Frage an Martin Rosemann von Achim L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Rosemann,
Prism, Tempora und XKeyscore bedeuten die völlige Überwachung der Internetaktivitäten jedes einzelnen Bürgers. Dies stellt einen massiven Eingriff in die in GG Art. 10, Abs. 1 zugesicherte Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses dar, so dass im Widerspruch zu GG Art. 19, Abs. 2 dieses Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet wird. Verschärft wird dies dadurch, dass nicht nur ausländische Dienste, sondern auch BND und BfV das Überwachungstool XKeyscore einsetzen. Laut der vom "Guardian" veröffentlichten Präsentation der NSA gilt auch jeder, der dagegen Verschlüsselungsmaßnahmen einsetzt, prinzipiell als verdächtig.
Daher meine Fragen:
1. Auf welches Maß konkret(!) sollte die Überwachung Ihrer Meinung nach beschränkt werden - zum einen die durch ausländische Dienste, zum anderen die durch inländische Dienste?
2. Durch welche konkreten(!) Handlungen werden Sie sich als MdB dafür engagieren, dass unser Grundrecht wiederhergestellt und vor neuen Angriffen geschützt wird? Welche konkreten(!) Maßnahmen werden Sie empfehlen bzw. fordern?
Im Voraus vielen Dank für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
Achim Lorenz
Sehr geehrter Herr Lorenz,
auch mich hat die Enthüllung dieses Skandals genauso erschüttert wie Sie. Genauso entsetzt bin ich über die offenkundige Unfähigkeit der Bundesregierung, die genauen Umstände und Ausmaße der Überwachung aufzuklären. Das Gerede von Bundesinnenminister Friedrich von einem "Supergrundrecht auf Sicherheit" ist meiner Meinung nach ein fast ebenso großer Skandal, denn der für den Schutz der Verfassung zuständige Minister führt damit die Grundsätze unserer Verfassung ad absurdum. Für mich ist eine vollständige und lückenlose Aufklärung über Dauer und Umfang der Überwachung ein absolutes Muss und ich sehe hier die Bundeskanzlerin und den Chef des Bundeskanzleramts in der Verantwortung -- und genauso nach dem 22. September auch einen Kanzler Peer Steinbrück in der Pflicht. Für mich sind unsere Bürgerrechte die Seele unserer Demokratie und können und sollten nur in besonders begründeten Ausnahmefällen eingeschränkt werden. Nun zu ihren Fragen:
1.
Auf öffentlichen Plätzen halte ich Videoüberwachung in sehr eingeschränktem Masse für vertretbar. Die Vereitelung und Aufdeckung des Anschlagsversuchs am Bahnhof in Köln zeigt, dass diese Form der Überwachung helfen kann. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss jedoch stets gewahrt bleiben.
Da ich mir jedoch denke, dass sich Ihre Anfrage hauptsächlich auf den Bereich des Internets konzentriert möchte ich auch hierzu etwas sagen: Ich denke, dass eine absolute Kontrolle, wie sie von britischen und amerikanischen Nachrichtendiensten praktiziert wurde und wird eine massive Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses ist, wie Sie das auch sehr richtig angemerkt haben. Eine verdachtsunabhängige Kontrolle von Computern ist unverhältnismäßig und steht im Widerspruch zu unserer Verfassung. Nur wenn ein konkreter Verdacht und ein richterlicher Beschluss vorliegen, ist Überwachung von Computern und des Internetverhaltens in meinen Augen legal und legitim.
Was ausländische Geheimdienste angeht, so bin ich der Ansicht, dass diese, wenn sie Bürger der Bundesrepublik Deutschland überwachen, genau der gleichen Kontrolle durch deutsche Institutionen, vor allem die parlamentarischen Kontrollgremien unterlaufen müssen, wie deutsche Nachrichtendienste. Auf deutschem Boden und im Bezug auf Bürger unseres Landes hat deutsches Recht zu gelten.
2.
Als MdB werde ich mich für die Einführung einer starken europäischen Datenschutzstrategie und mehr Transparenz bei der Aufklärung des Skandals einsetzen. Mehr Transparenz brauchen wir auch im Bezug auf den zukünftigen Einsatz von Internetüberwachung. Auch für mehr parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten setze ich mich ein. Nachrichtendienste dürfen nicht die Parlamentarier kontrollieren, es muss genau umgekehrt sein.
Genauso setze ich mich gegen die Vorratsdatenspeicherung ein. Es war der Kreisverband Tübingen, der auf dem SPD-Landesparteitag am 07. Mai 2011 einen Antrag gegen die Vorratsdatenspeicherung eingebracht hat, der angenommen wurde. In diesem Antrag heißt es: "Gesetze, die Bürgerrechte beschneiden, dürfen nur Ausnahmeregelungen aufgrund einer besonderen Sicherheitslage sein und haben deshalb eine begrenzte Gültigkeitsdauer." Dahinter stehe auch ich.
Ich hoffe ich konnte Ihre Fragen zur Genüge beantworten. Sollte dies nicht der Fall sein, stehe ich Ihnen natürlich gerne weiter zur Verfügung.
Mit den besten Grüßen,
Martin Rosemann