Frage an Markus Tressel von Laura Z. bezüglich Frauen
Sehr geehrter Herr Tressel,
Ich interessiere mich persönlich sehr für Ihre Arbeit. Für mich und meinen Freundeskreis ist die Frage der Frauenquote für die kommende Wahl entscheidend.
Gerne würde ich daher Ihre Meinung zu diesem Thema erfahren und wie Sie im Falle einer Abstimmung über die Frauenquote votieren würden.
Über eine baldige und ausführliche Antwort freue ich mich!
Mit freundlichen Grüßen
Laura Zwosta
Liebe Frau Zwosta
vielen Dank für Ihre mail vom 14.12.2012, die ich Ihnen hiermit gerne beantworte.
Sie haben eine ausführliche Stellungnahme und meiner Meinung im Fall einer „Abstimmung über die Frauenquote“ gefragt. Ich würde dafür stimmen!
Wir Grünen sind der Ansicht, dass sich in der Gleichstellungspolitik endlich etwas bewegen muss. Gleichstellungspolitik ist für uns aber nicht nur die isolierte Frage nach einer Quote für Frauen in Aufsichtsräten, sondern betrifft auch Fragen der Lohngleichheit, egal ob in Führungspositionen oder im Niedriglohnsektor. Gleichstellungspolitik steht aber auch in Verbindung mit weiteren Fragen der Familien-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Dennoch sehen wir die Frage der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt als ganz wesentliche und zentrale Frage an, um insgesamt zu mehr Gleichstellung von Männern und Frauen zu kommen, denn nur über den Zugang zum Arbeitsmarkt ist eine eigenständige Existenzsicherung beider Geschlechter möglich. Diese eigenständige Existenzsicherung wird benötigt um wirkliche Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen, sie ist ökonomisch von großem Interesse und nicht zu letzt auch aus demokratischen und sozialen Gründen dringend geboten.
Wir haben umfassende Vorschläge zur Gleichstellung in Wirtschaft und Erwerbsleben vorgelegt.
Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, mit Personalentwicklungsplänen und klaren Zielvorgaben für Einstellung, Qualifizierung und Beurteilung. Die Ausgestaltung der Maßnahmen soll nach Branchen und Betriebsgrößen flexibel gehandhabt werden. Öffentliche Aufträge sollen bevorzugt an Unternehmen vergeben werden, die Gleichstellung ernst nehmen. Und wir setzen uns dafür ein, dass Aufsichtsräte zu mindestens 50 Prozent mit Frauen besetzt sein müssen. Das norwegische Beispiel zeigt, dass eine solche Quote funktioniert. Dazu soll eine zentrale Datenbank von Interessentinnen aufgebaut werden.
Wir wollen mehr Frauen in den Vorständen von Unternehmen und mehr Unternehmerinnen. Wir wollen, dass die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangeht und für ein gerechtes Entlohnungssystem im öffentlichen Dienst sorgt. Dort sieht es mit der Gleichstellung deutlich besser aus als in der privaten Wirtschaft. Das liegt vor allem am rot-grünen Bundesgleichstellungsgesetz. Das Gesetz wirkt zwar – aber zu langsam. Die Eingruppierungskriterien des Öffentlichen Dienstes müssen auf Geschlechtergerechtigkeit überprüft werden.
Immer noch sind überwiegend von Frauen ausgeübte Tätigkeiten schlechter bezahlt als überwiegend von Männern ausgeübte. Wir brauchen ein wirkliches Verbandsklagerecht, damit gegen kollektive Lohndiskriminierungen nicht individuell geklagt werden muss. Jede vierte Frau arbeitet inzwischen im Niedriglohnsektor – mit dem von uns geforderten allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn würden wir ihnen eine eigenständige Existenzsicherung ermöglichen.
Der Bund soll öffentliche Aufträge bevorzugt an Unternehmen mit effektiven Maßnahmen zur Gleichstellung vergeben. Damit wird unmittelbar mit Anreizen auf die Unternehmen eingewirkt. Gleichstellung ist so ein Wettbewerbsvorteil.
Mehrheitlich unterbrechen Frauen ihre Erwerbsarbeit zugunsten von Kindererziehung und Pflege. Auch deshalb sind ihre eigenständig erworbenen Rentenansprüche nach wie vor niedrig. Frauen und Männer sollen eigene Rentenansprüche aufbauen. Dazu wollen wir ein Splitting schon in der Ehe obligatorisch machen, nicht erst bei Eintritt in das Rentenalter.
Junge Frauen wählen ihre Ausbildung aus einem eher schmalen Spektrum traditioneller "Frauenberufe". Sie schöpfen damit weder ihre Berufsmöglichkeiten noch ihre Potenziale aus. Unter den zehn beliebtesten Ausbildungsberufen findet sich keiner aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Wir wollen, dass die Bildungsberatung und die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Beratungspraxis die Einordnung in "Frauenberufe" und "Männerberufe" überwinden.
Wissenschaftlerinnen und genderrelevante Forschung sind im deutschen Wissenschaftsbetrieb unterrepräsentiert. Damit geht aber wichtiges Erkenntnis- und Innovationspotenzial verloren. Wir setzten uns für deutlich mehr Überprüfbarkeit bei der Durchsetzung gleichstellungspolitischer Ziele im Wissenschaftsbereich ein. Bundesgelder für Forschung und wissenschaftliche Einrichtungen müssen an verbindliche Zielvorgaben geknüpft werden. Wir wollen innerhalb eines angemessenen Zeitraums einen Anteil von mindestens 40 Prozent jedes Geschlechts auf allen Ebenen und in allen Fachbereichen erreichen.
Wir setzen uns für die Stärkung von Migrantinnennetzwerken, eine Erhöhung des Migrantinnenanteils im öffentlichen Dienst und erleichterte Anerkennung von Berufsabschlüssen, die nicht in Deutschland erworben wurden, ein.
Nachdem Rot-Grün konkrete Schritte zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung unternommen hatte, wurden diese von der großen Koalition auf Eis gelegt. Die noch unter Rot-Grün in Auftrag gegebene Studie zur Machbarkeit von Gender Budgeting wurde so leise wie möglich in den tiefsten Schubladen vergraben. Dabei bildet die umfangreiche Studie eine gute Basis für konkrete weiterführende Projekte. Wir fordern, ausgewählte Ausgaben und Einnahmen einzelner Ressorts einer Gender-Budgeting-Analyse zu unterziehen und dieses Verfahren wissenschaftlich zu begleiten.
Bei der Reform des Unterhaltsrechts wird deutlich, wie sehr sich die Gesellschaft verändert hat. Heute will der Staat, dass Mütter nach drei Jahren wieder in den Beruf zurückkehren. Ohne ausreichende Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, flexible Arbeitsmöglichkeiten und mehr familiäres Engagement der Väter geht diese Reform zulasten von Frauen. Die vorherrschende Unternehmenskultur mit ihrem Anspruch an permanente Anwesenheit macht es schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren. Ein anderer Umgang mit Zeit würde Männern und Frauen mehr Raum zum Leben lassen.
Das deutsche Ehegattensplitting mit seiner Förderung von Ehe, nicht aber von Kindern, ist überholt. Es setzt negative Anreize für die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen, die in der Regel ein niedrigeres Einkommen erzielen. Am meisten profitieren Paare mit einem hohen Einkommensunterschied hiervon. Wir fordern die Weiterentwicklung des Ehegattensplittings zur Individualbesteuerung.
Es wären hier noch viele Forderungen zu stellen und Ansatzpunkte anzuführen. Um abschließend aber noch einmal auf Ihre Frage nach der Quote zurückzukommen. Aufgrund der Tatsache, dass sich freiwillige Vereinbarungen und bisherige Appelle als wirkungslos erwiesen haben, bin ich der Meinung, dass nur eine gesetzliche Regelung hier zum Ziel führen kann. Dafür muss das Aktiengesetz geändert werden. Unternehmen müssen verpflichtet werden, aktiv Maßnahmen zur Gleichstellung zu schaffen. Wir sind der Ansicht, dass jedes Geschlecht mit mindestens 40 % auch auf der Kapitalseite im Aufsichtsrat vertreten sein muss. Die bisherige Gewohnheit des Wechsels der männlichen Vorstandsvorsitzenden auf die Posten des Aufsichtsratschefs behindert Transparenz, Innovation und die Gleichstellung von Frauen in Unternehmen.
Ich hoffe Ihnen hiermit einige Impulse für die weitere Diskussion gegeben zu haben. Gerne stehe ich Ihnen für weitere Nachfragen zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich hierfür jederzeit gerne an mein Büroteam in Berlin oder Saarbrücken.
Mit besten Grüßen,
Markus Tressel
MdB