Frage an Martin Gerster von Martin A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Allerallerhochverehrtester Herr Gerster,
Sehr bedauerlicherweise haben Sie mit Ihren Auskünften (Ihrer Antwort vom 25.09.2009) nicht weitergeholfen, weil Sie meine Fragen nicht und erst recht nicht vollständig und erschöpfend beantwortet haben, die ich an Sie gestellt habe:
Weshalb haben Sie "Hartz IV" eingeführt ? Vorallem: Weshalb gibt es keinen gesetzlich durchsetzbaren Anspruch auf die Leistungen (Förderungen) für die Hilfebedürftigen, der gleichberechtigt neben den Forderungen stehen sollte ? Weshalb gibt es keine oder höchstens unrealistische Möglichkeiten für Schadensersatz gegen die ARGEN ?
Weshalb gibt es auch in vielen anderen Gesetzen nur "kann"-Bestimmungen und keine gesetzlich durchsetzbaren RECHTE ? (selbst bei der Arbeitsförderung)
Weshalb wurde das "Hartz IV" unter der Herrschaft von CDU und SPD nochmals verschärft ?
Sie verstehen sicher – vorallem auch in Ihrem eigenen Interesse, daß ich auf Ihre Antwort und Ihre dortigen Unterstellungen und Ihr Unverständnis nicht weiter eingehen werde. Vielleicht können Sie mir aber erklären, weshalb dies so ist !??? Und gestatten Sie mir eine weitere Frage:
Wissen Sie überhaupt was „Hartz IV“ ist und wie das in der Realität tatsächlich funktioniert ? Einmal davon abgesehen ob und wie diese Menschen (?) von den ARGEN behandelt werden. Ist Ihnen überhaupt bekannt, daß ca. die Hälfte aller Bescheide falsch sind ? (ging durch die Medien) Und daß die Betroffenen ihre Ansprüche mit einem sehr großen Aufwand vor den Sozialgerichten durchsetzen müssen (Klagewelle) und gerade dies den Steuerzahler unnötig viel Geld kostet und in keinem Verhältnis mehr steht. Weshalb sind die dortigen Bearbeiter für ihre Arbeit ganz offensichtlich persönlich und fachlich so ungeeignet ? Weshalb wird da nichts getan, um diese Mißstände abzuschaffen ?
Mit allervorzüglichster Hochachtung
Ihr Martin Andreas-Bergmann
Sehr geehrter Herr Andreas-Bergmann
für Ihre Nachfrage vielen Dank. Ich bedauere, dass Sie meine erste Antwort nicht zufriedenstellend fanden und bin gerne bereit, die aus Ihrer Sicht offen gebliebenen Punkte nochmals aufzugreifen. Glauben Sie mir: Die schwierige Situation vieler Menschen, die auf staatlichen Unterstützungsleistungen wie dem ALG II angewiesen sind, ist mir aus vielen persönlichen Gesprächen sehr gut bekannt. Die Ihrer Anfrage zugrunde liegenden pauschalisierenden Anschuldigungen gegen die Mitarbeiter der ARGEn muss ich jedoch deutlich zurückweisen. Auch kann allein die Zahl vorliegender Klagen nicht Maßstab für die Notwendigkeit gesetzgeberischer Schritte sein. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Gerichte bezüglich der entsprechenden Einwände entscheiden, um weiteren legislativen Handlungsbedarf daraus abzuleiten.
Bei allem Verständnis für Ihre kritische Haltung in der Sache finde ich es überdies schade, dass Sie - beispielsweise durch Ihre ironisierende Anrede und Schlussformel - Ihre mangelnde Bereitschaft zum Ausdruck bringen, Ihren Gesprächspartner wirklich ernst zu nehmen. Ich halte ein Mindestmaß an Respekt für ein Grundgebot der Höflichkeit, ohne das eine ernsthafte Diskussion nicht funktionieren kann.
Das ursprüngliche Ziel des im Januar 2005 in Kraft getretenen „Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/15/015/1501516.pdf ) war es, durch die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe eine intensivere Unterstützung der Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit zu erreichen. Dies erschien dringend notwendig - angesichts der höchst problematischen Lage am Arbeitsmarkt und der unbefriedigenden Ausgestaltung der erwähnten staatlichen Hilfsmechanismen, die als ineffizient, intransparent und wenig bürgerfreundlich galten.
Die Erfahrungen nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben gezeigt, dass diese Entscheidung prinzipiell richtig war. Gleichzeitig wurde deutlich, dass es notwendig war, das System fortzuentwickeln, um die Verwaltungspraxis flexibler zu gestalten, Leistungsmissbrauch vorzubeugen und die generelle Effizienz der ergriffenen Maßnahmen zu erhöhen. Zur Optimierung der entsprechenden Regelungen wurde deshalb 2006 das Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende eingebracht ( http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/014/1601410.pdf ) und nach ausführlichen Ausschussberatungen mit einer ganzen Reihe von Änderungen ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/016/1601696.pdf ) verabschiedet.
Wenn Sie kritisieren, die Förderungsaspekte des Gesetzes seien zu unverbindlich, bitte ich Sie, den § 14 des SGB II genau zu lesen. Dort steht: „Die Agentur für Arbeit unterstützt erwerbsfähige Hilfebedürftige umfassend mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit. Sie erbringt unter Berücksichtigung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit alle im Einzelfall für die Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen.“ Demnach beschränken nur die gebotenen Prinzipen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die Erbringung von erforderlichen Förderleistungen. Wo dieser Grundsatz lediglich durch „Soll-Bestimmungen“ konkretisiert wird, geschieht dies, um das Ziel einer ökonomisch tragfähigen und effizienten Organisation der Arbeitsvermittlung nicht zu gefährden. So müssen staatliche Leistungsgarantien stets eine mögliche Überforderung vorhandener Strukturen und die finanziellen und juristische Konsequenzen für das Gemeinwesen mitdenken.
Weitere Antworten auf Fragen, die Sie zu diesem Thema möglicherweise haben, finden Sie übrigens in der Antwort der früheren Bundesregierung auf eine große Anfrage zu „Resultaten und gesellschaftliche Auswirkungen der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Hartz-Gesetze -, insbesondere von Hartz IV“ ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/042/1604210.pdf ).
Meine Partei und ich werden die Weiterentwicklung der Arbeitsmarktpolitik unter der neuen Bundesregierung kritisch begleiten und konstruktive Vorschläge zur Bekämpfung möglicher Fehlentwicklungen machen. Gerne wiederhole ich mein Angebot, Ihnen beratend zur Seite zu stehen, wenn Sie konkrete Probleme mit arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen haben.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster