Sehr geehrter Herr Herbrand, ich, als Unternehmer, würde gerne wissen, ob Sie und Ihre Partei den Verbotsantrag gegen sie AFD in der kommenden Woche im Bundestag mit vorantreiben werden? MfG
Damit Sie wissen, was ich gerne hören möchte, kann ich ihnen sagen, dass ich der Meinung bin, dass die AFD und ihre eventuelle Mitgestaltung im Bundestag das Schlimmste für die deutsche Wirtschaft wäre, was ich mir vorstellen kann.
Sehr geehrter Herr D.,
haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail und Ihr Engagement für ein Nazi-freies Land. Ihre Ausführungen habe ich mit Interesse gelesen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir sowohl aufgrund der vielen Zuschriften als auch vor dem Hintergrund des regelmäßig im Parlament mit AfD-Vertretern Erlebte, seit langer Zeit Gedanken darüber mache, wie mit der AfD und ihrer Agenda umzugehen ist. Selbstverständlich habe ich an dieser Stelle auch darüber nachgedacht, ob ein mögliches Parteiverbot zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll wäre.
Im Ergebnis bin zu der Entscheidung gelangt, dass ein Verbotsantrag aktuell nicht das richtige Mittel darstellt, um die AfD wieder unter den Stein zurückzuschicken, unter dem sie hervorgekrochen ist. Bei je nach Bundesland bis zu 35 Prozent Zustimmung für die Positionen der AfD sehe ich die große Gefahr, dass ein Verbotsantrag diese Menschen noch weiter in die Arme der Extremisten treibt. Egal ob es - vorausgesetzt der Verbotsantrag würde kommen und hätte am Ende auch Erfolg - dann die "AfD 2.0" oder die "XYZ-Partei für Deutschland" wäre - das Gedankengut der angeblichen Alternative für Deutschland würde nicht mit dem Verbot verschwinden.
Die jenseits fremdenfeindlicher Ressentiments ernstzunehmenden Sorgen und Nöte der AfD-Wählenden, die um bezahlbaren Wohnraum und freie Kitaplätze kämpfen, die in prekären Jobverhältnissen leben und die Konkurrenz billiger Arbeitskräfte fürchten, die angesichts diverser Kriminalitätsstatistiken abendliche Spaziergänge und Ausflüge auf den Weihnachtsmarkt meiden, sind Realität und lösen sich nicht einfach in Wohlgefallen auf. Sie werden ganz im Gegenteil wahrscheinlich eher an Strahl- und Zerstörungskraft gewinnen, wenn die aus Sicht der AfD-Wählenden einzige Partei, die ihre Interessen vertritt, verboten wird. Es wird bei diesen Menschen auch keine Reflexion darüber stattfinden, ob die Gründe für das Verbot nicht vielleicht doch nachvollziehbar sind und ob die AfD nicht vielleicht doch eine NSDAP im Schaftspelz ist.
Stattdessen werden diese Menschen die Schlussfolgerung ziehen, dass die noch existierenden Parteien sich eines unangenehmen Mitbewerbers entledigt haben. Die Legendenbildung wird direkt nach einer möglichen Urteilsverkündung (und sicherlich auch bereits davor) beginnen. Sie wird Unwahrheiten erzählen, Fakten mit Fälschungen vermischen und alles unternehmen, um der AfD einen dauerhaften Märtyrer-Status zu verleihen. Parteizugehörige wechseln in der Folge dann ebenso schnell wie die sie Wählenden das Parteienlabel aus und verspritzen ihr Gift dann unter einem neuen Namen.
Kurzum, ein erfolgreicher Verbotsantrag löst kein Problem, sondern schafft nur neue Herausforderungen. Weder gewinnen wir die Wählerinnen und Wähler zurück noch sind im Moment des Verbots die Wunden verheilt, in die die AfD zielsicher ihre Finger drückt. Wir stünden mit dem Ende der AfD also nicht vor einem Neuanfang, sondern vor haargenau demselben riesigen Berg an To-Do-Listen. Nur mit dem Unterschied, dass in diesem Moment dann zusätzlich die Glaubwürdigkeit der etablierten Parteien in vielen Wählergruppen noch deutlich stärker als bisher gelitten hätte. Den Eindruck, dass wir uns unbequemer Konkurrenz entledigt hätten, würden wir in der Folge kaum noch loswerden.
Und das wären nur die Folgen eines gelungenen Verbotsantrags. Bei einer nicht unwahrscheinlichen Ablehnung eines Parteienverbots (ich erinnere an ähnliche Versuche und Absichten zu NPD und DVU in den vergangenen Jahrzehnten) drohen uns auf Jahre hinaus neben den Vorwürfen einer versuchten Beeinflussung der unabhängigen Justiz Häme und Siegergeheul der AfD. Momentan kann ich - bei aller Abscheu vor zahlreichen Ausführungen und Forderungen der AfD und ihrer Protagonisten - nicht erkennen, dass wir bei dem Verbotsversuch viel Aussicht auf Erfolge haben. Auch wenn einzelne Landesverbände als gesichert rechtsextrem eingestuft werden, liegt diese Einstufung der gesamten AfD bislang in weiter Ferne und wird vielleicht niemals kommen. Wenn aber ein Verbotsverfahren angestrengt wird, kann es nicht nur um gefühlte Wahrheiten oder Teile der AfD gehen.
Vor diesem Hintergrund plädiere ich gemeinsam mit meiner Fraktion dafür, die Probleme in unserem Land anzugehen und zu lösen, anstatt Energie und Ressourcen dafür aufzuwenden, Kritikerinnen und Kritiker unserer Politikgestaltung mundtot zu machen. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir vor Herausforderungen nicht zurückschrecken, sondern sie dauerhaft lösen. Nicht nur diejenigen, die von der AfD thematisiert und instrumentalisiert werden, aber eben auch nicht nur die Probleme, die von Grünen und SPD gesehen werden. Es braucht Lösungen und keine Vogel-Strauß-Taktik.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik der demokratischen Mitte und die sie sichernden Mehrheiten langfristig nur dann stabil bleiben, wenn wir die Ärmel hochkrempeln und unangenehme Themen nicht weiter in die Zukunft verschieben. Wir brauchen eine echte europäische Asyl- und Migrationspolitik. Wir brauchen erfolgreiche Konzepte für die Integration der bei uns Bleibenden und harte Abschieberegeln für diejenigen, die kein Bleiberecht haben. Wir brauchen Bürokratieabbau und weniger Abgaben und Steuern, um die Wirtschaft anzukurbeln und damit Arbeitsplätze und gute Löhne zu sichern. Wir brauchen weniger Auflagen, um den Wohnungsbau zu beschleunigen. Wir brauchen mehr Digitalisierung, um Prozesse zu verkürzen und effizienter zu gestalten. Wir brauchen eine Bildungsoffensive für jung und alt, die nicht am leidigen Thema des Föderalismus scheitert. Wir brauchen eine Energiewende, die nicht nur kostet, sondern auch liefert. Wir brauchen eine Gesundheits- und Pflegepolitik, die trotz des demografischen Wandels umfassende Versorgung gewährleistet. Wir brauchen Klimaschutzziele, die wir nicht durch die Deindustrialisierung ganzer Landkreise, sondern durch Innovationen und Forschung erreichen.
Für alles Genannte hat die AfD keine Lösungen - wir Freien Demokraten schon. Und genau hier müssen wir ansetzen: Keine aufgezwungenen Verbote, sondern klare Kante gegen Fremdenfeindlichkeit ergänzt mit dem deutlichen Bekenntnis zu Deutschland als Einwanderungslande. Die vielen Millionen gut integrierten Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land halten mit ihrer Arbeit als Arzt, Finanzberaterin, Kita-Erzieher, Lehrerin oder Verkäufer unser Land am Laufen. Sie müssen bei jeder Gelegenheit spüren, dass kein Blatt zwischen uns passt. Wir sind eine vielfältige Gesellschaft und dass wollen wir auch bleiben!
Wenn wir es mit den richtigen Entscheidungen schaffen, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, dann gewinnen wir auch die Stimmen der Enttäuschten und Wartenden zurück, die bislang ihr Kreuz am rechten (oder linken) Rand machen. Ich bin fest davon überzeugt, dass bei weitem nicht alle Wählerinnen und Wähler der AfD Nazis sind oder mit Fremdenhass sympathisieren. Ich sehe bei vielen die ihr Kreuz bei der AfD machen, vor allem Enttäuschung über die Politik der Vergangenheit. Gepaart mit dem Ohnmachtsgefühl, dass "die da oben" sowieso machen, was sie wollen, wird die AfD dann bundesweit zur zweitstärksten Partei. Das können und sollten wir deutlich kritisieren - wir brauchen aber auch Angebote und Erfolge, um diese Menschen wieder in den Schoß der demokratischen Parteien zurückzuholen. Ich persönlich will diese vielen Millionen Menschen nicht an Verschwörungstheorien bei Telegram, an die Reichsbürgerszene oder die Gruppe der Nichtwähler verlieren. Wir brauchen sie, um unser Land so zu gestalten, wie wir es wollen. Deswegen kämpfe ich für die richtigen politischen Entscheidungen. Ein AfD-Verbotsantrag gehört für mich im Moment nicht dazu.
Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Position, trotz unserer gegensätzlichen Auffassungen dennoch nachvollziehbar darlegen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Herbrand