Frage an Martina Broschei von Kristin H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Broschei,
können Sie Ihre Zustimmung zur zweiten These "Die Politik soll festlegen, wie viele Flüchtlinge Deutschland jedes Jahr aufnimmt" weiter begründen? Bedeutet das für Sie die Notwendigkeit einer fixen Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen?
Beste Grüße
K. H.
Sehr geehrte Frau H.,
erst einmal vielen Dank für Ihre Frage. Vielleicht haben Sie gesehen, dass wir lediglich 300 Zeichen als "Antwort" zur Verfügung hatten, ein so komplexes Thema lässt sich da aber beim besten Willen nicht mit beantworten, deshalb hatte ich gehofft, es würde schon jemand fragen, also noch einmal Danke ;-).
Meine Wunschvorstellung zum einen wäre, dass Europa nun endlich wirklich langsam mal als das Europa der Menschen beginnt zusammen zu wachsen. Denn das Europa, das mal begründet wurde um wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund zu stellen, und zwar ausschliesslich - wird keine Zukunft haben. Der Mensch ist Mittel - Punkt, das ist die heute immer noch gültige Aussage. Ich sage Nein - der Mensch ist Mittelpunkt. Wie sonst ist es zu erklären, dass wir in immer mehr europäischen Staaten und auch hier in Deutschland ein Wieder-Erstarken von rechtsnationalen Parteien erleben müssen, von dem wir doch alle dachten, es wäre niemals mehr möglich. Dazu beigetragen hat eben auch diese völlige Ausrichtung der Politik auf die Wirtschaft, bei der die Menschen nicht mitgenommen wurden. Vermögen sind heute ungleicher und ungerechter verteilt denn je, die sozialen Unruhen nehmen zu, die Altersarmut im fast gleichen Maße wie das "Flaggen hinterherlaufen" auch - alles Vorzeichen wie es sie auch in den 20er und 30er Jahren gab. (Meine Familie väterlicherseits übrigens musste damals auch aus ihrer Heimat Ostpreussen flüchten und ich erinnere noch sehr gut, wie in den abendlichen Gesprächen wenn man dachte ich würde als Kind bereits schlafen, darüber gesprochen wurde wie ebenfalls wenig willkommen man damals geheissen wurde. Aber auch damals gab es Menschen, die geholfen und geteilt haben, auch meiner Familie, so sind Freundschaften über die Generationen hinweg begründet worden.).
Es ist notwendig soweit auszuholen, denn das sind auch Gründe, warum es heute diesen Fremdenhass gibt, dazu die persönliche Angst vor (weiterem) wirtschaftlichem Abstieg. Dass jedoch die europäischen Staaten z.T. mit dazu beigetragen haben, dass es heute so grosse Fluchtbewegungen gibt, mit ihrer damaligen Kolonialpolitik, die in Afrika einen ganzen Kontinent tatsächlich mit dem LINEAL unter sich aufgeteilt haben, und die dort und auch in arabischen Ländern dann die Boden- u. andere Schätze (in früherer Zeit auch die Arbeitskräfte die als Sklaven verkauft wurden als "Ertrag" eines Landes) verkauften und so den Reichtum als auch die Menschen ganzer Regionen ausser Landes schafften, ihres dazu getan haben, dass jetzt eben die dort lebenden Menschen oft gar keine andere Wahl mehr haben als ihre Kinder und sich zu retten, weil zusätzlich unersättliche Konzerne wie Nestlè das wenige dort vorhandene Wasser fördern um es in Flaschen abgefüllt als teures Wellnesswasser zu verkaufen - das kann man hier kaum jemandem vermitteln. Dass ein in Syrien stattfindender Krieg ebenfalls "nur" ein Stellvertreter-Krieg der beiden Grossmächte und ihrer Verbündeter sowie der jeweiligen anhängigen Konzerne ist, wohl ebenfalls eher nicht. Weil es so unfassbar klingt, dass täglich Menschen sterben müssen, weil Nationen ihre Vormachtstellungen oder den Zugang zu einem westlichen Hafen oder eben auch die vorhandenen Bodenschätze einfach nicht teilen wollen. Dabei gehört all das doch den dortigen Staaten und also den Menschen, die in diesen Staaten leben. Diese Menschen jedoch haben aus Gründen keinerlei Möglichkeit gehört zu werden und müssen die bitteren Konsequenzen tragen. Also entweder dort bleiben mit guter Aussicht in den Konflikten getötet zu werden oder woanders zu verhungern und zu verdursten, falls Nestlè und andere Konzerne das bereits so entschieden haben mit dem abpumpen des lebensnotwendigen Wassers und anderer wichtiger Ressourcen.
Es gilt auch zu unterscheiden, nämlich nach Flüchtlingen und nach Einwanderern. Für Einwanderer brauchen wir endlich ein vernünftiges Einwanderungsgesetz. Die Politik erzählt uns seit Jahren wir wären ein Einwanderungsland - warum haben wir dann noch kein gutes Gesetz dazu? Das würde die Zahl der Menschen die auf dem Weg zu uns aktuell umkommen, doch deutlich reduzieren, sollte man zumindest meinen. Dann wäre nämlich vorher klar, wer hat gute Aussichten hier, wer eben nicht. Und dann gibt es die Flüchtlinge, die vor Krieg fliehen - es ist Menschenpflicht, dass wir hier diese Menschen aufnehmen bis sie wieder zurückkehren können und sie in ganz Europa nach einem Schlüssel verteilen, und zwar ohne Ausnahmen, gerecht nach den Möglichkeiten jedes EU-Landes. Und wir müssen alles dazu tun, dass die Kriege mit unserem Einfluss beendet werden, dazu Wiederaufbauhilfe leisten, damit die Menschen überhaupt eine gute Rückkehrperspektive haben. Jede verkaufte Waffe, jede verkaufte Kugel in ein Krisengebiet bringt dazu neue Menschen auf den so gefahrvollen Weg der Flucht, deshalb sollte dies untersagt werden.
Dann ... gibt es auch noch die "reinen" Wirtschaftsflüchtlinge. Auch hier müssen wir als Europa einiges tun um diesen Menschen in ihren eigenen Staaten eine Perspektive (auch wirtschaftlich) zu bieten. Warum z.B. dürfen Unternehmen wie Wiesenhof hier in Deutschland einen grösseren Geflügelaufzucht- u. Schlachtbetrieb nach dem nächsten errichten in dem zum einen die Tiere unter unwürdigen Bedingungen "leben" müssen, und die mit diesen Tieren dann als Exportgut die Landwirte in Afrika preislich unterbieten und wieder weitere Wirtschaftsflüchtlinge "produzieren" im Nebeneffekt, um die sich dann aber andere kümmern sollen? Wir als Verbraucher haben es aber auch mit in der Hand, ich persönlich boykottiere schon seit vielen Jahren Wiesenhof, weil sie es mit am schlimmsten treiben was die Haltungsbedingungen der Tiere betrifft. Dazu auch Nesltè, denn ein Konzern, der in den trockensten Gebieten dieser Welt gnadenlos auch noch den letzten Tropfen Wasser absaugt solange sich damit Geld verdienen lässt, bekommt zumindest von mir keinen einzigen Cent mehr. Wenn mehr Menschen so denken würden, liesse sich da vielleicht auch was bewegen. Und natürlich ist auch die Politik aufgefordert, eben nicht nur auf die "sprudelnden" Steuereinnahmen zu schielen, sondern viel mehr auf die Einhaltung von Ethikgesetzen zu achten und diese eben auch durchzusetzen. Tatsächlich können wir aber wirklich nicht alle Wirtschaftsflüchtlinge dieser Welt aufnehmen, und das meinte ich mit der Zustimmung zu Obergrenzen. Aber dann gibt es eben auch die Mitverantwortung, die wir als reiche Nation haben und als eines der führenden Länder in dieser EU, einiges dazu zu tun, dass diese Menschen deutlich bessere Chancen in ihren Heimatländern haben. Bildung für alle Kinder zu ermöglichen wäre hier eine Massnahme, der Zugang zu sauberem Wasser, zu ausreichender guter medizinischer Versorgung, die deutliche Begrenzung der wirtschafltichen Ausnutzung und Ausbeutung durch Konzerne indem deutlich strengere Gesetze und Richtlinien von der europäischen als auch deutschen Politik erlassen werden - das wären erste wichtige Massnahmen hin zu einer Welt, in der für alle genug da ist. Denn das ist es, zumindest wenn wir als Weltbevölkerung das so beschliessen.
Aktuell bittet die UN schon seit Monaten um Gelder, damit sie die Menschen in Krisengebieten (hier auch insbesondere Afrika) angemessen versorgen kann mit Nahrungsmitteln, mit Wasser und der notwendigen medizinischen Versorgung. Bekommen - haben sie wie auch schon in 2015 nur einen Bruchteil dessen, was sie dringend benötigten. Scheint so, als hätte man nichts gelernt - scheint auch so, als wäre es der Weltgemeinschaft aktuell sowieso egal...
Weitere Infos entnehmen Sie bitte gerne diesem link aus unserem Wahlprogramm:
https://www.piratenpartei.de/mission/wahl-und-grundsatzprogramme/wahlprogramm-btw2017/asyl-und-migration/
Ich hoffe ich konnte Ihnen einigermaßen ausführlich antworten, falls noch mehr Bedarf besteht, zögern Sie bitte nicht und stellen Sie gerne weitere Fragen.
Herzliche Grüsse
Martina Broschei