Frage an Martin Dörmann von Thomas P. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Herr Dörmann,
Falls Sie für die Gesundheitsreform stimmen wollen, wären Sie dann damit einverstanden, wenn im nächsten Wahlkampf in Ihrem Wahlkreis Ihr Wahlplakat in Arztpraxen, in Schaufenstern von Apotheken und Krankenversicherungen ausgehängt wird mit der Unterschrift
"hat für die Gesundheitsreform gestimmt"
oder wäre Ihnen das unangenehm?
(Die gleiche Frage geht an Frau Ursula Heinen)
Dankeschön für eine Antwort und mit freundlichen Grüßen
Th. Püschel
Sehr geehrter Herr Püschel,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Gesundheitsreform. Lassen Sie mich zunächst eine allgemeine Vorbemerkung machen: Der schnellste und sicherste Weg, von mir Antworten auf Fragen zu erhalten, ist, sich direkt mit mir über eines meiner vier Abgeordnetenbüros in Köln und Berlin in Verbindung zu setzen (z.B. per eMail an: martin.doermann@bundestag.de ). Ich erhalte täglich zahlreiche Anfragen und beantworte selbstverständlich diejenigen, die direkt an mich gerichtet sind, zuerst. Bitte haben Sie deshalb Verständnis dafür, dass ich Fragen, die über eine Homepage von dritten gestellt werden und mir nicht direkt zugehen, allenfalls mit Verzögerung beantworten kann.
Nun zu Ihrer Frage: Am 2. Februar hat der Bundestag die Gesundheitsreform beschlossen. Ich habe am Ende zugestimmt, weil die Reform unter dem Strich gegenüber der heutigen Lage - trotz mancher Unzulänglichkeit - ein Schritt nach vorne ist. Denn sie bringt viele konkrete Verbesserungen für Patienten und Versicherte.
Nicht zufrieden bin ich wie fast alle Sozialdemokraten mit dem Finanzierungsteil der Reform. Weitgehend unbestritten ist, dass die Ausgaben für unser Gesundheitswesen steigen werden. Denn der medizinische Fortschritt und ein immer größer werdender Anteil älterer Menschen führen zu höheren Kosten. Deshalb brauchen wir eigentlich eine langfristig angelegte Finanzreform. Sie muss sicherstellen, dass die Finanzierung gerecht (nach Leistungsfähigkeit) erfolgt, möglichst ohne die Arbeitskosten zu erhöhen. In diesem Sinne kämpft die SPD für das Ziel der solidarischen Bürgerversicherung, die alle Berufsgruppen und zusätzliche Einkommensarten angemessen in die solidarische Finanzierung unseres Gesundheitssystems einbeziehen soll.
Es war klar, dass die Bürgerversicherung mit der Union, die das gegenteilige Konzept der Kopfpauschale verfolgt, derzeit nicht zu verabreden ist. Dennoch hätte man aktuell Beitragssteigerungen vermeiden können, wenn man den nunmehr auf den Weg gebrachten Gesundheitsfonds mit einem größeren Steueranteil ausgestattet oder auf eine Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verzichtet hätte. Die SPD hätte auch gerne die private Krankenversicherung noch stärker in das solidarische Gesundheitssystem einbezogen. All das war leider mit der Union nicht umzusetzen. Immerhin wurde nun gesetzlich festgeschrieben, dass der Steueranteil zunächst 2,5 Milliarden Euro beträgt und ab dem Jahr 2009 jährlich um 1,5 Milliarden Euro aufwächst, bis zu einer Zielgröße von rund 14 Milliarden Euro.
Die SPD wäre hier gerne schneller vorangekommen. Eine höhere Steuerfinanzierung ist vor allem an den Unions-Ministerpräsidenten gescheitert, die über den Bundesrat hätten zustimmen müssen. Dieser Umstand offenbart noch einmal eine besondere Problematik: Auch nach der Föderalismusreform ist unser föderales System in der heutigen Form ein Hindernis für Reformen aus einem Guss. Das haben wir auch unter rot-grüner Regierung immer wieder erleben müssen. Die hieraus resultierenden Kompromisse sind dann oft nur für Fachleute überschaubar und schwer zu vermitteln.
Trotzdem müssen wir auch unter diesen erschwerten Umständen am Ende in der Großen Koalition zu Entscheidungen kommen. Ein Scheiternlassen wäre unverantwortlich gewesen. Es geht nämlich in der Fokussierung auf die wichtigen Finanzfragen leider meist unter, dass die Gesundheitsreform zu ganz konkreten Verbesserungen für die Menschen führt. Die Strukturreformen sind sozialdemokratisch geprägt. Die zahlreichen positiven Maßnahmen reichen von der Einführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung und stärkeren Preisvereinbarungsmöglichkeiten zur Begrenzung der Arzneimittelkosten über Verbesserungen bei der Prävention und der integrierten Versorgung bis hin zu mehr Wahlmöglichkeiten für gesetzlich Versicherte. Gerade für Ältere, Krebskranke und Behinderte wurde viel erreicht. In Zukunft wird zudem niemand mehr ohne Krankenversicherungsschutz sein. Private Krankenkassen müssen zukünftig einen Basistarif ohne Gesundheitsprüfung und Risikoabschlag anbieten. Der Wettbewerb wird dort durch die Mitnahmemöglichkeit für Altersrückstellungen gestärkt. Bei den gesetzlichen Krankenkassen wird ein solidarischer Risikostrukturausgleich durchgeführt. Auch konnte die SPD die Versuche der Union abwehren, erhebliche Leistungseinschränkungen durchzusetzen. Die medizinisch notwendige Versorgung für alle – unabhängig vom Geldbeutel – wird damit gesichert.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Die Gesundheitsreform hat Licht und Schatten, ist aber besser als ihr Ruf. Sie ist ein schwieriger Kompromiss zwischen zwei Koalitionspartnern, die von grundlegend unterschiedlichen Vorstellungen im Hinblick auf die langfristige Finanzierung unseres Gesundheitssystems kommen. Was die Menschen von uns erwarten durften, war, dass man sich dennoch auf einen tragfähigen Kompromiss verständigt – trotz aller Widerstände der vielen Lobbygruppen unseres komplexen und vermachteten Gesundheitssystems. Auch diese Gesundheitsreform ist letztendlich nur ein Zwischenschritt.
Für die SPD ist klar: Unser Modell einer solidarischen Bürgerversicherung bleibt weiter auf der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund habe ich nichts dagegen, wenn mein Abstimmungsverhalten publik gemacht wird. Dies tue ich ohnehin auch selbst, wie Sie auch meiner Homepage www.martin-doermann.de entnehmen können. Selbstverständlich erwarte ich hierbei eine faire Auseinandersetzung, die auch die Hintergründe meiner Entscheidung berücksichtigt. Im konkreten Fall könnte dies durch einen Hinweis auf mein Ziel einer solidarischen Bürgerversicherung unterstrichen werden, die sicherlich auch für die Bürgerinnen und Bürger in meinem Wahlkreis interessant wäre.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Dörmann, MdB