Frage an Martin Korol von Günter O. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Korol!
Ich bin 2015 als stellvertretender Sprecher der DozentInnen an der Wirtschafts- und Sozialakademie (WiSoAk) in Bremen gewählt worden.
Meine Anfrage bezieht sich auf die zahlreichen Bremer Freiberufler, die in Bildung, Wissenschaft und Kultur tätig sind (Volkshochschule, Wirtschafts- und Sozialakademie, Musikschule, Musikhochschule, Universität usw.).
Diese KollegInnen sind hochqualifiziert, ohne sie würden die genannten Einrichtungen, darunter einige Eigenbetriebe der Stadt Bremen, überhaupt nicht funktionieren. Die Honorare sind unangemessen niedrig und seit Jahren, in manchen Fällen seit drei Jahrzehnten, von der allgemeinen Entwicklung der Einkommen, der Lebenshaltungskosten, der Kosten für Energieversorgung usw. vollkommen abgekoppelt.
Die bisherigen Bemühungen um Mindestlöhne sind an diesem Personenkreis völlig vorbeigegangen. Aber zunehmend mehr KollegInnen leben ausschließlich von solchen Tätigkeiten; sie können immer weniger eine auskömmliche Rente ansparen und steuern geradewegs auf Altersarmut zu. Sie haben keinerlei gesetzlich festgelegte Vertretungsrechte in den Institutionen, für sie sie arbeiten (meist sind das mehrere Institutionen nebeneinander).
Frage: Was werden Sie an diesem Zustand ändern, wenn Sie in die Bremische Bürgerschaft gewählt werden?
Sehr geehrter Herr O.,
was Sie beschreiben, kenne ich sowohl aus Statistiken wie auch aus Schicksalen im persönlichen Bereich. Ich sehe mich außerstande, Ihnen in irgendeiner Weise Hoffnung machen zu können in der Richtung, dass sich diese schlimmen Verhältnisse demnächst ändern werden. Ich fürchte, sie werden sich sogar noch verschlechtern. Auch auf die Gefahr hin, dass Sie den Boten für die Nachricht bestrafen, will ich Ihnen auch sagen, warum das meiner Ansicht und meiner Erfahrung nach nicht besser werden wird.
Wir haben seit Anfang der 1970er Jahre eine Universität in Bremen, eine Hochschule und mehrere Fachhochschulen wie die Hochschule für Kunst und die für Musik. In Bremen studieren rund 35.000 Menschen. Man müsste nun annehmen, dass es in dieser Stadt ein geistiges Klima gibt, das mindestens so intensiv ist wie das vor der Gründung der Universität. Dem ist aber nicht so. Der Geist und die geistige Arbeit sind kaum noch Werte, sowohl im universitären Bereich wie auch an den Schulen. Diese Stadt gibt sich stattdessen sozial und ist genau das Gegenteil davon, denn die Regierungen dieser Stadt haben Schulden aufgenommen, die, wie jeder weiß, nie mehr zurückgezahlt werden können. Bremen ist politisch bewegungsunfähig, auch im Sozialbereich. Anderes zu behaupten, wäre Angeberei. Gleichzeitig gibt es Gruppen in dieser Stadt, die immer noch ihre Privilegien haben. Das gilt in erster Linie für das Beamtentum. Bremen gibt von den 3 Milliarden Einnahmen 1,68 Milliarden für den öffentlichen Dienst aus. Beamte kommen auf Dauer den Staat viel teurer als Angestellte. In dem Maße, wie die Pensionen steigen, werden auch diese Ausgaben steigen.
Wäre diese Stadt sozial, hätte man schon längst das Beamtentum auf ganz wenige Bereiche beschränkt, sofern dieser Status überhaupt vonnöten ist. (Die Schweiz hat ja bekanntlich das Beamtentum schon vor längerer Zeit abgeschafft). Allein die Ungerechtigkeit an den Schulen, die durch ein Nebeneinander von Angestellten und Beamten sich ergibt, ist horrende.
Ich kann Ihnen unter den herrschenden Bedingungen nicht dabei helfen, dass sich die Situation der geistig Arbeitenden in Bremen verbessert. Ich würde nämlich gerne den bremischen Haushalt daraufhin durchforsten, an welchen Stellen Geld einzusparen ist, um es dorthin fließen zu lassen, wo es vonnöten oder einfach nur gerecht ist. Zum Beispiel in den Bereich der Dozenten und freiberuflich Lehrenden. Das kann ich aber nicht, weil der bremische Haushalt so undurchsichtig ist, dass die einzelnen Ausgaben und Einnahmen nicht klar erkennbar sind. Das gilt sowohl für die Papierfassung wie auch für die elektronische. Vor sieben Jahren bat ich die Finanzsenatorin, ich hätte gerne den bremischen Haushalt als Excel Datei, um damit arbeiten zu können. Sie war guten Willens, versprach das auch, aber das ist politisch nicht gewollt. Der Bürger soll keinen Einblick in den Haushalt bekommen – obwohl ein Georg Büchner das schon mit dem „Hessischen Landboten“ 1834 versuchte.
Und das mich am meisten Bestürzende an der ganzen Sache ist, dass hier eigentlich die Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ tätig sein müsste. Dafür ist sie eigentlich dar. Aber diese Gewerkschaft sieht sich eher als politische Partei und treibt die Politik zu immer neuen unbezahlbaren Reformen an, als sich um die Situation der Lehrer, Lektoren, Dozenten, Schüler und Studenten zu kümmern. Ganz abgesehen davon, dass sie sich auch, so in meinem Fall, als Institution zur Wahrung der politischen Korrektheit empfindet und auf Säuberungen drängt, wenn sie den Eindruck hat, dass jemand nicht dem mainstream folgt.
Nun habe ich Ihnen meine Schwierigkeiten genannt, die mich daran hindern, Ihnen zu helfen. Es könnte ja sein, dass ich mich irre, dass ich Ihnen, sollte meine Wählervereinigung Bürger in Wut in die Bürgerschaft einrücken, doch mehr helfen kann, als ich es gedacht habe. Dann teilen Sie mir das mit und Sie können mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass ich Sie in ihrem Kampf um eine angemessenere Bezahlung für geistig Tätige in Bremen nach Kräften unterstütze.
Vielleicht tut sich ja bei unerwarteterweise in Bremen noch etwas. Das würde mich für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen und für Bremen nur freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Korol