Frage an Marlene Mortler von Andreas D. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Mortler,
Der Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) -oder Euro Rettungsschirm- wurde eingerichtet, um der Eurokrise entgegen zu wirken. Dass wir z.B. Griechenland helfen müssen, scheint klar zu sein. Meine Frage bezieht sich zum Vertrag selbst.
Hier ist der Vertag zu finden:
http://bit.ly/Jk9AHn (Link gekürzt)
[Alle Artikel-Angaben aus dem ESM-Vertrag]
Nach Artikel 8 (1) liegt das Stammkapital (schon der Begriff "Stammkapital" wirkt hier schon fragwürdig, da so bei Firmengründungen gesprochen wird) bei 700 Mrd. €, wovon Deutschland 190 Mrd. € trägt (s. Anhang II). Der deutsche Anteil beträgt also über 27% des Gesamtkapitals. Das lasse ich einmal so stehen.
In Artikel 9 (3) heißt es, dass der geschäftsführende Direktor der ESM, Kapital von den ESM-Mitgliedsstaaten einfordern darf. Jetzt möchte man glauben, die Höchstgrenze dieser Forderung würde sich auf diese 190 Mrd. € belaufen.
Jedoch wird in Artikel 10 (1) dargelegt, dass das genehmigte Stammkapital änderbar und erhöhbar ist.
Das ergibt Problem 1: Die ESM darf das genehmigte Kapital erhöhen und direkt einfordern!
Weiter im Text:
Nach Artikel 32 (2) a,b,c erwirbt das Gebilde ESM Rechte, die es ihm erlauben, vor Gericht zu klagen. Im Folgendem (3) und (4) steht, dass die Vermögen der ESM nicht verklagt und eingezogen werden können und Immunität besitzen. Nach Artikel 35 werden auch noch den Angestellten des ESM vor dem Gericht Immunität gewährt.
Problem 2: Die ESM kann klagen, aber nicht verklagt werden.
Das firmenähnliche Gebilde ESM kann quasi tun und lassen, was es will. Es kann Unmengen an Geld einfordern und es verprassen und dabei gar nicht vor Gericht nicht verklagt werden. Kann es denn im Sinne eines Rechtsstaats sein, dass etwas über dem Gesetz steht?
Ich würde sie bitten, zu dieser Problematik Stellung zu nehmen. Bitte schildern sie ihre eigene Meinung und die Meinung, die ihre Partei, bei der Abstimmung über den ESM angenommen hat.
Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Dorner
Sehr geehrter Herr Dorner,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 20.4.2012 auf der Internetplattform "abgeordnetenwatch" mit Fragen zum ESM.
Ich kann Ihre großen Bedenken, die Sie mit anderen Bürgern und vielen Abgeordneten - auch mir - teilen, sehr gut nachvollziehen. Wie Ihnen vermutlich bekannt ist, habe ich mich äußerst kritisch zum EFSF und ESM geäußert.
Zur Zeit bin ich mir noch nicht im Klaren, ob ich dem anstehenden Gesetzespaket zustimmen werde. Wie Sie wissen, befindet sich das Gesetzespaket derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren. Die 2./3. Lesung wird voraussichtlich am 25. Mai 2012 im Deutschen Bundestag stattfinden.
Ihre Fragen möchte ich folgendermaßen beantworten:
1.Nach Artikel 10 des ESM-Vertrages Artikel 10 Absatz 1 überprüft der Gouverneursrat das maximale Darlehensvolumen und die Angemessenheit des genehmigten Stammkapitals des ESM regelmäßig, mindestens jedoch alle fünf Jahre.
Der Gouverneursrat entscheidet über alle grundlegenden Fragen allerdings grundsätzlich im gegenseitigen Einvernehmen (d.h. einstimmig, Enthaltungen verhindern einen Beschluss nicht). Dazu gehören Veränderungen des Stammkapitals und der Instrumente, die Gewährung von Finanzhilfe sowie Änderungen des Haftungsanteils. In besonders eilbedürftigen Fällen kann der Gouverneursrat über die Vergabe von Finanzhilfen mit qualifizierter Mehrheit von 85 % der abgegebenen Stimmen beschließen (sog. "Dringlichkeitsabstimmungsverfahren" auf Empfehlung der EZB und der EU-Kommission). Hier verfügt Deutschland verfügt in beiden Fällen über ein Vetorecht und kann damit die Entscheidung des Gouverneursrates blockieren.
Bei Ihrer 2. Frage möchte ich gern einige Missverständnisse ausräumen:
Nach Artikel 32 Absatz 2 ESM-Vertrag kann der ESM Partei in Gerichtsverfahren sein. Partei in Gerichtsverfahren sind jeweils Kläger und Beklagter. Somit kann der ESM selbstverständlich auch beklagte Partei sein.
Die Immunitätsregelungen im ESM-Vertrag entsprechen den für internationale Finanzinstitutionen üblichen Regelungen. Sie beziehen sich immer nur auf strafrechtliche Verfahren. Andere Gerichtsverfahren sind damit nicht ausgeschlossen. Der Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten vertreten sind, bzw. der Geschäftsführende Direktor kann allerdings die Immunität der Amtsträger und Bediensteten bei Bedarf gemäß Art. 35 Abs.2 aufheben. Vergleichbare Regelungen gelten für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken. Sie dienen dem Schutz des ESM und seines Vermögens vor dem unberechtigten Zugriff Dritter.
In den folgenden Wochen werde ich mir allerdings im Rahmen der noch anstehenden Diskussionen und Gespräche sehr genau überlegen, ob ich diesem Gesetzeswerk zustimmen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Marlene Mortler MdB