Frage an Martin Dörmann von Ralf B. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Dörmann,
momentan ist die Diskussion sehr aktuell ob es strafbar ist Kinder irreversible, aus traditionellen religiösen Gründen, zu Beschneiden und damit das Risiko einzugehen diese Kinder zu schädigen an Leib uns Seele. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Stehen Sie aus traditionellen Gründen auf der Seite der Befürworter der Beschneidung oder stehen Sie mehr auf Seite der Jugendschützer die ein Stopp dieser althergebrachten jahrtausendealten Sitte fordern?
Ralf Böker
Sehr geehrter Herr Böker,
vielen Dank für Ihre Frage vom 18. Juli 2012.
Die kürzlich erfolgte Entscheidung des Landgerichts Köln ist die erste Entscheidung in Deutschland, die eine Körperverletzung bei religiös bedingten Beschneidungen von Jungen bejaht. Dafür gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe. Andererseits ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass im muslimischen und im jüdischen Leben die Beschneidung eines der wichtigsten religiösen Feste darstellt. Für den jüdischen Glauben ist die Beschneidung von Jungen um den achten Tag ihres Lebens sogar schlechthin konstituierend für den Bund mit Gott. Denn dieser Bund wird durch die Beschneidung erst begründet (1. Buch Moses).
Abzuwägen ist also das Recht auf körperliche Unversehrtheit mit der Religionsfreiheit. Die Zulässigkeit religiös motivierter Beschneidungen minderjähriger Jungen ist seit jeher unklar. Die Entscheidung des Landgerichts Köln hat die Rechtsunsicherheit eher vertieft. Das Gericht hat die nicht medizinisch indizierte, also einzig religiös motivierte, Beschneidung als rechtswidrige Körperverletzung qualifiziert. Der die Beschneidung durchführende Arzt wurde jedoch frei gesprochen, weil er, so das Gericht, davon ausging - und aufgrund der unklaren Rechtslage auch davon ausgehen durfte - die Beschneidung sei gestattet (unvermeidbarer Verbotsirrtum). Das Urteil hat zwar keine bindende Wirkung für andere Gerichte, jedoch wird sich zukünftig wohl niemand mehr auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen können. Folge: Religiös motivierte Beschneidungen werden wohl zukünftig nicht mehr von Ärzten durchgeführt werden.
Strafrechtlich betrachtet stellt die Beschneidung – egal ob medizinisch oder religiös motiviert – objektiv eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB dar. Erfolgt die Beschneidung eines Minderjährigen aus medizinischen Gründen, ist sie über die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt. Erfolgt der Eingriff aus rein religiösen Gründen, ist die Wirksamkeit der Einwilligung fraglich.
Die daraufhin entbrannte gesellschaftliche Diskussion ist vielschichtig und macht die Kompliziertheit dieses Themas deutlich. Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens fürchten um die Möglichkeit, ihren Glauben in Deutschland leben zu können. Auch fürchtet man, dass Beschneidungen zukünftig vermehrt in „Hinterzimmern“ stattfinden und von Menschen ohne jegliche Qualifikation ausgeübt werden könnten. Zugleich befürchtet man einen „Beschneidungstourismus“. Dem Kindeswohl wäre damit erst recht nicht gedient.
Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass jüdisches und muslimisches Leben und deren Kultur fester Bestandteil der Gesellschaft in Deutschland ist. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Religionsausübung und macht keinen Unterschied zwischen den Glaubensgemeinschaften. Gleichzeitig muss sich die Ausübung der Religionsfreiheit im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen.
Die derzeitige politische Diskussion wird von vielen Seiten sehr emotional geführt. Das ist verständlich, geht es doch um das Kindeswohl, das elterliche Sorgerecht und um das Recht der freien Religionsausübung. Zu wünschen wäre am Ende eine Regelung, die Rechtssicherheit schafft und alle Aspekte angemessen berücksichtigt. Dies alles muss medizinisch, juristisch und gesellschaftlich geprüft und abgewogen werden.
Die Vorsitzenden der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP sind übereingekommen, die Frage der Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen gesetzlich eindeutig zu regeln. Ein entsprechender fraktionsübergreifender Antrag, der die Bundesregierung zur Erarbeitung eines solchen Gesetzes auffordert, ist am 19. Juli 2012 vom Bundestag beschlossen worden.
Mit diesem Beschluss wurde vom Bundestag ein deutliches Signal an die Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens, aber auch an die, die der Beschneidung minderjähriger Jungen kritisch gegenüberstehen, ausgesendet. Zu prüfen ist, wie man in diesem Bereich Rechtssicherheit schafft, religiöses Leben in Deutschland weiter ermöglicht und gleichzeitig dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes Rechnung trägt.
Dieses dann konkret umzusetzen wird Aufgabe eines noch zu erarbeitenden Gesetzentwurfes sein. Die Diskussion ist mit diesem Antrag nicht abgeschlossen. Wir sollten sie mit der gebotenen Sachlichkeit und dem Respekt vor den verschiedenen Argumenten führen.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Dörmann, MdB