Frage an Martin Dörmann von Hendrik G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Die Deutsche Industrie und Handelskammer betreibt aktive Lobbyarbeit um vermeintliche Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. Als Unternehmer bin ich verpflichtet Beiträge an die IHK zu entrichten. Auch wenn mein Unternehmen von bestimmten Zielsetzungen der IHK unter Umständen profitiert, bezweifle ich häufig deren Sinn für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Als zahlungspflichtiges Zwangsmitglied der IHK bin ich somit nach derzeitiger Gesetzeslage verpflichtet politische Lobbyarbeit zu unterstützen, deren Zielsetzung meiner persönlichen politischen Auffassung widerspricht.
Wie lässt sich die derzeitige Gesetzeslage zur Zwangsmitgliedschaft in einer politischen Organisation Ihrer Meinung nach mit Grundsätzen einer freien, demokratischen Gesellschaft vereinbaren? Und falls Sie hier ebenfalls Probleme erkennen, welche Maßnahmen sind in Ihrer Partei geplant um diesen Umstand zu verbessern?
Sehr geehrter Herr Göbel,
vielen Dank für Ihre Anfrage über abgeordnetenwatch vom 23. Juni 2013 zur Pflichtmitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern.
Die Industrie- und Handelskammern haben die gesetzliche Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen. Sie fördern die gewerbliche Wirtschaft, wägen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe ab und berücksichtigen diese ausgleichend. Dabei stellen die Beiträge an eine IHK kein Entgelt für individuell in Anspruch genommene Dienstleistungen dar. Sie sind eine Gegenleistung, damit die IHK die ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben erfüllen kann.
Betrachtet man die Tätigkeit der IHKs im öffentlichen Auftrag, erscheint die Kritik an einem Pflichtbeitrag nur bedingt gerechtfertigt, denn die Angebote der IHKs kommen allen Gewerbetreibenden zugute - Wettbewerbern wie Geschäftspartnern. Gerade die kleinen und mittelständischen Betriebe profitieren von einer Mitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern.
Die IHKs beraten Existenzgründer, erteilen Auskünfte zu steuerlichen Fragen, nehmen Stellung in Fragen der Bauleitplanung und erteilen fast 200.000 Auskünfte pro Jahr zu Innovations- und Umweltfragen. Als Selbstverwaltungseinrichtung der Wirtschaft entlasten die Industrie- und Handelskammern den Staat von einer Reihe von Aufgaben und sind deshalb dringend erforderlich. Das Engagement der IHKs hilft darüber hinaus Kosten - auch für die Wirtschaft – zu senken: Allein der Aufwand für die jährlichen Abschluss- und Zwischenprüfungen in den IHKs entspricht etwa 1 Milliarde Euro. Diesen Aufwand müsste sich der Staat erstatten lassen. Die Steuer- und Abgabenlast für die Wirtschaft würde wachsen und die Zahlungen an die IHKs bei weitem übersteigen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im übrigen seine höchstinstanzliche Zustimmung zur Pflichtmitgliedschaft mit Urteil vom 7. Dezember 2001 erneut bekräftigt.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf die in Selbstverwaltung der Deutschen Wirtschaft arbeitenden IHKs
richten. Wir haben ein großes Interesse an einer Organisation, die den spezifischen Beratungsbedarf bei Unternehmen der Wirtschaft erkennt und
qualifiziert mit vielfältigen Serviceleistungen zur Seite steht. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise konnte sich das System der deutschen
IHKs zudem in besonderer Weise bewähren.
Dieses Thema ist immer wieder auch Gegenstand etwa von Bundesparteitagen und wird durchaus kontrovers diskutiert. Am Ende gilt es auch hier, eine
vernünftige Balance der drei SPD-Grundwerte Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit herzustellen. Das IHK-System mit seiner besonders organisierten Form von Solidarität hat sich bewährt und funktioniert, so dass die SPD-Bundestagsfraktion aktuell keinen parlamentarischen Handlungsbedarf sieht.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Dörmann