Frage an Markus Tressel von Rolf R. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Tressel,
mit diesem Schreiben möchte ich auf eine Ungerechtigkeit in unserem Gesundheitswesen aufmerksam machen.
Mein HNO-Arzt hat bei mir eine Schwerhörigkeit festgestellt und mir ein Hörgerät verschrieben. Der Hörgeräte-Akustiker hat mir vier verschiedene Geräte in vier verschiedenen Preiskategorien angeboten hat. Jedes der vier Geräte konnte ich über mehrere Wochen hinweg testen. Somit hatte ich die Gelegenheit jedes Gerät in den verschiedensten Geräuschsituationen zu erproben. Die jeweiligen Zuzahlungen, die ich noch zu leisten habe, lagen bei 15 Euro, 540 Euro, 780 Euro und 830 Euro. Die Krankenkasse zahlt bei allen Modellen gleich - 633,40 Euro. Das Modell, mit dem ich in Beruf und Freizeit am besten klar gekommen bin und bei dem nachgewiesenermaßen – durch Arzt und Akustiker bestätigt – die besten Hörergebnisse erzielt wurden, war das teuerste Modell. Auf Nachfrage bei der Kasse erfuhr ich, dass diese auf keinen Fall –auch nicht bei finanziellen Härtefällen – einen höheren, als den o. g. Beitrag leistet. Ich bin 61 Jahre alt und seit über 9 Jahren Leiharbeiter. Mein monatliches Nettoeinkommen beträgt um die 900 Euro. Das bedeutet, dass ich entweder einen knappen Monatslohn investiere, (was faktisch gar nicht möglich ist) oder mich für ein Hörgerät entscheide, welches mir keine optimale Sicherheit vor allem im Beruf und in der Freizeit bringt.
Was nun die Ungerechtigkeit angeht ist folgendes: Mein HNO-Arzt hat außerdem eine leichte Verkrümmung meiner Nasenscheidewand diagnostiziert. Diese Verkrümmung behindert mich nicht im Geringsten. Aber die Kasse übernimmt die vollen Kosten.
In dem einen Fall bekame ich eine kostenlose, aber unnütze OP, im anderen Fall muss ich mit Unzureichendem zufrieden sein.
Für mich ist es wichtig, dass Sie mir Ihre Meinung darüber zukommen lassen, und auf welche Weise Sie in Zukunft mithelfen werden, das Gesundheitssystem gerechter zu gestalten.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Ronck
Völklingen, 5. Jan. 12
Sehr geehrter Herr Ronck,
bereits vor zwei Jahren hat das Bundessozialgericht in einem richtungsweisenden Urteil festgelegt, dass die Krankenkassen bei Hörhilfen nicht nur Standardgeräte bis zu einem bestimmten Preis finanzieren müssen, sondern für die Patienten geeignete Geräte. Leider hat es sehr lange gedauert, bis Versicherte davon profitieren können.
Am 21. Dezember 2011 hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Richtlinie für Hilfsmittel im Bereich der Hörgeräte korrigiert. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt fest, was die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren müssen.
Die gute Nachricht lautet also: nach dieser Entscheidung müssen die gesetzlichen Krankenversicherungen für solche Hörgeräte aufkommen, die nach dem Stand der Medizintechnik Funktionsdefizite des Hörvermögens möglichst weitgehend ausgleichen und sich an den Möglichkeiten eines gesunden Menschen orientieren. Damit soll auch Sprachverstehen bei Umgebungsgeräuschen erreicht werden. Für zusätzliche Ausstattungen, die zum Beispiel im Rahmen der Berufsausübung zwingend erforderlich sind, kommen ggf. andere Leistungsträger wie z.B. die gesetzliche Rentenversicherung ergänzend in Frage.
Die schlechte Nachricht lautet, dass die gesetzlichen Krankenkassen diese Vorgabe erst ab Ende März/Anfang April 2012 umsetzen müssen. Denn das Bundesministerium für Gesundheit hat eine gesetzlich vorgeschriebene Einwendungsfrist bei allen Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Für Ihren konkreten Fall bedeutet dies, dass die Krankenkasse nach der neuen Bestimmung ein für Sie geeignetes Hörgerät finanzieren muss. Dies gilt allerdings nicht für die zurückliegende Zeit, sondern erst ab April 2012. Wenn Ihre Krankenkasse ab April 2012 das Gegenteil behauptet, dann können Sie dagegen Widerspruch einlegen und sich auf die „Neufassung der Hilfsmittel-Richtlinie des GBA vom 21.12.2011 berufen“.
Wir werden auf die zeitnahe Umsetzung der Richtlinie drängen, denn dies ist eine Korrektur der bestehenden Vorgaben, die für viele Betroffene eine finanzielle Erleichterung und damit mehr Gerechtigkeit bedeutet.
Nach einer Auskunft, die unsere zuständige Gesundheitspolitikerin beim GKV-Spitzenverband eingeholt hat, planen die Krankenkassen auf der Grundlage der neuen Richtlinie die Festbeträge aktuell zu ermitteln. Die Hersteller verlangen für Geräte gleicher Funktionen unterschiedliche Preise. Die Krankenkassen sind dazu verpflichtet, nur die günstigsten Geräte zu finanzieren.
In diesem Sinne hoffe ich für Sie, dass Sie wegen der hohen Zuzahlung, Ihre Entscheidung zum Kauf eines Hörgeräts noch hinauszögern konnten. Um sicher zu gehen, dass Ihre Krankenkasse die neue Bestimmung umsetzen muss, würde ich Ihnen empfehlen, sich eine neue Verordnung für ein Hörgerät nach dem ersten April 2012 ausstellen zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Markus Tressel