Frage an Martina Renner von Rainer Q. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Renner,
ich möchte Sie fragen wie zu dem jüngst in Weimar ergangenen Urteil bezüglich der Kontaktbeschränkungen Stellung beziehen.
(https://www.mdr.de/thueringen/mitte-west-thueringen/weimar/corona-urteil-kontaktbeschraenkung-weimar-100.html)
Ich erwarte Ihre Antwort mit Freude und
verbleibe mit freundlichen Grüßen
R. Q.
Sehr geehrter Herr Quednau,
Vielen Dank für die Frage nach meiner Haltung zum Urteil des Amtsgerichtes Weimar, das am 11.01.2021 veröffentlicht wurde. Vorab möchte ich betonen, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist, da die Staatsanwaltschaft Erfurt bereits einen Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Im Ergebnis sprechen wir also über eine bisher vorläufige Richtermeinung aus erster Instanz. Bemerkenswert ist, dass der Bayrische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) als das höchste bayerische Verwaltungsgericht die Entscheidung des Amtsrichters aus Weimar als nicht tragfähig beurteilt hat. Dort hatte sich ein Bürger aus München mit Verweis auf das Urteil aus Weimar gegen die aktuellen Corona-Einschränkungen in Bayern gewandt. Die Bayerischen Verwaltungsrichter erklärten dazu u.a., dieses Urteil sei methodisch fragwürdig. „Außerdem maße sich das Amtsgericht eine Sachkunde an, die ihm angesichts der hochkomplexen Situation ersichtlich nicht zukomme“. (s. Pressemitteilung unter https://www.vgh.bayern.de/media/bayvgh/presse/pm_querdendenk_am_24.01.2021_in_munchen.pdf) Dass der bayerische VGH keineswegs nur die Regelungen der dortigen Staatsregierung abnickt, zeigen verschiedene Entscheidungen, aktuell zur Aufhebung der 15-Kilometer-Regel.
Ich finde auch, dass das sonstige Agieren und die persönliche Position des Amtsrichters berücksichtigt werden muss. Offenbar hat dieser Jurist bereits zwei Mal als Privatmann gegen den Freistaat Thüringen geklagt, um die Maskenpflicht und Abstandsregeln zu kippen. Das ist natürlich sein gutes Recht. Aber die Argumentation in diesen Verfahren, in denen er selbst Antragsteller war, ist offenbar nahezu identisch mit der jetzt von ihm getroffenen Entscheidung. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte damals zu einem seiner Anträge erklärt, dass sich der Antragsteller eine „Erkenntnisgewissheit zumaße, die ersichtlich so nicht bestehe.“ Die Argumentation des Juristen aus diesen vom Gericht abgelehnten Anträgen weist große Ähnlichkeit zu seinem Urteil auf. Darin kommt er zu dem irrigen Schluss, schon wegen seiner Auslegung der Generalklausel § 28 IfSG seien die Verordnungen verfassungswidrig. (s. https://www.bundestag.de/resource/blob/690734/c5bec62e6b1a9dd40cef93bce90b9a43/WD-9-009-20-pdf-data.pdf, S.6). Diese Argumentation ist juristisch nicht tragfähig. Genau dies ist aber notwendig, sowohl für die Einschränkungsverordnungen als auch für deren Aufhebung.
Die Argumentation, zum fraglichen Zeitpunkt habe keine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorgelegen, ist methodisch nicht vertretbar und zudem widersprüchlich. Zuerst bemängelt das Gericht die vermeintliche Ungenauigkeit der Infektionszahlen des Robert Koch Institutes (RKI). Gleichzeitig nutzt es aber eben diese Zahlen für einen angeblichen Beweis eines vermeintlichen Infektionsrückgangs. Für seine eigene empirische Analyse der Infektionslage des Jahres 2020 nutzt der Richter diverse wissenschaftliche Quellen. Allerdings werden diese – der eigenen Argumentation und dem ersichtlich gewünschten Ergebnis zuträglichen - Quellen bspw. nicht kritisch betrachtet und geprüft wie es im Wissenschaftsbetrieb Konsens und auch in der Rechtswissenschaft eine Selbstverständlichkeit ist. Die u.a. heran gezogene „Metastudie des Medizinwissenschaftlers und Statistikers John Ioannidis“ zur Infentionssterblichkeitsrate (IFR) gilt – höflich gesagt – als „umstritten“ und keinesfalls als seriös. Das alleine bedeutet noch gar nichts, ist aber bei der Bewertung der Entscheidung zu betrachten. Denn selbst stellt der Verfasser des Urteils höchste Ansprüche bspw. an das RKI und andere, vor denen er seine eigene Argumentation bewahrt. Zudem verkennt er – und das ist eigentlich das Erschreckendste – das Wesen des Gefahrenabwehrrechts. Die Corona-Beschränkungen gehören zum Gefahrenabwehrrecht. Sie sollen präventiv wirken und die schlimmsten Folgen durch das Virus verhindern. Der Gesetzgeber hat dabei immer einen Einschätzungsspielraum, der sich auf der Basis wissenschaftlicher Daten und auch Prognosen bildet, also gerade nicht willkürlich genutzt werden darf. Maßstab ist die ex-ante-Perspektive, also „vorher“, bzw. welche Gefahren werden erwartet. Die rückblickende und offenbar vor allem persönliche Perspektive dieses Richters kann dies weder ersetzen noch eine tragfähige Grundlage für eine tatsächliche juristische Kritik an den gesetzgeberischen Entscheidungen sein.
Ich finde, im Ergebnis schadet diese Entscheidung sogar der kritischen Auseinandersetzung über die Einschränkungen, deren Dauer und Wirkung sowie daneben dringend notwendige Maßnahmen zur Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Schäden der Pandemie. Niemand sollte dem Irrtum unterliegen, dass diese Entscheidung ein Beleg für staatliche Willkür und die Verfassungswidrigkeit der Einschränkungen wäre. Sie ist wohl eher ein Beleg dafür, dass sich auch Gerichtsurteile weder über wissenschaftliche Fakten hinwegsetzen können noch außerhalb des betreffenden Rechtsrahmens bewegen dürfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Martina Renner