Frage an Martin Gerster von Nicole G. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr GErster,
mit Ihrer JA-Stimme zum ESM werden die deutschen Steuerzahler in die Pflicht zur Finanzierung und Haftung für ausländische Banken genommen. Transfer-, Schuldenunion etc.
Der Steuerzahler tritt hier an die Stelle der Gläubiger. Schulden werden dadurch sozialisiert. Banken können sich Geld bei der EZB für 1,5 % leihen und es am Markt mit höherer Rendite anlegen. Diese Einnahmen werden dann privatisiert. Rettungspakete erzeugen neues Geld. Mehr Geld trifft auf weniger Güter. Dadurch wird alles teurer bzw. unser Geld entwertet sich. Wir stecken in einer Krise des Geldsystems. Sparen und Kreditvergabe sind von einander entkoppelt. Dadurch entstehen diese Blasen.
Wann werden die Gläubiger zur Verantwortung gezogen?
Wie kann das Geldsystem verändert werden, dass diese unendliche Geldproduktion gestoppt werden kann?
Warum unterstützen Sie mit Ihrem JA diese Politik?
mfg, N.Grothey
Sehr geehrte Frau Grothey.
vielen Dank für Ihre Fragen, die eine ganze Reihe unterschiedlicher Punkte ansprechen. Ich will versuchen, sie der Reihe nach und zu Ihrer Zufriedenheit abzuhandeln. Zunächst einmal ist es unzutreffend, dass durch den ESM der deutsche Steuerzahler direkt für ausländische Banken haftet, da es dabei um Kredite und Bürgschaften für hilfsbedürftige Eurostaaten geht. Auch der Begriff der Transferunion ist irreführend, da er ausblendet, dass Deutschland eben nicht nur „Zahlmeister“ Europas ist, sondern von den Möglichkeiten der Eurozone massiv profitiert, die u.a. einen erleichterten wechselkursfreien Transfer von Zahlungen etc. ermöglichen.
Auch ist es nur bedingt sinnvoll, davon auszugehen, dass Banken und Steuerzahler einander klar getrennt gegenüberstehen, wenn es um die Rolle des Gläubigers geht. Als SPD stehen wir für eine konsequente Beteiligung der Banken an den Kosten der gegenwärtigen Misere und höhere Hürden zur Vorbeugung zukünftiger Krisen, z.B. in Form höherer Eigenkapitalvorschriften. Solche Vorgaben können allerdings auch auf den Bankkunden zurückwirken, der ja zugleich auch Steuerzahler ist. Wo Banken - wie (als Teilantwort auf Ihre erste Frage) in Griechenland - auf Forderungen verzichten müssen und zugleich gezwungen sind, noch größere Teile ihres Eigenkapitals als Sicherheit „zur Seite zu legen“, kann dies auf Ihre Bereitschaft zurückwirken Kredite zu vergeben. Was dann wieder problematische Rückwirkungen auf Unternehmen und private Investitionen haben kann.
Wie mein Kollege Lothar Binding bereits in seiner Antwort auf Ihr Schreiben betont hat, besteht die zentrale Aufgabe darin, den unmittelbaren Zusammenhang von Haftung und Risiko wieder deutlicher in die Arbeit des Bankensektors zu integrieren. In diesem Kontext ist es allerdings in der Tat fragwürdig, wenn die Banken gegenwärtig die niedrigen EZB-Zinsen zur Maximierung ihrer Gewinnmargen nutzen, statt die Zinssenkung an die Kreditnehmer weiterzugeben.
Ähnlich wie auch Lothar Binding erscheinen mir Ihre Annahmen zur Entstehung von ökonomischen Blasen und zur Funktion des Geldkreislaufes („Rettungspakete erzeugen neues Geld. Mehr Geld trifft auf weniger Güter“) zu undifferenziert. Schließlich gilt es, zur Prognose von Preisentwicklungen - einmal ganz grob umrissen - neben den relevanten Gütermengen nicht nur die Entwicklung unterschiedlicher Geldmengen (Bargeldumlauf, Giralgeld, etc.) zu betrachten, sondern auch das Konsum-, Investitions- und Sparverhalten der Wirtschaftsteilnehmer, das sich eben nicht nur am Zinsniveau festmacht. Auch Außenwertschwankungen einer Währung können z.B. Inflation hervorrufen, wenn beispielsweise ein in verschiedenen Wirtschaftssektoren wichtiges Importgut wie Öl mit einem schwachen Euro angekauft werden muss. Überdies ist zu beachten, dass es sich bei den Rettungspaketen eben nicht um Gelder handelt, die direkt in die Märkte bzw. zu den Banken gepumpt werden, sondern eben um Bürgschaften, die nur unter Umständen in Anspruch genommen werden.
Zusammenfassend meine ich deshalb, dass wir bei den notwendigen Veränderungen im Bereich des Finanz- und Wirtschaftssystems nicht bei der Funktionsweise des Geldsystems ansetzen sollten. Die wichtigen Stellschrauben müssen eher bei den Marktakteuren selbst angezogen werden.
Insofern sehe ich in meiner Zustimmung zum ESM einen Beitrag zur notwendigen Stabilisierung eines europäischen Wirtschaftsraumes, von dem Deutschland nach wie vor massiv profitiert. Es sind jedoch weitere Schritte notwendig, um die destruktiven Kräfte im Feld der internationalen Finanzmärkte wieder in den Griff zu bekommen. Dafür brauchen wir eine vertiefte und demokratisierte europäische Union.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster