nun Teil des umfangreichen Pakets zur Änderung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, auf die sich alle 16 Länderregierungen und die Bundesregierung im Oktober und Dezember 2016 verständigt haben. Das Paket besteht aus zwei Gesetzentwürfen der Bundesregierung: einem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes sowie einem Gesetzentwurf mit allen weiteren erforderlichen Regelungen, das sogenannte Begleitgesetz. Regelungen zur „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, die zukünftig für den Bund die Planung, den Bau und den Erhalt der Autobahnen übernehmen soll, finden sich in beiden Gesetzentwürfen.
Die erste Beratung über dieses Gesamtpaket im Deutschen Bundestag fand am 16. Februar statt. Danach wurde es zur weiteren Beratung an den federführenden Haushaltsausschuss überwiesen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben von Anfang an klar gemacht, dass wir dieses umfangreiche Paket nicht einfach „durchwinken“ werden.
Auf Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages wurden in den Sitzungswochen des Bundestages im März insgesamt sechs mehrstündige öffentliche Anhörungen durchgeführt, eine davon hatte nur die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ zum Thema.
Seit Wochen und Monaten begleiten insbesondere die Arbeitsgruppen Verkehr, Haushalt und Wirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion dieses Thema intensiv. Meine zuständigen Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen haben unzählige Gespräche geführt und sich umfassend informiert. Unter den Gesprächspartnern waren z.B. Gewerkschaftsvertreter, Personalvertretungen, Beschäftigte der Landesstraßenbauverwaltungen, Verfassungsrechtler, Ökonomen und der Bundesrechnungshof.
Außerdem ist zu beachten, dass der Bundestag hier über ein Regelungspaket entschieden hat, das im Vorfeld bereits zwischen allen Ministerpräsidenten und der Bundesregierung abgestimmt wurde. Da die Länder in den Finanzbeziehungen Erleichterungen durch den Bund erfahren haben, haben sie im Gegenzug zugestanden, ein Stück ihrer Kompetenz im Bildungsbereich wieder an den Bund zu geben und in diesem Zusammenhang auch Bau, Planung und Verwaltung von Bundesstraßen bzw. Autobahnen dem Bund zu übertragen. Diese Verhandlungen auf einer von der Verfassung nicht vorgesehenen Ebene zwischen den Länderregierungen und der Bundesregierung halte ich für äußerst kritikwürdig. Die Beratungen des Bundestages wurden deutlich dadurch erschwert, dass die Ministerpräsidenten gemeinsam mit der Bundesregierung ein Gesamtpaket völlig unterschiedlicher Regelungsbereiche verabschiedet haben, die im Parlament faktisch nicht mehr entkoppelt werden können. Ich hoffe, dass alle Beteiligten aus diesem Fehler lernen.
Ohne Zweifel haben meine Kolleginnen und Kollegen gegenüber der Union erfolgreich verhandelt. Ich habe mich vor der Abstimmung mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Verkehrs- und dem Haushaltsauschuss beraten, um die erzielten Kompromisse abschließend zu bewerten. Meine Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Die Kolleginnen und Kollegen konnten mich aber nicht überzeugen. Zwar konnte die SPD-Bundestagsfraktion im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens viele unserer Forderungen durchsetzen, doch für mich bleiben Zweifel und offene Fragen, ob dieser Weg der richtige ist. Deshalb habe ich mich bei der Abstimmung enthalten.
Im Vergleich zu den ursprünglich von Verkehrsminister Dobrindt und Finanzminister Schäuble vorgelegten Plänen konnte die SPD-Bundestagsfraktion im parlamentarischen Verfahren tatsächlich viele Verbesserungen erreichen. Diesen Verhandlungserfolg meiner Kolleginnen und Kollegen gegenüber der CDU/CSU erkenne ich an. Die Vereinbarungen, die etwa für die Beschäftigten der Straßenbauverwaltungen erzielt wurden, stellen eine deutliche Verbesserung gegenüber den ursprünglichen Plänen dar. Ich sehe die erzielten Erfolge jedoch nicht als ausreichend an.
In der Metropolregion Nürnberg sowie in meinem Wahlkreis Erlangen gibt es eine viele Pendlerinnen und Pendlern, die auf eine funktionierende Infrastruktur und ein gut ausgebautes und instand gehaltenes Autobahnnetz angewiesen sind. Die ländliche Struktur und die veränderten Arbeitsbedingungen setzen der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs Grenzen. Und das obwohl der Ausbau des Nahverkehrs voranschreitet. Ich bin strikt gegen eine Privatisierung der Autobahnen und Bundesfernstraßen als Teil der Daseinsvorsorge. Ich sehe noch immer die Gefahr einer späteren Privatisierung auf Grundlage der jetzigen Änderungen im Grundgesetz.
Aus meiner Sicht besteht zudem die Gefahr, dass die rasche Gründung der „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ zu Problemen führen wird und die Handlungsfähigkeit der neuen Infrastrukturgesellschaft in den ersten beiden Jahre nicht garantiert ist. Die Handlungsfähigkeit muss jedoch gerade zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger durchgehend gewährleistet werden. Ich befürchte, dass es durch die Umstellung deutliche Verzögerungen und Effizienzverluste geben wird.
Ich sehe auch die erstmals im Grundgesetz verankerten Regelungen zu Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP) kritisch. Ein völliger Ausschluss von ÖPP im Grundgesetz, der einer 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf, war in der bestehenden Koalition nicht realisierbar.
Ich teile Ihre Bedenken hinsichtlich des weitreichenden Eingriffs in das Grundgesetz. Durch die Verknüpfung verschiedener inhaltlicher Punkte und deren Festschreibung im Grundgesetz ist eine spätere Korrektur einzelner Punkte bei Fehlentwicklungen nur noch schwierig möglich.
Darüber hinaus sehe ich bei der Finanzierung der geplanten Gesellschaft noch Unklarheiten. Das Ziel der Gesellschaft einer Nutzerfinanzierung sehe ich kritisch, da ich eine stärkere Belastung derjenigen Bürgerinnen und Bürger vermeiden möchte, die auf ihr Auto und die Nutzung der Autobahnen angewiesen sind.
Mein verkehrspolitisches Ziel ist eine gemeinwohlorientierte Verwaltung für ein effizientes Autobahn-Netz, das allen Menschen in unserem Land zu Gute kommt. Die nun beschlossenen Regelungen halte ich jedoch für den falschen Weg.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Stamm-Fibich