Frage an Martina Stamm-Fibich von Alfons G. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,
Zur Zeit gilt bei uns in der Transplantationsmedizin gemäß TPG für Organspenden die erweiterte Zustimmungslösung. Wenn abgestimmt werden müsste was zukünftig gelten soll: a) enge Zustimmungslösung, b) erweiterte Zustimmungslösung oder c) Widerspruchslösung – wofür würden Sie sich entscheiden? Wie ist Ihre Meinung zum sogenannten Hirntod.
Mit freundlichen Grüßen
Alfons Grau
Sehr geehrter Herr Grau,
Ihre Fragen zum Transplantationsgesetz, bzw. zum Thema Hirntod sind sicherlich nicht einfach zu beantworten. Ich habe mir darüber als Privatperson schon längere zeit Gedanken gemacht und bin, um wirklich ehrlich zu sein, zu keinem völlig abschließenden Ergebnis gekommen. Ihre Frage bezüglich meiner Entscheidung im Falle einer zukünftigen Abstimmung über die verschiedenen Lösungen für Organspenden im Transplantationsgesetz berührt das Spannungsfeld zwischen dem berechtigten Interesse, durch Organentnahme schwerstkranken Menschen eine neue Lebensperspektive zu verschaffen und dem ebenso berechtigten Interesse des Einzelnen auf Würde und körperliche Unversehrtheit auch über den Tod hinaus.
Ich möchte mich an dieser Stelle nicht um eine Antwort herumdrücken. Wenn ich mich jetzt konkret entscheiden müsste, dann würde ich mich vor allem gegen eine Widerspruchslösung und in Folge dessen wohl für eine enge Zustimmungslösung entscheiden. Ich möchte dies im Folgenden kurz begründen:
Für mich ist die Entnahme von Organen ein so erheblicher Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht des Menschen, dass dies für mich nur dann ethisch vertretbar ist, wenn die/der Betroffene selbst zuvor eindeutig und ausdrücklich eingewilligt hat. Die Widerspruchslösung hingegen verzichtet auf eine solche ausdrückliche Willensbekundung. Sie wertet das Schweigen einer Person grundsätzlich zunächst als Zustimmung, unabhängig davon, ob der Betroffene überhaupt eine Erklärung in dieser Form abgeben wollte oder nicht. Ein solcher Eingriff in ein fundamentales Rechtsgut wie das postmortale Persönlichkeitsrecht ist für mich, trotzdem ich die Hoffnungen vieler schwerst kranker Menschen kenne und respektiere, ethisch höchst problematisch. Es ist allein schon fraglich, ob allen Teilen der Bevölkerung vermittelt werden kann, welche erhebliche Bedeutung ihr Schweigen hätte. Ich glaube es ist nicht vertretbar, die Bürger/innen zur Wahrnehmung ihrer Selbstbestimmungsrechte zu zwingen. Dies ist jedoch letztlich die Konsequenz einer Widerspruchslösung: ?Ich muss das Recht wahrnehmen, mich dagegen zu entscheiden, will ich eine Organentnahme verhindern.? Viele Bürger/innen entscheiden sich zu Lebzeiten bewusst nicht für oder gegen eine Organspende, weil sie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod fürchten oder die (unbegründete) Angst davor haben, als potenzieller Organspender/innen in einer lebensbedrohlichen Situation nicht angemessen ärztlich versorgt zu werden. Die Freiheit, sich mit diesen Fragen nicht auseinander zu setzen, muss gewahrt bleiben, ohne dass dies automatisch rechtliche Auswirkungen zur Folge hat.
Zu Ihrer Frage nach meiner Meinung nach dem sogenannten Hirntod: Ich bitte um Verständnis, dass ich mir als Nichtmedizinerin kein abschließendes Urteil über die oft diskutierte Frage, wann ein Mensch Tod ist, erlauben möchte. Das wäre anmaßend. Die zentrale Frage bei einer Organspende ist die Feststellung, wann der so genannte Hirntod eingetreten ist. Ärzte müssen sich bei der Hirntod-Diagnose im Augenblick an die 1997 von der Bundesärztekammer überarbeiteten Richtlinien und an das Transplantationsgesetz halten. Als Hirntod definiert die Medizin und der Gesetzgeber den vollständigen, irreversiblen Ausfall der gesamten Gehirntätigkeit eines Patienten. Laut Transplantationsgesetz (§5 Nachweisverfahren) muss das Vorliegen aller Befunde zur Diagnose Hirntod bei einer möglichen Organspende übereinstimmend von zwei erfahrenen Ärzten, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe beteiligt sind, festgestellt und schriftlich dokumentiert werden. Diese Ärzte dürfen auch nicht irgendwelchen Anweisungen zur Organentnahme folgen.
Zur definitiven Feststellung der Unumkehrbarkeit des Verlustes der Hirnfunktion sind entweder ergänzende apparative Untersuchungen notwendig oder eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestbeobachtungszeit. Ziel der Hirntod-Diagnose bei einer möglichen Organspende ist es, ein zweifelsfreies Bild vom Zustand des Patienten zu bekommen. Patienten, bei denen auch nur der geringste Verdacht auf eine erhaltene Bewusstseinsleistungen besteht, müssen von der Hirntod-Diagnose ausgeschlossen werden. Ich denke diese gesetzliche Regelung ist nicht die schlechteste. Sicherlich kann man überlegen, ob die Kriterien zur Feststellung des Hirntods nicht noch schärfer gefasst werden müssen. Dennoch, meine ich, dass der Hirntod selbst die Voraussetzung für die Entnahme von Organen sein muss. Egal ob Widerspruchslösung oder, wie auch immer geartete Zustimmungslösung, es muss medizinisch sichergestellt sein, dass Organe noch funktionsfähig sind. Anders macht eine Organspende keinen Sinn.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Stamm-Fibich