Frage an Marion Caspers-Merk von Stefan S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Caspers-Merk,
in der Sendung "Hartaberfair" vom 15.10.08 haben Sie das Haurztmodell der Krankenkassen gelobt und für die Einführung bzw. Beibehaltung plädiert, um Kosten zu sparen. Ich habe letztes Jahr einen solchen Vertrag unterschrieben und habe davon den Vorteil keine Praxisgebühr zu zahlen.
Nun bekomme ich Ende September diesen Jahres von meiner Kasse (TK) die Mitteilung, dass sie zu der Erkenntnis gekommen ist, dass ihr Hausarztmodell weder zu spürbaren wirtschaftlichen noch zu nennenswerten qualitativen Verbesserungen im Hinblick auf die Patientenversorgung geführt hat und streicht mir zu Beginn des kommenden Jahres meine Hausarztkarte.
Frage: Wie kann es sein, dass Sie in der Öffentlichkeit das Hausarzt-Modell als Kostensenker für das Gesundheitssystem propagieren und ich als Patient zur gleichen Zeit aus der gleichen Ecke schriftlich das Gegenteil erfahre!
Frage2: Welche Erkenntnisse sind zutreffend? Ihre oder die der TK?
Ich bin natürlich weiterhin daran interessiert mich diesem System anzuschließen, habe ich es doch auch gemacht, um einen Beitrag zur Kostensenkung zu leisten. Nun bin ich aber irritiert was denn nun zutrifft und kann ihre Äußerungen nicht verstehen, wenn mir die TK schreibt, dass das Modell nicht kostensparend ist, (sondern wahrscheinlich das Gegenteil darstellt).
Können Sie mir diesen Widerspruch erklären und haben Sie eine Erklärung für die Antwort meiner Krankenkasse?
Vielen Dank im Voraus.
Mir freundlichen Grüßen
Stefan Schniotalle
Sehr geehrter Herr Schniotalle,
haben Sie vielen Dank für Ihre freundliche Rückmeldung zu meinem Auftritt in der Sendung „Hart aber Fair“. In der Tat habe ich dort sehr positiv über die so genannte Hausarztzentrierte Versorgung (kurz: HZV) gesprochen. Ich bin davon überzeugt, dass bei den immer komplexer werdenden Behandlungsmethoden und -alternativen der Hausarzt als Lotse des Versicherten im Gesundheitswesen ein Modell für die Zukunft ist. Mit den bis 2007 von einigen Kassen angebotenen „Hausarzttarifen“, die allein ein Erlassen der Praxisgebühr bei vorrangiger Konsultation des Hausarztes vorsahen, ist die HZV jedoch nicht zu vergleichen. Lassen Sie mich Ihnen dies erläutern.
Die gesetzlichen Krankenkassen sind seit dem 1. April 2007 dazu verpflichtet, Verträge zur HZV auszuhandeln. Vertragspartner sind dabei zunächst einmal die Krankenkassen und die an der hausärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte. Um für ihre Versicherten ein flächendeckendes Angebot sicherzustellen, müssen die Krankenkassen mit den Ärzten und ihren Vertretern ausreichend Verträge abschließen. Für die HZV sind im Sozialgesetzbuch 5, Artikel 73b, Absatz 2 konkrete Qualitätskriterien genannt.
Hier der Wortlaut des §73b, Abs. 2:
„Dabei ist sicherzustellen, dass die hausarztzentrierte Versorgung insbesondere folgenden Anforderungen genügt, die über die vom Gemeinsamen Bundesausschuss sowie in den Bundesmantelverträgen geregelten Anforderungen an die hausärztliche Versorgung nach § 73 hinausgehen:
1. Teilnahme der Hausärzte an strukturierten Qualitätszirkeln zur
Arzneimitteltherapie unter Leitung entsprechend geschulter Moderatoren,
2. Behandlung nach für die hausärztliche Versorgung entwickelten,
evidenzbasierten, praxiserprobten Leitlinien,
3. Erfüllung der Fortbildungspflicht nach § 95d durch Teilnahme an
Fortbildungen, die sich auf hausarzttypische Behandlungsprobleme
konzentrieren, wie patientenzentrierte Gesprächsführung,
psychosomatische Grundversorgung, Palliativmedizin, allgemeine
Schmerztherapie, Geriatrie,
4. Einführung eines einrichtungsinternen, auf die besonderen Bedingungen
einer Hausarztpraxis zugeschnittenen, indikatorengestützten und
wissenschaftlich anerkannten Qualitätsmanagements."
Hausarztzentrierte Versorgung ist also weit mehr, als nur der Erlass der Praxisgebühr. Teilnehmende Ärzte verpflichten sich zu speziellen Fortbildungen, müssen besondere Leitlinien bei der Behandlung einhalten und ein Qualitätsmanagement unterhalten. Im Gegenzug können sie für die an der HZV teilnehmenden Versicherten eine höhere Vergütung erhalten. Erst wenn die Krankenkassen ausreichend Verträge mit Ärzten abgeschlossen haben, können sie ihren Versicherten ein Tarifmodell zur HZV anbieten (welches als Anreiz durchaus ein Erlassen der Praxisgebühr enthalten kann).
Viele Kassen haben mittlerweile HZV-Tarifmodelle entwickelt. Deren Aufgabe ist es auch, bei der Entwicklung und dem Abschluss solcher Verträge auf die Einhaltung der Kriterien zur Versorgungsqualität zu achten. Wenn die Kassen aber nur Standardverträge abschließen oder die Kriterien vernachlässigen, dürfen sie sich anschließend nicht über unterdurchschnittliche Ergebnisse in der Qualität und Effizienz der Versorgung wundern. Im Fall einer Krankenkasse hat das Bundessozialgericht den Hausarztvertrag sogar abgelehnt, weil er nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Wie ich in der Sendung „Hart aber Fair“ sagte, bin ich selbst bei der AOK Baden-Württemberg versichert. Von dieser weiß ich, dass sie einen vorbildlichen Vertrag zur HZV entwickelt hat. Ihr ist es gelungen, im 3. Quartal 2008 Verträge mit 2000 Hausärzten abzuschließen. Für eine flächendeckende Versorgung schätzen die AOK und ihre Vertragspartner vom Deutschen Hausärzteverband und Ärztenetzwerk MEDI, braucht man allein in Baden-Württemberg 3000 Ärzte. Dem Aufwand der Kassen steht nach unserer Überzeugung ein Gewinn an Qualität und Effizienz in der Versorgung bei den Versicherten gegenüber.
Insgesamt ist die Situation aber nicht zufriedenstellend. Auf Grund der unzureichenden Vertragsabschlüsse und dem fehlenden flächendeckenden Angebot erhalten die Krankenkassen daher eine konkretisierte gesetzliche Verpflichtung: Bis zum 30. Juni 2009 müssen sie Verträge zur HZV mit Ärzten und deren Vertretern aushandeln. Anders als zuvor können sie dies nun nicht nur mit der örtlichen kassenärztlichen Vereinigung tun, sondern zunächst mit Gemeinschaften von Ärzten verhandeln, die die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte vertreten. Damit soll die Hausärzte zusätzlich gestärkt werden und in ihrer Eigenverantwortlichkeit bei der Aushandlung von Leistungsverträgen unterstützt werden. Hat eine Krankenkasse bis zum 30. Juni 2009 nicht ausreichend Verträge abgeschlossen, wird ein Schiedsverfahren zum Abschluss der Verträge initiiert. Diese gesetzliche Handlungsaufforderung wurde 2 Tage nach meinem Auftritt bei „Hart aber Fair“ vom Deutschen Bundestag beschlossen.
Für bestehende Verträge hat die Neuregelung grundsätzlich keine Auswirkungen. Krankenkassen können sich von den Verträgen lösen, wenn vertragliche oder gesetzliche Auflösungsgründe vorliegen. Bestehende Hausarztverträge, die die Qualitätskriterien nicht erfüllen entbinden die Krankenkassen jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, ein flächendeckendes Angebot in der HZV sicher zu stellen. Nach meinem Dafürhalten kann Ihnen Ihre Kasse nur den Tarif gekündigt haben, um Ihnen in Kürze einen deutlich verbesserten Tarif anzubieten.
Mit freundlichen Grüßen
Marion Caspers-Merk, MdB