Frage an Martin Rosemann von Philip G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Rosemann.
Ich schreibe Ihnen heute, weil mir gefällt, dass ihr persönlicher Antrieb Politik zu machen ist Probleme zu lösen!
Und da hätte ich eines für Sie: Ich beobachte den momentanen Diskurs der Sondierungspartner über den Familiennachzug.
Die Wunschvorstellung von Integration durch Familiennachzug entspricht leider nicht der Realität. Vielmehr haben sich Parallelgesellschaften gebildet (weil Menschen natürlich so leben möchten, wie sie es gewohnt sind und es Ihrer Sozialisation und Kultur entspricht). Durch religiös-indoktrinäre Prägungen über Generationen hinweg ist eine Integration in unsere Sozialisation vielfach gar nicht gewünscht oder aus psychologischen Gründen kaum möglich. Welche alternativen Möglichkeiten zum bedingungslosen Familiennachzug könnten Sie sich vorstellen?
Vielen Dank schon mal für Ihre Antwort und ein gesundes neues Jahr wünsche ich Ihnen!
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage, zu der ich gerne Stellung nehme.
Von einem bedingungslosen Familiennachzug war nie die Rede – vielmehr sollen nach den Ergebnissen der Sondierungsgespräche enge Grenzen für den Familiennachzug von Leuten gelten, die weder politisches Asyl noch Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention genießen.
Ich teile aber ihre Analyse nicht, dass sich durch den Familiennachzug zwangsläufig Parallelgesellschaften bilden würden. Sicherlich gab und gibt es immer wieder Fälle wie von Ihnen geschildert. Dem muss man vorbeugen und dabei auch ganz klar machen, dass es in unserer Gesellschaft Spielregeln und Werte gibt und sich diejenigen, die hier im Land Schutz genießen, auch daran zu halten haben.
Eine Ghettobildung droht, wenn viele Menschen aus anderen Kulturkreisen in einer völlig ungewohnten Umgebung nicht ausreichend unterstützt und betreut werden, denn dann wenden sich diese ganz naturgemäß an ihre Landsleute und bleiben unter sich. Integration funktioniert daher am besten über konkrete Integrationsangebote vor Ort, im unmittelbaren Lebensumfeld der betreffenden Personen: Das bedeutet bspw. die dezentrale Unterbringung, Spracherwerb, Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sowie die Einbindung in Kultur- oder Sportvereinen.
Andererseits bin ich aber gerade in meinem Wahlkreis mit vielen Fällen konfrontiert, in denen sich Asylsuchende gut integriert, die deutsche Sprache erlernt und eine Arbeit aufgenommen haben. Gleichzeitig aber leben sie in ständiger Angst um ihre Familien, was zu ganz erheblichem psychischen Belastungen führt und die längst erreichte gute Integration aufs Spiel setzt. Neben dem rein humanitären Aspekt der Familienzusammenführung wäre es in solchen Fällen im originären Interesse unseres Landes, den Nachzug zu ermöglichen, um den Integrationserfolg zu sichern. Das bestätigen mir auch zahlreiche Leute, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind.
Freundliche Grüße
Martin Rosemann