Frage an Martin Rosemann von Achim L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Rosemann,
vielen Dank für Ihre Antwort vom 2.8., die einen Großteil meiner Fragen geklärt hat! Dennoch würde ich gerne von Ihrem Angebot Gebrauch machen und Sie um eine Antwort auf einige Detailfragen bitten.
1. Sie schreiben in Ihrer Antwort, für eine Online-Überwachung müsse ein konkreter Verdacht gegeben sein (und natürlich eine richterliche Zustimmung). Natürlich interessiert es mich nun, bei welchen Verbrechen Sie die Überwachung von Computern und Internetverhalten gerechtfertigt halten und bei welchen nicht. Könnten Sie mir ein oder mehrere Abgrenzungskriterien nennen, das hier eine Trennlinie bildet (z.B. Verbrechen, für die fünf Jahre Haft oder mehr verhängt werden können oder bei direkter Schädigung von Personen im Gegensatz zu Eigentumsdelikten)? Mir ist bewusst, dass diese Frage sehr spezifisch ist; mein Ziel ist einfach, ein Gefühl dafür zu bekommen, wo Sie die Grenze ziehen würden.
2. Sie schreiben "Mehr Transparenz brauchen wir auch im Bezug auf den zukünftigen Einsatz von Internetüberwachung." Könnten Sie mir ein Beispiel nennen, wie ein solches Mehr an Transparenz aussehen könnte?
3. Auf welche konkrete Art und Weise könnte/sollte es Ihres Erachtens eine bessere Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament geben?
4. Was wäre in Ihren Augen ein Beispiel für eine besondere Sicherheitslage, bei der es angemessen wäre, die Bürgerrechte durch Gesetze vorübergehend einzuschränken?
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und Mühe!
Mit freundlichen Grüßen,
Achim Lorenz
Sehr geehrter Herr Lorenz,
gerne beantworte ich Ihre neuen Detailfragen zu meiner Antwort vom 2. August.
1.
Generell sehe ich Online-Überwachung nur in wenigen Ausnahmefällen als wirklich gerechtfertigt an. Sollte ein begründeter Verdacht, gemäß der Paragraphen 129, 129a und 129b bestehen, also den Paragraphen, die sich speziell auf Terrorismus und das Gründen bzw. die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beziehen, halte ich eine Observation durch die Nachrichtendienste für gerechtfertigt. Was ich generell ablehne, ist wenn die Instrumente, die wir den Nachrichtendiensten in die Hand geben, durch die Polizei eingesetzt werde. Online-Überwachung ist für mich nur ein Mittel in Ausnahmefällen und darf nicht zur Verbrechensbekämpfung im Allgemeinen dienen.
2.
Mehr Transparenz brauchen wir vor allem dahingehend, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen müssen, wie und welchem Ausmaß die Geheimdienste überwachen. Die wenigsten von uns sind ja davon überrascht, dass Programme wie Prism und Tempora existieren, sondern vielmehr davon, wie groß das Ausmaß dieser Überwachung ist. Für mich als jemand, der Bürgerrechte für essentiell erachtet, kann es nicht sein, dass weder der Bundestag noch die Öffentlichkeit davon wusste. Ich trete dafür ein, dass im Falle einer Ausnahme, klar gemacht wird in welchem Umfang Überwachung stattfindet. Das soll nicht heißen, dass alle Bürgerinnen und Bürger individuell informiert werden, ob sie überwacht werden oder nicht - was zugegebenermaßen Sinn und Zweck geheimer Observation ad absurdum führen würde - sondern dass die Leiter der Nachrichtendienste, die in Deutschland operieren, darüber Auskunft geben, ob und in welchem Ausmaß ihre Dienste in der Bundesrepublik tätig sind.
3.
Es ist eines der Grundprinzipien unserer Demokratie, dass es die vom Volk gewählten Parlamente sind, die die Exekutive kontrollieren und nicht umgekehrt. Ich halte es daher nur in wirklich begründeten Ausnahmefällen für legitim, wenn Parlamentarier von den Nachrichtendiensten kontrolliert und überwacht werden und würde als einen der ersten Schritte um die natürliche Ordnung der Verfassung wiederherzustellen die Regeln für die Überwachung von Parlamentariern verschärfen. Als einen weiteren Schritt würde ich es in diesem Fall begrüßen, wenn auch das Plenum des Bundestages über die Arbeit der Geheimdienste, wenn auch nicht im Detail, informiert wird. Weiterhin denke ich, dass das parlamentarische Fragerecht gestärkt werden muss, damit im Zweifelsfall das Parlament seiner Kontrollfunktion nachkommen kann.
4.
Ein Beispiel ist die Terrorwarnung, die das Bundesinnenministerium im November 2010 heraus gegeben hat. Die Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen wurden angehoben, es waren Polizisten auf den Straßen unterwegs und Kontrollen wurden verschärft. In diesem Fall war es gerechtfertigt für einen gewissen Zeitraum die Wachsamkeit zu erhöhen und dadurch das Risiko zu minimieren. Man forderte von den Bürgerinnen und Bürgern Verständnis, dafür, dass mehr Kontrolle durchgeführt wurde. Nach einigen Wochen wurde die Warnung aufgehoben, ohne dass es zu einem Anschlag gekommen ist.
Dennoch halte ich diesen Fall für ein gutes Beispiel einer besonderen Sicherheitslage, bei der es angemessen war Bürgerrechte vorübergehend einzuschränken. Es schien eine akute Bedrohung vorzuliegen, das Leben von Bürgerinnen und Bürgern war anscheinend bedroht. Das der Staat seiner Schutzverantwortung nachgekommen ist, halt ich für richtig in dieser Situation.
Ich hoffe ich konnte diesmal alle Ihre Fragen beantworten und entschuldige mich, dass es diesmal etwas länger mit der Antwort gedauert. Falls Sie noch weitere Fragen haben, bin ich natürlich gerne bereit Ihnen weiterhin Rede und Antwort zu stehen.
Mit den besten Grüßen,
Martin Rosemann