Frage an Martin Rosemann von Birgit D. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Rosemann,
mit Fassungslosigkeit habe ich gerade gelesen, dass Sie auch für die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration gestimmt haben. Das ist ein Skandal. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass auch die SPD eine Tierquäler-Partei ist. Das ging schon mit dem Koalitionsvertrag los, indem sich die SPD gemeinsam mit CDU/CSU darauf geeinigt hat, Tierschützer, die in Ställe „einbrechen“ (um Missstände aufzudecken!), härter bestrafen zu wollen. Im September hat die SPD zusammen mit CDU/CSU zwei verschiedene Anträge von FDP und Grünen zu Verschärfungen bei Tiertransporten abgelehnt. Und nun diese unselige Fristverlängerung!
Genau dieses "Weiter-So-für-die-Wirtschaft-koste-es-was-es-wolle" ist der Grund dafür, dass der SPD die Wähler in Scharen weglaufen.
Bitte erläutern Sie mir Ihre ganz persönlichen Beweggründe, warum Sie dafür gestimmt haben, dieses qualvolle Prozedere beibehalten zu wollen.
Und kommen Sie mir nicht mit einer vorformulierten Textwüste von Ihrem SPD-Kollegen Rainer Spiering. Und auch nicht mit dem Totschlagargument Arbeitsplätze (ich weiß, eine makabre Wortwahl in Zusammenhang mit dem sensiblen Thema Tierschutz). Wenn Geschäftsgrundlagen ethisch nicht vertretbar sind und zu gesundheitlichen Gefahren von Mensch, Tier und Umwelt führen, dürfen Arbeitsplätze kein Argument mehr sein.
Mich interessiert wirklich, ob Sie als Politiker noch Empathiefähigkeit für andere Lebewesen haben, und wie Sie persönlich zum Thema Tierschutz stehen.
Mit freundlichen Grüßen,
B. D.
Sehr geehrte Frau D.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Bevor ich auf Ihre Kritik eingehe, möchte ich vorab festhalten, dass ich natürlich Empathie für andere Lebewesen habe. Jedes Lebewesen sollte mit Respekt und Würde behandelt werden. Daher setzt sich auch die SPD-Bundestagsfraktion dafür ein, dass die Lebensbedingungen von Nutz-, Heim- und Wildtieren nachhaltig verbessert wird.
Sie kritisieren unsere Zustimmung zur Fristverlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration um weitere zwei Jahre. Ich möchte Ihnen hier gerne darlegen, warum wir diese Entscheidung trotz aller Bedenken getroffen haben.
In der öffentlichen Anhörung sprach sich die Mehrheit der Sachverständigen aufgrund fehlender praktischer Alternativmethoden für eine Verlängerung der Frist für die betäubungslose Ferkelkastration aus. Selbst der von der Fraktion Die Linke benannte Sachverständige Dr. Andreas Palzer vom Bundesverband praktizierender Tierärzte bestätigte, dass die Übergangsfrist unerlässlich ist, da die Alternativen (Ebermast, Impfung, Isofluran-Narkose) derzeit flächendeckend nicht zur Verfügung stehen. Mehrere Sachverständige führten aus, dass die meisten Schlachter kein geimpftes Fleisch abnehmen würden. Den Ferkelerzeugern fehlt daher zurzeit eine Abnahmegarantie. Die Inhalationsnarkose mit Isofluran darf gerade nicht vom Landwirt, sondern nur vom Tierarzt angewendet werden. Fragen der Anwendungssicherheit müssen daher zunächst geklärt werden. Außerdem gibt es zurzeit auf dem Markt zu wenig Narkosegeräte.
Die Sachverständigen raten daher, erst alle Alternativen praxistauglich zu machen, damit die Landwirte frei wählen können, welche Alternative für ihren Betreib geeinigt ist. Das zuständige Landwirtschaftsministerium (BMEL) hat in den letzten fünf Jahren nichts unternommen, um Betäubungsmethoden, die einfach durchführbar sind und gleichzeitig effektiv betäubten, anwendungsreif zu machen. Dadurch ist die aktuelle missliche Lage entstanden. Dabei ergab bereits 2016 der Bericht der Bundesregierung, dass es einen dringenden Handlungsbedarf gibt.
Ohne die Fristverlängerung müssen wir befürchten, dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen Landwirten kommt. Die Folge wäre, dass mehrere Millionen Ferkel über mehr als tausend Kilometer aus Ost- und Nordeuropa importiert werden würden. Diese würden auch auf Dauer nicht nach deutschen Tierschutzstandards kastriert werden und noch dazu weite Transportwege zurücklegen. Das ist aufgrund des europäischen Binnenmarktes zulässig und wäre aber unter Tierschutzaspekten ebenfalls mehr als bedenklich.
Aus Gesprächen mit ortsansässigen Landwirten ist mir bekannt, dass auch diese eine betäubungslose Ferkelkastration nach der bisherigen Praxis für falsch halten. Jedoch wird von ihnen auch das Problem gesehen, dass viele weitere Kleinbauern durch die neu entstehenden Kosten ihren Betrieb aufgeben müssen. So hat sich bereits die Anzahl an Schweinehalterinnen und -haltern im Kreisbauernverband Tübingen und Zollernalb in den letzten zehn Jahren halbiert. Daraus folgen lange Tiertransporte aus anderen Ländern, was eine noch größere Tierquälerei darstellt. Wichtig ist daher, ein Bewusstsein für regionale (Fleisch-)Lebensmittel mit kurzen Wegen und mehr Tierwohl zu schaffen.
Aus diesen Gründen haben wir der Verlängerung der Übergangsfrist zugestimmt und nun auch rechtssicher festgelegt, dass spätestens am 31. Dezember 2020 endgültig Schluss mit der betäubungslosen Ferkelkastration sein wird. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wurde im Gesetz dazu verpflichtet, bis zum 30. Mai 2019 endlich die Verordnung über die Sachkunde und die Anwendung von alternativen Methoden zur Ferkelkastration vorzulegen. Wir sorgen dafür, dass der hohe Tierschutzstandard von Neuland (Betäubung mittels Masken) zukünftig bundesweit als praxistaugliche Alternative zur Verfügung steht. Außerdem werden wir eine Informationskampagne durchführen, damit auch andere Alternativen wie die Ebermast oder Impfungen eine realistische Chance am Markt bekommen. Wir werden die Ferkelzüchtenden bei der Einführung der neuen Betäubungsmethoden unterstützen. Durch die Informationskampagne und ein Förderprogramm zur Unterstützung bei der Anschaffung der Narkosegeräte werden wir vor allem kleine und mittlere Betriebe bei der Umstellung begleiten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen zeigen, dass der SPD sehr wohl an Tierschutz gelegen ist. Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der Ferkelkastration haben wir dazu genutzt, generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzufordern und klare Verabredungen unter den Koalitionsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem Entschließungsantrag unter anderem das Bundeslandwirtschaftsministerium dazu auf, bis Mitte der Legislaturperiode die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nicht-kurative Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Rosemann