Frage an Markus Herbrand von Bernhard P. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben
Sehr geehrter Herr Herbrand!
Am 06.05.2021 behaupteten Sie in ihrer Rede zur Vermögenssteuer/-abgabe:
1. "...Aber wir haben keine Unterfinanzierung des Sozialstaats!" und
2."...Die Menschen mit den starken Schultern sind bei uns in der Tat diejenigen, die schon sehr viel dazu beitragen." (Plenarprotokoll 19/227, S.28935)!
Meine Fragen:
Wie erklären Sie dann die Tatsache, daß z.B. allein die Deutsche Rentenversicherung Bund von einer jährlichen Unterdeckung der Bundeszuschüsse i.H.v. ca. 30 Milliarden Euro spricht https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-archiv/2019/2019_06_27_bvv_buntenbach.html
Allein in der Drucksache 16/65 des Bundes v. 10.11.2005 ist auf Seite 331 zu lesen (einkopiert): ... Die nicht durch Bundeszuschüsse gedeckten versicherungsfremden Leistungen und Umverteilungsströme in der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Sozialen Pflegeversicherung, der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung belaufen sich derzeit auf rund 65 Mrd Euro.
zu 1: Wenn die o.a. Tatsachen keine Unterfinanzierung des Sozialstaates ist - wie würden Sie es dann bezeichnen?
zu 2: Behaupten Sie immer noch, die "starken Schultern" würden schon genug zahlen und bitten dafür dann lieber sozialversicherungsbeschäftigte Beschäftigte (z. B. Pflegekräfte und VerkäuferInnen) und Rentner zur Kasse, um z. B. die Mütterrente oder die Hauptlast der Coronagesundheitskosten zu zahlen
https://www.krankenkassen-direkt.de/news/news.pl?id=1080824?
Ein Appell an die Solidarität und um einen Beitrag an die wirklich Reichen in diesem Land, der blieb bisher aus - SIE wurden nur noch reicher!!! Wie erklären Sie dies den Menschen in diesem Land, die nicht zu den oberen 10 Prozent gehören?
Bitte um eine aussagekräftige Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Pieper
Sehr geehrter Herr Pieper,
vielen Dank für Ihre Nachfragen zur Vermögensabgabe und im Speziellen zu meiner Rede am 6. Mai 2021. Da Ihre Argumentationsbasis in Teilen auf Zahlen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus dem Jahr 2005 beruht, möchte ich gerne aktuellere Zahlen zur Erklärung heranziehen und Ihnen vorstellen:
Einen interessanten Einblick hierzu verschafft die Höhe der Sozialausgaben für das jeweilige Vorjahr aus dem Sozialbudget des Bundesarbeitsministeriums. Diese wird jedes Jahr zum Sommer veröffentlicht. Aktuell liegen noch die Zahlen für 2019 vor, auf die ich mich im Folgenden beziehe und die öffentlich einsehbar sind. Demnach haben die Sozialausgaben in Deutschland erstmals die Billionen-Euro-Schwelle überschritten und belaufen sich konkret auf 1.040,3 Milliarden Euro. Damit haben wir eine Sozialleistungsquote (d. h. Sozialleistungen in v. H. des Bruttoinlandsproduktes) von 30,3 Prozent und liegen damit über dem EU-Durchschnitt. Vergleicht man diese Zahlen mit den letzten fünf Jahren, sind die Sozialausgaben viermal stärker gewachsen als die Wirtschaftsleistung und einmal genauso stark. Und auch aktuell ist ein starker Anstieg der Sozialleistungsquote für 2020 bereits absehbar. (Zu Ihrem Vergleich: 2005 lag die Sozialleistungsquote noch bei 29,0 Prozent und 664,3 Milliarden Euro.) Die Zahlen zeigen somit die hohen Summen, die im Bereich des Sozialen ausgegeben werden. Den größten Anteil an Sozialbeiträgen leisten dabei mit 34,8 Prozent die Arbeitgeber, 30,9 Prozent die Versicherten und 32,8 Prozent der Staat. Mit Blick auf diese Strukturdaten möchte ich daher anmerken, dass derzeit kein Einnahme-Problem besteht, sondern der Casus knacktus in der Wirkung und dem zielgerichteten Einsatz der Gelder liegt, d. h. wo genau beteiligt sich der Bund wie langfristig und in welcher finanziellen Höhe, um die Funktionsfähigkeit des Sozialsystems dauerhaft sicherzustellen. Dass an dieser Stelle durchaus über die Treffsicherheit des Sozialstaates gestritten werden darf, habe ich auch in meiner zitierten Rede bereits angemerkt, denn hier sehen wir Freien Demokraten großen Optimierungsbedarf.
Die von mir skizzierten Aussagen basieren zudem nicht auf der Annahme, dass die Ausgaben des Sozialstaats ausschließlich durch die Sozialkassen im engeren Sinne beglichen werden. U.a. ein jährlicher Zuschuss aus Steuermitteln von inzwischen über 100 Mrd. Euro in das Rentensystem sowie von über 14 Mrd. Euro in die gesetzliche Krankenkasse zeugen davon, dass auch Steuermittel in großem Umfang zur sozialen Sicherung in unserem System herangezogen werden. In diesem Zusammenhang teile ich übrigens Ihre Auffassung, dass mehr Transparenz darüber, was die Renten- und Krankenversicherung über das hinaus bezahlen, was eigentlich ihre Aufgabe wäre, erstrebenswert ist. Unzweifelhaft werden sehr viele Dinge aus der gesetzlichen Sozialversicherung beglichen, die gesamtgesellschaftlicher Natur sind (versicherungsfremde Leistungen) – wie von Ihnen erwähnt.
Vor dem Hintergrund der steigenden Steuerquote in Deutschland auf der einen Seite und den erzielten Rekorden des Staates bei den Einnahmen und erwirtschafteten Überschüssen auf der anderen Seite wollen wir Freien Demokraten den Einkommensteuertarif gerechter gestalten. Denn bei den Bürgerinnen und Bürgern kommt davon aktuell nichts im Portemonnaie an. Hierfür wollen wir bis 2024 in drei Schritten den sogenannten Mittelstandsbauch, d. h. die relativ hohe Besteuerung mittlerer Einkommen, vollständig abschaffen und so einen leistungsgerechteren linearen Chancentarif gestalten. Denn gegenwärtig steigt die Steuerlast sowohl bei den kleinen als auch mittleren Einkommen am stärksten an und Teile der Mitte unserer Gesellschaft unterliegen bereits dem Spitzensteuersatz. Das ist unserer Überzeugung nach absolut leistungsfeindlich und auch ungerecht. Daher bleibe ich dabei: Durchschnittsverdienende, die bereits viel schultern, dürfen nicht noch mehr belastet werden und nicht fast schon den höchsten Steuersatz zahlen. Das Steuersystem muss daher aus unserer Sicht gerechter und leistungsfördernder sein sowie positive Arbeitsanreize setzen. Bei der Finanzierung des Staates tragen Steuerzahlende mit einem hohen Einkommen ebenfalls einen signifikanten Anteil an den gesamten Einnahmen des Staates, bestehend aus Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag. Eine Studie des Instituts für Wirtschaft (IW) kam jüngst zu dem Ergebnis, dass 2021 das obere ein Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler voraussichtlich fast ein Viertel der gesamten Einnahmen des Staates aus Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag beisteuern werde, die oberen zehn Prozent sogar mehr als die Hälfte. Grundsätzlich gilt: Immer mehr Einnahmen von den Bürgerinnen und Bürgern durch den Staat zu verlangen sind kein Garant für die Treffsicherheit sozialpolitischer Maßnahmen, wenn sie nach dem Gießkannen-Prinzip erfolgen. Zudem besteht die Gefahr, dass weitere Steuererhöhungen einen wirtschaftlichen Aufschwung bremsen, denn der weitere Ausbau des Sozialstaats kann auf Dauer nicht Bestand haben, wenn die deutsche Wirtschaft nicht im gleichen Zuge weiter mitwächst. Dieses Ungleichgewicht bedeutet gerade vor der aktuellen Corona-Pandemie und den bevorstehenden demografischen Veränderungen, dass wir auf nachhaltiges Wachstum setzen müssen, denn Deutschland nimmt bei der Steuerbelastung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen inzwischen einen weltweiten Spitzenplatz unter den Industrienationen ein. Das schadet dem Standort Deutschland und verhindert so notwendige Investitionen, die unseren Wohlstand sichern.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Herbrand